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Habe ich ein Trauma? Infos und Tipps rund um Trauma-Arbeit

Das Wort Trauma ist in aller Munde. Was bedeutet es? In 16 Kapiteln schreibt Psychologin Julia Wenger, wie man bei sich selber genauer hinspüren kann.

Frau schwimmt unter Wasser. Ein Trauma kann das Leben enorm beeinflussen.

Ich bin Psychologin und habe trotz meiner Ausbildung kaum etwas über Traumata gewusst. Und ich sehe auch, dass viele Menschen davon keine Ahnung haben. Das möchte ich verändern. Denn Trauma ist für mich das allerwichtigste Thema, mit dem ich mich in den letzten Jahren beschäftigt habe.

Ich habe selbst intensiv Trauma-Arbeit gemacht und verschiedene Weiterbildungen zu Trauma-Heilung gemacht. Je mehr ich darüber erfahre, umso wichtiger finde ich das Thema. Meiner Meinung nach kann Trauma-Arbeit bei allen Problemen unterstützen und ist für Veränderungen aller Art sogar notwendig.

Praktisch jeder Mensch ist davon betroffen. Als Frau in einer patriarchal geprägten Gesellschaft bist du beispielsweise vermehrt gefährdet, Traumata zu erleben – etwa Gewalt, sexuelle Übergriffe, Diskriminierung am Arbeitsplatz oder medizinische Eingriffe, die nicht auf deinen Körper abgestimmt sind.

Es gibt auch die indirekte Betroffenheit, da Traumata vererbbar sind. Als Mutter oder Vater sorgst du beim Durchbrechen deiner Trauma-Muster dafür, dass deine Kinder sie nicht weitertragen. Es macht echt einen Unterschied für dich und deine Kinder.

Ich kann das aktuell direkt in meinem Leben beobachten. Vor ein paar Monaten kam mein viertes Kind zur Welt. Und vor Kurzem hat eine Freundin so etwas Schönes zu mir gesagt: Sie habe noch keine Mutter erlebt, die so entspannt und so selten wütend ist.

Das hat mich umso mehr gefreut, weil ich mich nur zu gut daran erinnere, wie gestresst ich bei meinem ersten Baby vor 10 Jahren war.

Ich kam damals nie zur Ruhe, war voll von Sorge und ständig damit beschäftigt, irgendetwas zu machen oder kontrollieren zu wollen.

Baby 4 verhält sich genau gleich wie Baby 1: Will ständig trinken, schläft nur, wenn es gehalten oder getragen wird, plagt sich mit der Verdauung und verstopfter Nase, schreit abends, wenn es nicht zur Ruhe kommt.

Wer anders ist, bin ich.

Ich habe meine tiefsten Schmerzen, Sorgen und Ängste konfrontiert und durchgelebt. Und dadurch habe ich einen anderen Umgang mit mir selbst und meinen Emotionen gelernt und reagiere anders auf meine Kinder und die vielfältigen Herausforderungen, die sich im Alltag mit ihnen ergeben.

Ich kann für mich da sein und mich beruhigen, so nervig die Situation auch ist. Na ja, fast immer. Auch ich schimpfe mal unnötig. Dafür übernehme ich auch die Verantwortung.

Nicht perfekt zu sein und auch nicht sein zu wollen, gehört zur Selbstannahme und ergibt ein gutes Vorbild für die Kinder.

Chaos, Überforderung, Streit, Fehler, kaum Zeit für mich erlebe ich alles als mehrheitlich Alleinerziehende von vier Kindern. Trotzdem bin ich innerlich ruhig, voller Vertrauen und liebe mein Leben.

Wenn es dir anders geht, und du dich erschöpft und gestresst fühlst und öfters Wutausbrüche hast oder dir zum Heulen zumute ist:

Ich fühle dich. Das kenne ich alles auch von früher. Es kann aber alles viel leichter sein. Mit meinen Texten über Traumata möchte ich dazu beitragen.

Wenn es dir jetzt etwas unwohl wird und du den Artikel blöd und wenig inspirierend findest, verstehe ich das gut. Und es kann auch gut sein, dass du überzeugt bist, selbst kein Trauma erlebt zu haben.

Doch der Haken ist, dass Traumata unbewusst und mit negativen Gefühlen verbunden sind und wir uns deswegen gar nicht damit beschäftigen wollen. Es nicht zu tun, ist aber langfristig viel schlimmer, als es zu tun.

