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Kinder meistern Trennungen gut? Seid doch mal ehrlich!

Viele frisch getrennte Eltern erzählen mir, wie verständnisvoll und unkompliziert ihre Kinder reagieren. Ich finde: Kein Kind ist froh, wenn die Eltern auseinandergehen. Und soll das auch zeigen dürfen.

Mädchen im Schulalter mit traurigen Blick, dem die Haare abrasiert werden

«Tim hat im Fall gesagt, er findet es auch gut, dass wir uns trennen.» «Lou findet es mega schön, hat sie jetzt zwei Zuhause und zwei eigene Zimmer.» «Robin ist mega froh, dass wir jetzt nicht mehr so viel streiten

Ich kenne solche Sätze. Ich habe Varianten davon als Kind auch oft gesagt. Und sie waren allesamt gelogen.

Ich habe es auch immer so gut gemacht

Ich bin kein Scheidungskind, beziehungsweise ich bin erst mit 19 Jahren offiziell eines geworden. Aber schon als ich auf die Welt kam, bröckelte die Beziehung meiner Eltern.

Und bald darauf sass mein Vater jeden Abend allein vor dem Fernseher und meine Mutter zog sich in ihr Arbeitszimmer zurück, um mit Freundinnen zu telefonieren. Als ich neun Jahre alt wurde, trennten sie ihre Schlafzimmer und verbrachten die Wochenenden nicht mehr gemeinsam.

Nach aussen hin waren wir eine geeinte Familie, lebten in einem Einfamilienhaus am Stadtrand, mit Garten, Apfelbäumen und Rosenstöcken.

Schon früh, lange bevor ich es irgendwie hätte formulieren können, spürte ich, dass bei mir zu Hause etwas anders war.

Ich beobachtete aus dem Augenwinkel, wie die Eltern meiner besten Freundin oft Händchen hielten und sich mit einem Kuss verabschiedeten.

Ich fragte mich, wieso meine Eltern nie so etwas taten und tröstete mich mit dem Satz: «Die küssen sich halt, wenn ich grad nicht hinsehe.»

Ich muss ungefähr in der ersten Klasse gewesen sein.

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Zu jung zum selber trösten

Und genau das meine ich: Ich coachte mich selbst durch, redete mir ein, es sei alles in Ordnung. War das nicht auch das Bild, das meine Eltern in die Welt trugen? Attraktives Akademiker-Paar mit herzigem Meitschi, das auch noch intelligent und sozial kompetent ist. So konnte man sich doch zeigen.

Aber das, was man sah, war eben nur Fassade. Schon als kleiner Knopf verwirrte mich das.

Das, was ich wahrnahm, entsprach nicht dem, was man erzählte oder nach aussen vorspielte. Heute weiss ich, dass es dafür einen Namen gibt: Kognitive (oder auch emotionale) Dissonanz. Zwei verschiedene Botschaften, die nicht übereinander passen. Ein Mindfuck.

Und was als Kind noch dazu kommt: «Mami und Papi wissen doch alles. Und sie meinen es gut, sie lieben mich doch. Sie würden mich sicher nicht anlügen oder mir etwas vorspielen, was nicht ist.»

Daraus konnte ich als Kind nur schliessen, dass mit meiner Wahrnehmung etwas nicht stimmte, dass ich falsch lag. Wenn die Wahrheit war, dass wir eine Familie waren und ich es doch so gut machte, dann musste ich diese Realität irgendwie hinkriegen und -biegen.

Also machte ich es verdammt gut

Und so wurde ich ein fröhliches Kind, das gut in der Schule war, herausragend im klassischen Ballett. Andere Familien nahmen mich gerne mit in die Ferien, weil ich war so gut erzogen, sagte immer Danke und hatte gute Tischmanieren.

Ich wurde eine Jugendliche, die nie über die Stränge schlug, nie Alkohol trank, nie rauchte und kiffte, auf ihr Gewicht achtete, mit sechzehn schon Perlenketten trug und immer pünktlich war.

Ich wusste:

Wenn ich es nur gut genug mache, wenn ich hübsch und lieb und blitzgescheit bin, dann kann ich meine Eltern zusammenhalten, dann bin ich der Kitt, der die Ritzen flickt.

Auch das hat einen Namen: kindlicher Egozentrismus. Kinder beziehen alles auf sich und meinen, dass sie mit ihrem möglichst vorbildlichen Verhalten die Welt beeinflussen können. Dieses Wenn-dann-Denken ist auch ein Schutzmechanismus: So haben Kinder das Gefühl, sie können die Kontrolle über eine Situation zurückgewinnen, auf die sie faktisch kaum Einfluss nehmen können.

Laut Forschung verwächst sich das egozentrische Denken bis zum neunten Lebensjahr. Meine persönliche Erfahrung ist aber, dass empathische Kinder dazu tendieren, Verantwortung und Schuld für die Trennung, oder das Zusammenbleiben, der Eltern auf sich zu nehmen.

(Ich möchte nicht, dass das undankbar klingt. Meine Eltern haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, wollten mir ein Zuhause und ein Leben mit zwei möglichst oft anwesenden Elternteilen ermöglichen. Und sehr vieles haben sie auch sehr gut hingekriegt).

«Die Kinder machen es so gut» – come the fuck on!

