Wenn «es» nicht klappt
Yay, ich bin schwanger! Nicht alle können sich darüber freuen. Wer selber einen unerfüllten Kinderwunsch hat, wird mit immer wieder damit konfrontiert. Darf man sich über die Schwangerschaft noch freuen?
Dieser Beitrag wurde 2016 erstmals veröffentlicht. Das Thema ist heute ebenso aktuell.
Vor einer Woche durfte ich im Post «Oops – we did it (again)» unser ganz privates Glück mit Euch teilen. Auch der Blick widmete dank Sommerloch meinem Bauch eine ganze Seite, und wie heute Journalismus so geht, übernahmen auch andere Medien schnell die Meldung über unseren Familienzuwachs.
Das Mail von A.
Es kamen Gratulationen von überall her, die mich sehr freuten. Und es erreichte mich auch das Mail von A.:
«Liebe Andrea
Ich würde mir wünschen, dass du einmal einen Artikel über Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch schreibst und wie sich diese fühlen könnten, angesichts «deiner» Posts (bez. der Medien) und diesem Zelebrieren von Kinder-haben und Eltern-sein.»
Ich habe A. geschrieben, dass ich ihren Wunsch durchaus berechtigt finde. Trotzdem bin ich nicht befähigt, über die Gefühle anderer zu schreiben. Ich weiss ehrlicherweise nicht, wie es sich anfühlt, einen unerfüllten Kinderwunsch zu haben und einen Beitrag über eine werdende Dreifachmutter zu lesen. Einfach nur scheisse, nehme ich an.
Und unfair.
Ich kann nur darüber schreiben, was ich selber erfahren habe, aus meiner Perspektive.
Ich frage mich oft, wie es sich anfühlen muss, eine enge Freundin zu haben, die bald das dritte Kind erwartet, wenn man selber seit Jahren versucht, schwanger zu werden. Meine Freundin hingegen weiss es. Leider. Und wenn ich einmal hätte aussetzen können, oder sogar verzichten, damit sie an der Reihe sein kann – ich hätte es sofort getan. Nur, life isn’t fair that way. Das wissen wir beide, sie und ich.
Sie freut sich trotzdem für mich. Freut sich mit mir, und zwar ehrlich. Ihre eigene Geschichte und meine, das seien zwei verschiedene, meint sie. Das Einzige, was ich nicht tun solle, sei ihr gegenüber aus schlechtem Gewissen zu schweigen. Das wäre dann keine Freundschaft mehr, in der man Freud und Leid teilen könne.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Ich liess auf mich warten
Dass ich dankbar sein muss für meine Familie, dass sie alles andere als selbstverständlich ist, das muss sie mir nicht sagen. Auch ich bin ein Kind, auf das meine Eltern acht Jahre warten mussten. Bis ich dann kam, überraschend, zwei Jahre nachdem das erste In-vitro*-Baby Luise Brown zur Welt kam, aber lange bevor die künstliche Befruchtung eine echte Option war.
Das Wissen um «meine» Geschichte, beeinflusste auch meinen eigenen Kinderwunsch und dessen Timeline – lieber früher als wenn es zu spät ist, das dachte ich schon Mitte Zwanzig.
Zur selben Zeit wurde ich vom Lindenhof Bern für die Moderation einer Diskussionsrunde angefragt. Thema: In-vitro-Fertilisation. Der Raum war voller Paare mit Kinderwunsch, bei mir auf dem Podium erzählten einige davon ihre Geschichten vom plötzlichen Erfolg. Andere teilten den Moment, in dem sie hätten realisieren müssen, dass sie niemals Eltern sein würden.
Ich habe diese persönlichen Schicksale nie vergessen. Ich hatte sie auch dann im Hinterkopf, als ich selber zum ersten Mal versuchte, schwanger zu werden.
Es war nie selbstverständlich.
Auch beim dritten Mal nicht – noch viel weniger, um ehrlich zu sein – zu viel ist in den letzten Jahren passiert. Mehrfache Fehlgeburten. Sogenannte Windeier**. Reisen ins Ausland, weil dort mehrere befruchtete Eizellen eingesetzt werden können. PCOS. All das passierte ganz nahe bei mir. Aber mir passierte es nie.
Dafür bin ich dankbar. So fest dankbar, dass ich für mich, im stillen Kämmerlein, mein Muttersein tatsächlich ein wenig zelebriere, jeden Tag.
Ich hoffe, liebe A., du kannst mir das verzeihen.
Ich habe A. angeboten, doch selber einen Post aus ihrer Sicht zu schreiben. Leider hat sie sich nicht mehr gemeldet. Dafür habe ich aber ein paar Wochen später Post von «Anna» erhalten. Ihre Geschichte erzählt sie hier.
* Bei der In-vitro-Fertilisation werden Eizellen und Spermien im Reagenzglas zusammen gebracht und die befruchteten Eizellen danach in die Gebärmutter eingesetzt. Genauer erklärt: hier.
**Ein Windei ist eine Fruchtanlage, die schon sehr früh in der Schwangerschaft zugrunde geht. Es entwickeln sich kein Dottersack und kein Embryo. Genauer erklärt: hier.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 12. September 2016 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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