In den folgenden 16 Kapiteln zeige ich dir auf, was ein Trauma ist, wie du bei dir selber genauer hinschauen kannst und wie Trauma-Arbeit funktioniert.

Anmerkung der Redaktion

Das Thema Trauma wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Es gibt beispielsweise Debatten darüber, wie eng oder weit der Begriff gefasst werden sollte. Oder darüber, welche Behandlungsmethoden angemessen sind. Ob Traumata über Generationen weitergeben werden. Und auch über sogenannt falsche Erinnerungen, die auf der Suche nach Traumata entstehen könnten.

Deshalb wollen wir betonen: Hier wird die Perspektive und Erfahrung der Autorin wiedergegeben.

Ganz wichtig: Menschen in vulnerablen Situationen oder Gemütszuständen sollten sich nicht ohne fachliche Unterstützung mit den eigenen Traumata auseinandersetzen.

#1 Was ist ein Trauma?

Ein Trauma ist eine psychische Ausnahmesituation, die durch ein überwältigendes Ereignis ausgelöst wird. Gemeinhin bekannt sind schwerwiegende Auslöser wie Erleben oder Beobachten von Gewalt, Sexualverbrechen, schwere Unfälle, Naturkatastrophen.

Solche Ereignisse führen bei vielen Menschen zu langwierigen psychischen Folgen, die therapeutisch behandelt werden müssen. Dies sind die sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen. Laut gängiger Meinung in der Psychologie sind sie die einzige Form, die als Trauma bezeichnet werden sollte.

Kaum bekannt ist, dass auch von aussen nicht als schwerwiegend beurteilte Ereignisse traumatisch erlebt werden können.

Insbesondere bei kleinen Kindern, da diese aufgrund ihres Entwicklungsstandes viel schneller überwältigt sind und da sie in ihrem Überleben von den Eltern oder Bezugspersonen abhängig sind.

Kinder und Erwachsene können aber auch Traumafolgen zeigen bei den folgenden Ereignissen: Gewaltsam durchgeführte medizinische Eingriffe (z. B. wenn sich wehrende Kinder für eine Prozedur festgehalten werden müssen oder Frauen bei invasiven Eingriffen unter der Geburt oder auch bei grob durch geführten gynäkologischen Untersuchungen), kleinere Unfälle wie Auffahrunfälle, Stürze, emotionale Vernachlässigung von Kindern, allein gelassen werden oder verloren gehen bei Kindern, plötzlicher lauter Lärm, extreme Hitze oder Kälte.

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Und jetzt wird es komplex.

Diese Ereignisse können ein Trauma auslösen, tun es aber nicht in jedem Fall. Anhand der Ereignisse kann man dies nicht bestimmen, nur anhand der Reaktionen.

Da die wenigsten Menschen wissen, wie die Entwicklung eines Traumas nach einem solchen Erlebnis verhindert werden kann, und da viele Betroffene Traumafolgen nicht als solche erkennen, werden die meisten dieser kleineren Traumata nicht erkannt und den betroffenen Menschen wird nicht geholfen.

Besonders schwierig zu erkennen sind die sogenannten Entwicklungstraumata. Das sind nicht einmalige, sondern wiederholt in der Kindheit gemachte Erfahrungen. Wenn Eltern beispielsweise selbst psychisch belastet sind und sich immer wieder lieblos oder unberechenbar gegenüber Kindern verhalten.

Unbewältigte Traumata können psychisch und körperlich ein Leben lang nachwirken. Das kann allerlei ungünstige Konsequenzen haben.

Kurz gesagt spalten wir Menschen in diesen überwältigenden und bedrohlichen Situationen einen Teil von uns selbst (unserer Energie, unserer Lebenskraft, unserer Emotionen oder unserer Seele) ab. Das ist ein Überlebensmechanismus, weil wir diesen Stress sonst psychisch nicht aushalten würden.

Dieser abgespaltene Teil ist unbewusst, weil wir uns auf keinen Fall an unsere Hilflosigkeit und die zugehörigen Gefühle erinnern wollen. Und das wirkt sich wiederum negativ auf unser gesamtes Lebensgefühl aus.

#2 Biologische Erklärung von Trauma

Wie in Kapitel 1 erklärt, ist ein Trauma eine biologisch sinnvolle Reaktion auf Lebensgefahr.