Aufgrund meiner persönlichen Geschichte bin ich irritiert, wenn getrennte Paare oder Paare in der Krise mir erzählen, wie toll ihre Kinder sie unterstützen und wie sie plötzlich so ganz unkompliziert werden. Das ist nicht immer als Support zu lesen. Das kann auch pure Verlustangst und eine gefährliche Rollenumkehr sein.

Es ist nicht der Job der Kinder, sich um die Eltern zu kümmern. Kinder sollen sich zumuten dürfen, mit all ihren Emotionen.

Und wenn sie spüren, dass der familiäre Boden dafür nicht hält, werden ihre Fühler zurückzucken und sie werden sich ins Häuschen zurückziehen. Ich pflastere noch heute ein dickes Lächeln über meine Traurigkeit.

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Wenn wir so tun, als wäre alles harmonisch oder als müssten wir uns jetzt alle mal zusammenreissen, werden unsere Kinder ihre Emotionen editieren und unserem Beispiel Folge leisten. Wir sind schliesslich die Eltern, wir müssen es ja wissen.

Wenn sie uns in Tränen aufgelöst oder verzweifelt sehen, werden sie alles tun, um uns wieder auf die Beine zu helfen. Wenn sie uns mit unseren Partner:innen streiten sehen, werden sie dazwischen gehen und versuchen mit ihrer Herzigkeit Frieden zu stiften.

Aber das ist nicht ihre Aufgabe.

Sag es dem Kind

Ich will damit nicht sagen, dass man die eigene emotionale Achterbahnfahrt vor den Kindern verheimlichen soll, um sie nicht zu belasten. Ganz im Gegenteil, ich glaube, Kinder profitieren sehr davon, wenn wir ihnen vorleben, dass wir auf dem ganzen emotionalen Spektrum mitschwingen können. Und auch wir Eltern haben ein Recht auf unsere Emotionen.

Doch es ist ein schmaler Grat zwischen dem Erleben der eigenen Emotionen und der Verlockung sich an die Kinder anzulehnen, vor allem wenn sie so herzig ihre Ärmchen um unseren Hals legen und Dinge sagen, die sie von uns immer hören: «Alles wird gut, ich bin doch da.»

Wenn die Kinder es total gut machen während einer Beziehungskrise oder einer Trennung, werde ich hellhörig.

Aus Eltern- und erwachsenen Sicht befürworte ich natürlich, dass man getrennte Wege geht, wenn man sich als Partner nicht mehr findet und/oder einander nicht mehr respektvoll begegnen kann. Ich bin absolut dafür, dass man auf sich hört und geht, wenn man es nicht mehr aushält. Und gerade wenn Konflikte heftig ausgetragen wurden, kann eine Trennung auch für die Kinder im System eine Erlösung sein.

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mal ehrlich
Checkliste Trennung

Trotzdem wünschte ich mir mehr Resonanzraum für die Kinder, damit sie alle ihre Emotionen haben können. Ich kann mir vorstellen, dass man als Eltern im Trennungsprozess nicht viel Kapazität hat für Einschlafdramas und Meltdowns in der Migros. Diese sind aber ein Zeichen, dass die Kinder wagen, sich zuzumuten und ihre Verunsicherung zu zeigen, auch wenn sie nicht genau wissen wohin mit den überkochenden Emotionen.

Vielleicht können wir ihnen einfach sagen, es sei okay, wütend und traurig zu sein.

Wir können auch im eigenen Schmerz in der Rolle des Elternteils bleiben und den Raum für kindliche Trauer und Wut halten, auch wenn wir es mit ihnen schon zigmal durchgekaut haben.

Weil die Kinder müssen es nicht uns zuliebe gut machen.

Autorin

Elisa Malinverni lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Bern. Sie ist Yogalehrerin, Buchautorin, Podcasterin und Journalistin. Meistens hat sie zu viele Ideen, als für sie gut sind. www.elisamalinverni.com

Informationen zum Beitrag

Veröffentlicht am 12. November 2024.


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6 Antworten

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  1. Avatar von Nicole
    Nicole

    Was für ein wertvoller Beitrag, liebe Elisa.

    Unser Kind macht nicht mit und leidet seit 3 1/2 Jahren unter der neuen Regelung. Und jetzt bin ich grad froh drum.

    Sie erlaubt sich, für ihre Bedürfnisse Raum zu fordern und verbiegt sich nicht.

    1. Avatar von Elisa Malinverni
      Elisa Malinverni

      Liebe Nicole, oh danke für deine liebe Rückmeldung. Und ja, aus eigenster Erfahrung kann ich sagen: Wenn sie sich zumutet, fühlt sie sich sicher. Will heissen, ihr habt es verdammt gut gemacht. 🙂

  2. Avatar von M
    M

    Genau so ist es! ich habe mir den Streit/die Trennung meiner Eltern lange schöngeredet. In Wahrheit beschäftigt es mich noch immer.

    1. Avatar von Elisa Malinverni
      Elisa Malinverni

      Danke fürs Teilen, M. Es ist eine lebenslange Auseinandersetzung. 🙂 Elisa von mal ehrlich.

  3. Avatar von Valerie Sieber
    Valerie Sieber

    endlich mal jemand ders sagt. unterschreibe ich!

    1. Avatar von Elisa Malinverni
      Elisa Malinverni

      Danke Valerie für die ermutigenden Worte! Hatte bisschen Bammel vor der Veröffentlichung… Elisa von mal ehrlich.