Kolumne
Markus Tschannen wechselt wieder Windeln: Tertius ist da – hört die Kunde
Eltern verschicken traditionell nach der Geburt ein Kärtchen. Wir tun das nicht – zum Ärger von Schubiger Huldi oder der Aregger Eveline. Damit doch alle im Dorf von Tertius’ Geburt erfahren, werden wir kreativ.

Tertius ward geboren, so berichten es die Engel den Hirten und umgehend machen sich alle Heiligen, Könige, Maultiere und Gesinde auf die Reise nach Bethlehem (Kanton Bern), um dem Kinde edle Gaben darzubr… nein, halt. Falsche Geschichte. Tertius ist zwar da, aber kein Engel übernimmt die Ankündigung der Geburt. Das bleibt wieder an uns hängen.
Keine Ahnung, wie das in anderen Kulturen geregelt wird, aber in der Schweiz legt man traditionell das gesäuberte Kind auf ein ins Körbchen drapiertes Schaffell, fotografiert es und bedruckt Kärtli mit seinem Antlitz. Dazu steht etwas in folgender Art geschrieben:
«Mia Shakira Gwyneth wurde am 36. Februar vom Bauchzwerg zum Erdenbürger. Mutter und Kind geht es trotz Dammriss und nässendem Nabelgranulom gut, wir sind überglücklich. 3638,55 kg; 52,11 cm; Strampler und Windeltorten bitte an Reto, Sabine und Noé Banjo Bronx Stückelberger, Glückseligkeitsweg 13, 9852 Lieli-Ranft»
Ich bewundere Eltern, die in den Tagen nach der Geburt die Energie haben, eine Direktmarketing-Kampagne mit Print-Werbemitteln zu lancieren.
Jaja. Das klingt jetzt ungewollt etwas sarkastisch – die Pferde gingen mit mir durch. Bitte verzeiht. Ich finde das ja auch eine schöne Tradition und bewundere alle Eltern, die in den Tagen nach der Geburt die Energie haben, eine grosse Direktmarketing-Kampagne mit Print-Werbemitteln zu lancieren. Aber ich habe Vaterschaftsurlaub und möchte mich mal zwei Wochen nicht mit Kommunikation – meinem eigentlichen Beruf – beschäftigen.
Beim Brecht – unserem ersten Kind – haben wir das mit dem Kärtchen auch noch ganz seriös durchgezogen. Da hatten wir Zeit, während das Baby schlief. Jetzt bei Tertius sind da ständig zwei wache Kinder, die gerade Hunger haben oder genau dann aus einem Handgemenge separiert werden müssen, wenn wir das Osterkörbchen und das Schaffell aus dem Schrank holen wollen. Bis wir ein ansprechendes Kärtchen beisammen hätten, wäre Tertius längst in der Lehre. Idealerweise als Polygraf.
Das Kärtli gehört sich, was sollen denn die Leute denken?
Ich weiss schon, was manche von euch jetzt sagen: «Wir haben auch drei Kinder und trotzdem ein Kärtchen verschickt.» Jahaa, wir sind einfach faul, okay? Schon bei Beebers haben wir aufgegeben und einfach ein paar Bilder per WhatsApp verschickt. Und jetzt mit Tertius schaffen wir noch nicht einmal das.
Aber es ist okay. Wir wohnen auf dem Land, hier kann man eine Geburt ohnehin nicht verheimlichen. Eines Morgens wacht man auf und hat eine 50 Meter hohe Maitanne vor der Hütte; mit Kindsnamen, Geburtsdatum und einem gepinselten Storch auf einer Sperrholzplatte. Datenschutz ist was für Städter. Uns wurde zum Glück noch kein Maibaum gestellt, da wir uns seit Jahren erfolgreich vor Mitgliedschaften im Blauring, der Trachtengruppe und der freiwilligen Feuerwehr drücken.
Huldi, Heidi und Hans wissen auch so Bescheid
Und trotzdem läuft der Landfunk. Gestern kam meine Mutter und sagte: «Habt ihr dem Stämpfli Alois unten im Dorf noch nicht gesagt, dass ihr ein Baby bekommen habt? Er hat es vom Schubiger Huldi in der Schlonzenfluh erfahren.» – «Hä, wer ist das?» – «Eh, das ist die Tante von der Aregger Eveline.» – «Aha?» – «Und ist die nicht mit der Rechsteiner Petra im Gemeindechor?» – «Bestimmt.» – «Ja, die Petra hat doch das jüngste Kind mit dem Brecht in der Schule, der Silo-Kurt.» – «Ja, ähh … Shiloh Curt.»
Ich wünschte, ich würde übertreiben, aber ich habe lediglich die Namen anonymisiert.
#daschamebruuche aus unserem Concept Store
Wobei, eigentlich ist das ganz praktisch. Wir haben tatsächlich nur unseren Kindern gesagt, dass sie ein neues Geschwister erhalten haben. Die haben es dann auf dem Schulweg und in der Schule erzählt und sobald die ersten Pensionärinnen und Pensionäre den Wind rochen, fegte eine Informationswelle durchs Land, die man sich für viel Geld nicht kaufen könnte.
Allerdings haben wir jetzt ein Problem: Hunderte von flüchtigen Bekannten und entfernten Verwandten in unserem Dorf und den umliegenden Gemeinden haben einen Body mit lustiger Aufschrift («Papa, hier kommen die Beine rein», hihi) einen Strampler in YB-Farben oder Badesalz (Relax-und-Wohlfühl-Bad für das Mami) gekauft, warten aber mit dem Versand, bis das Geburtskärtchen eintrifft.
Aber die Leute werden in drei Wochen denken: «Bestimmt haben alle ein Kärtchen bekommen, ausser ich.»
Materiell ist das für uns nicht schlimm, wir haben genug Bodys, Strampler und Badesalze. Aber die Leute werden in drei Wochen natürlich nicht denken: «Oh, Tschannens haben aus gesundem Pragmatismus keine Kärtchen verschickt», sondern: «Bestimmt haben alle ein Kärtchen bekommen, ausser ich. Na wartet!» Manche werden unsere Familie mit einem Fluch belegen, andere einen eilig heraufbeschworenen Walddämon auf uns hetzen.
Aber halt. Es gibt noch eine andere Möglichkeit der Geburtsankündigung, neben dem Maibaum und dem Geburtskärtchen: die Publikation. Da amtliche Publikationen im Gemeindeanzeiger pro Zeile kosten und wir nicht nur faul, sondern auch geizig sind, machen wir das gleich hier.
ÖFFENTLICHE BEKANNTMACHUNG
Gestützt auf die geltenden Bestimmungen wird folgende Anzeige publiziert:
Objekt: Geburt eines Kindes
Bezeichnung: Tertius Tschannen
Körperlänge: im ortsüblichen Rahmen
Gewicht: gemäss Bewilligung
Datum der Realisierung: September 2025
Das Vorhaben wurde ordnungsgemäss abgeschlossen und wird hiermit amtlich bekanntgegeben.
Akteneinsicht: Öffentliche Auflage der Geburtsurkunde und eines Gipsmodells des Kindes im kleinen Saal des Gemeindezentrums. Schlüssel bei Gemeindeschreiber Häberli verlangen.
Rechtsmittel: Es besteht keine Einsprachemöglichkeit. Über die Geburt wird keine Korrespondenz geführt.
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Veröffentlicht am 17. Oktober 2025.
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