Einer Antilope passiert dasselbe, wenn sie von einem Löwen gejagt wird und merkt, dass sie nicht entkommen kann. Ohne dass der Löwe sie gepackt hat, fällt sie zu Boden und wird regungslos. In diesem Moment sind alle Körperfunktionen vermindert, damit der drohende Tod weniger schmerzvoll ist. Gleichzeitig schüttet sie eine grosse Menge Adrenalin, das Stresshormon, welches auf Kampf oder Flucht vorbereitet, aus.

Nun ist der Löwe abgelenkt vom vermeintlich toten Tier und die Antilope kann mit etwas Glück das Überraschungsmoment nutzen und doch noch entkommen. Wenn sie das schafft und in Sicherheit ist, schüttelt sie sich am ganzen Körper und macht dann weiter, wie wenn nichts passiert wäre.

Bei uns Menschen passiert bei einem Trauma genau dasselbe. Nur dass wir die Reaktion nicht vervollständigen.

Meist werden wir aus der Reglosigkeit oder der Schockstarre viel zu schnell herausgeholt und gönnen uns auch nicht die notwendige Ruhe, die wir nach einem grossen Schrecken brauchen.

Bewegungslosigkeit oder Hilflosigkeit sind uns unangenehm, deswegen wollen wir sie möglichst schnell beenden. Ausserdem lassen wir die Gefühle wie Todesangst und Aggression nicht aus dem Körper raus, indem wir kämpfen oder wegrennen oder den Schrecken eben richtiggehend abschütteln. Wir unterdrücken solche Reaktionen wie Körperzittern sogar aktiv, weil wir sie peinlich finden. Auch Aggression lassen wir als Gefühl kaum zu, insbesondere wir Frauen, weil es gesellschaftlich unerwünscht ist.

Somit ist einerseits die Erstarrung nicht richtig gelöst, das heisst, wir fühlen uns innerlich immer mal wieder erstarrt und spüren unseren Körper nicht. Ausserdem ist Adrenalin in unserem Körper blockiert, was zu einem Gefühl von Alarm- oder Fluchtbereitschaft und unterdrückter Wut führt.

Das Problem ist also nicht das Trauma an sich, sondern dass wir die Trauma-Reaktion nicht komplett abgeschlossen haben.

Die schlechte Neuigkeit ist, dass wir dadurch immer wieder die Trauma-Folgen erleben und uns sogar aktiv Situationen suchen, in denen sie erneut ausgelöst werden.

Die gute Nachricht ist, dass wir diesen Kreislauf durchbrechen können, indem wir die Trauma-Reaktion vervollständigen.

#3 Habe ich ein Trauma erlebt?

«Jaja, soll die nur reden, ich habe bestimmt kein Trauma.»

Wenn du das denkst, dann lies unbedingt weiter. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass du dich nicht erinnerst, wenn du ein Trauma erlebt hast.

Das ist einerseits so, weil wir in der frühen Kindheit besonders vulnerabel für Traumata sind. Wie bereits geschrieben, kann so etwas scheinbar Banales wie von den Eltern allein gelassen zu werden oder verloren gegangen zu sein, eine Trauma-Reaktion hervorrufen. Ebenso, wenn immer wieder unsere Bedürfnisse als Babys oder Kleinkinder nicht erfüllt wurden.

Dies betrifft fast alle Erwachsenen, war es doch früher eine verbreitete Praxis, Babys der Mutter nach der Geburt direkt wegzunehmen, sie nur alle vier Stunden zu stillen oder sich in den Schlaf schreien zu lassen.

Gleichzeitig sind wir im Alter von 0-3 Jahren in der sogenannten vorsprachlichen Phase. Das Gedächtnis von Babys und Kleinkindern funktioniert noch nicht so wie das Gedächtnis von älteren Kindern und Erwachsenen. Erinnerungen sind nicht als logische Abfolgen von Ereignissen, also in Form von Geschichten, gespeichert. Stattdessen sind es eher einzelne Sinneseindrücke und Gefühle.

Die Welt ist für Kleinkinder sowieso überwältigend und daher haben traumatische Erfahrungen einen solch grossen Einfluss auf die weitere Entwicklung.

Nun erzähle ich dir mein persönliches Beispiel:

Ich wäre bei meiner Geburt beinahe gestorben und war direkt nach der Geburt wegen den Komplikationen mehrere Stunden von meiner Mutter getrennt. Ausserdem habe ich als ganz kleines Mädchen einen sexuellen Übergriff erlebt.

An beides hatte ich keinerlei Erinnerung. Die Erinnerungen kamen erst ganz bruchstückhaft wieder, als ich mich aufgrund völlig anderer Themen und Probleme in meinem Leben in den letzten Jahren intensiv mit mir selbst beschäftigte.

Auch abgesehen von den frühkindlichen Traumata sind traumatische Erlebnisse für erwachsene Menschen überwältigend. Sie sind mit massiven negativen Gefühlen (Schrecken, Todesangst, Wut) verbunden.

Weil wir diese Erfahrung psychisch nicht aushalten, spalten wir sie ab. Dies dient unserem weiteren Überleben.

Es kann sein, dass sich Erwachsene, wie bei einem Filmriss, an gewisse Situationen wie beispielsweise Unfälle nicht mehr erinnern. Es kann aber auch sein, dass sie sich an die Ereignisse erinnern, diesen aber nicht die Bedeutung, die sie haben, beimessen.

So können Menschen völlig unbetroffen beispielsweise über eigene Gewalterfahrungen sprechen und der vollen Überzeugung sein, es sei nicht schlimm gewesen und sie hätten keine Angst gehabt.

Problematisch dabei ist, dass die zum Erlebnis zugehörigen starken Gefühle und Empfindungen sowie die negativen Gedanken und das Erleben von Hilflosigkeit weiterhin im Körper gespeichert sind. Sie schlummern also jederzeit in uns. Und können jederzeit durch irgendwelche äusseren Umstände, sogenannte Trigger, hervorgeholt werden.

Beispielsweise nervt dich dein Mann, weil er etwas vergessen hat. Du tickst aus und schreist ihn deswegen an. Oder du läufst traurig, enttäuscht und beleidigt davon.

Mag sein, dass er einen Fehler gemacht hat, aber für die Wut oder Traurigkeit und das Gefühl von «Immer muss ich alles selbst machen!» bist du selbst verantwortlich. Eine erwachsene, nicht traumatisierte Person, kann in Alltagssituationen auch mit intensiven Emotionen auf eine konstruktive Art umgehen.

Es ist kein Vorwurf an dich, wenn du das noch nicht oder nicht immer kannst. Es gibt eine gute Erklärung dafür und eine unangenehme, aber recht einfache Art, damit umzugehen.

Falls du dir nach dem Gelesenen Sorgen um dich selbst oder vielleicht auch um deine Kinder machst, melde dich bei mir oder bei einer Fachperson deines Vertrauens. Hilfe ist möglich, was auch immer passiert ist.

#4 Detektivarbeit an sich selbst

Irgendwo zuunterst in deinem Unterbewusstsein ist das ursprüngliche Trauma gespeichert. Ganz wichtig: Du bist immer gesund, heil und ganz.

Nichts an dir ist kaputt, auch wenn es sich manchmal so anfühlt.

Aber ein Teil deiner Energie, deiner Gefühle und deiner Gedanken sind aufgrund eines Erlebnisses, an das du dich mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht erinnerst, blockiert. Diese Gefühle und Erinnerungen wollen gefühlt werden, sind aber abgespalten.

Es gibt verschiedene Verhaltensweisen:

A) Du wiederholst selbst Situationen, in denen die gleichen Gefühle, Empfindungen und Gedanken wieder aufkommen.

B) Du reagierst auf Situationen und Menschen mit diesen Reaktionen, auch wenn das nicht passend ist. Das sind dann die sogenannten Trigger.

Bei Variante A bringst du dich selbst in Gefahr. Etwa, indem du dich mit Menschen umgibst, die dir nicht gut tun. Oder indem du dich risikoreich verhältst oder du Sachen machst, die dir schaden wie pausenlos arbeiten, Substanzen- oder Medienkonsum.

Bei Variante B interpretiert dein System Situationen oder Menschen als Gefahr, die gar keine sind. Mit deiner Reaktion und deinem Verhalten beeinflusst du wiederum die Situation und die anderen Menschen, was negative Konsequenzen für dich hat.

Ein Beispiel: Ein Kind hat negative Beziehungserfahrungen mit seinen Eltern gemacht, empfindet alle Erwachsenen als Bedrohung, reagiert gegenüber der neuen und erst neutral eingestellten Lehrperson oppositionell, worauf diese Lehrperson streng wird und weniger Sympathie für das Kind aufbringt.

A und B sind Teufelskreise, die dazu führen, dass du immer wieder sogenannte Retraumatisierungen erlebst. Also ein erneutes Erleben der Hilflosigkeit, der negativen Beziehungserfahrungen und der negativen Gefühle. Das hat einen negativen Einfluss auf deinen Selbstwert, dein Wohlbefinden und deine Energie und somit auf dein gesamtes Leben.

Wenn du diese Muster nicht angehst, können sie sich zu einer Depression, Angststörung, Essstörung, Suchterkrankung oder zu einer körperlichen Erkrankung verstärken.

Die Folgetraumata legen sich wie Zwiebelschalen über dein eigentliches gesundes Ich.

Die Bearbeitung von Traumata ist daher eine Art Detektivarbeit. Sie setzt immer bei der äussersten Schicht an. Diejenige Schicht, die deinem Bewusstsein gerade zugänglich ist. Das macht die Trauma-Arbeit zu einer langwierigen und nicht kontinuierlichen Sache.

Manche Schichten kannst du selbst aufdecken und bewältigen. Aber für manche grössere und heftigere Schichten brauchst du Hilfe von aussen. Weil die Abspaltungen zu stark sind und für eine aussenstehende und professionelle Person einfacher zugänglich.

Es empfiehlt sich aber sowieso, eine liebe und verständnisvolle Person an deiner Seite zu haben. Einer dieser Menschen, die alle Gefühle aushalten können und die nichts komisch finden und beurteilen.

Gerade die tiefen Scham- und Schuldgefühle halten uns davon ab, uns über unsere Traumathemen zu unterhalten. Das, was dir die grösste Angst macht und die tiefste Scham auslöst, mit jemandem zu teilen, ist sehr heilsam.

Own your shit – Die eigenen tiefsten Abgründe voll anzuerkennen, ist der erste wichtige Schritt in der Trauma-Arbeit.

Ohne Ausreden und Ablenkungen.

Ein kleines Beispiel:

Du hast begonnen, jeden Abend ein Glas Wein zu trinken. Ein tägliches Glas scheint dir eine gesunde Menge zu sein und du hast jetzt ja auch gerade viel Stress und musst dir etwas Gutes tun. Alles Ausreden!

Es geht mir nicht um das Glas Wein und auch nicht um die Tafel Schokolade, den Netflix-Marathon oder die Schwärmerei für deinen sexy Arbeitskollegen. Du darfst machen, was immer du willst.

Aber es besteht eine gewisse Chance, dass diese Dinge für dich eine Ablenkung von einem tieferliegenden Problem sind. Und es für dich viel besser wäre, dich diesem Problem anzunehmen.

Die gute Nachricht ist, dass die äusseren Zwiebelschichten durchaus im Bewusstsein sind.

Ich habe zum Beispiel sehr wohl bemerkt, dass ich, wenn mir ein Typ im Ausgang an den Po gegriffen hat, stocksteif geworden bin, mich nicht wehren konnte und mich dabei ganz schrecklich fühlte.

Oder dass Streit und sogar Meinungsverschiedenheiten ein solch unangenehmes Gefühl in mir auslösten, dass ich mich lieber aus der Situation verdrückte oder der anderen Person recht gab, obschon ich nicht einverstanden war. Mit verschiedenen negativen Konsequenzen für mich, z. B. dass ich viele Dinge tat, die ich eigentlich gar nicht wollte.

Wenn das nächste Mal dein Impuls nach einer Ablenkung kommt (und du weisst ganz genau, welche deine ist, stimmt’s?), könntest du diese auslassen und stattdessen dir selbst auf den Zahn fühlen. Also nicht zum Glas Wein, zur Schokolade, zum Handy o.Ä. greifen, sondern dich fragen:

Hier ein paar generelle Fragen, wenn du sogar noch tiefer bohren möchtest:

#5 Was ist eine Trauma-Reaktion und was hilft dann?

Ein Trauma muss nicht zu langfristigen Problemen führen, wenn die normale Trauma-Reaktion durchlaufen werden kann, wenn über das Geschehene gesprochen werden kann und die betroffene Person in ihrer Wahrnehmung und ihren Gefühlen ernst genommen wird.

Geschieht etwas Überforderndes, darf erst einmal der Schockzustand oder die Erstarrung eintreten. Das ist eine natürliche und gesunde Reaktion.

Manchmal beginnt der Körper, willkürlich zu zittern. Auch dies ist ein wichtiges und gutes Zeichen. Das alles darf passieren und muss zugelassen werden. Hilfreich ist es, wenn die Person dabei nicht allein gelassen, sondern sanft berührt wird. Es ist auch möglich, mit ihr zu sprechen und zu sagen, dass diese Reaktion ganz normal und wichtig ist.

Später werden sich vermutlich verschiedene, teilweise sehr unangenehme Gefühle zeigen. Auch diese sind wichtig und richtig und dürfen sein.

Einen Menschen zu haben, der einen in der eigenen Hilflosigkeit, Wut und Trauer begleitet, ist dabei Gold wert. Dieser Mensch muss nichts tun und erst recht keine Ratschläge geben, sondern einfach da sein. Wenn nötig immer wieder.

Aussagen wie: «Da solltest du langsam darüber hinweg sein.» oder «Das war doch gar nicht so schlimm.» sind katastrophal und blockieren den Heilungsprozess. Im Gegenteil darf eine traumatisierte Person ermutigt werden, diese Gefühle auszudrücken und möglichst auch auszuleben (schreien, weinen, bewegen).

Wenn Erinnerungen zurückkommen, und seien sie noch so schwammig, ist es wichtig, diese anzuhören und ernst zu nehmen.

Ausserdem folgt ein grosser Ruhebedarf. Auch dieser darf und muss zugelassen werden. Menschen sollten sich nach einem schwierigen Ereignis nicht ablenken, sondern so viel Stille und Ruhe wie möglich erfahren. Und wenn etwas getan wird, sollte es etwas sein, das ihnen gut tut.

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#6 Die Folgen von Traumata

In Kapitel 5 habe ich beschrieben, was bei einer Trauma-Reaktion hilfreich ist. Leider wird oft nichts von all dem gemacht. Mit der Folge, dass wir uns selbst nicht mehr trauen, gewisse Situationen und Themen vermeiden und unseren Körper und unsere Gefühle nicht mehr richtig wahrnehmen.

Hier findest du nochmals ein paar Fragen, mit denen du möglichen eigenen Traumafolgen nachspüren kannst.

Wenn du dir jetzt denkst, dass diese Punkte doch alle normal sind, liegt das daran, dass wir uns als Gesellschaft daran gewöhnt haben, dass Traumafolgen normal sind.

Ganze Generationen vor uns sind traumatisiert und haben dies vorgelebt und weitergegeben.

Wenn irgendeiner oder mehrere der obengenannten Punkte auf dich zutrifft, ist das nicht schlimm. Es ist insofern normal, als dass Trauma eine sinnvolle Reaktion auf Bedrohung ist, die uns hilft zu überleben.

Aber in unserer modernen Gesellschaft geht es bei den meisten Menschen nicht mehr ums Überleben. Daher können wir diese alten Muster verändern und dafür sorgen, dass es uns und unseren Kindern besser geht. Und das finde ich eine ziemlich grandiose Chance, die möglichst viele Eltern packen sollten.

#7 Was ist für Mütter und Väter wichtig?

Wieso ist das Thema Trauma für dich als Mutter/Vater so wichtig? Einerseits werden Traumamuster genetisch weitervererbt. Zum Beispiel zeigen Kinder, deren Eltern Krieg erlebt haben, sie selbst aber nicht, eine erhöhte Aggressivität.

Wenn ungelöste Traumata bestehen, geben Eltern diese auch als Vorbilder und durch ihr Verhalten an die Kinder weiter.

Nehmen wir das Beispiel Unfälle: Du hattest als Kind einen traumatisch erlebten Unfall. Das kann sich in deinem Verhalten gegenüber dem Kind auf zwei Arten zeigen.

  1. Du bist übervorsichtig. Du lässt das Kind nie unbeaufsichtigt, mahnst es ständig, aufzupassen und bewahrst es vor vermeintlichen Gefahren, indem du es beispielsweise vom Baum runterhebst oder auf Bäume klettern verbietest.
  2. Du bist achtlos und überlässt das Kind sich selbst. Gefahren erkennst du nicht (weil dieser Teil abgespalten ist) und du reagierst kaum, wenn dein Kind sich wehtut. Vielleicht wirst du dann auch wütend oder lachst darüber, wie die Menschen, die Videos der Unfälle ihrer Kinder zur Belustigung anderer verbreiten.

Du bist kein schlechter Mensch, wenn du dich so verhältst. (Und ganz nebenbei gesagt: das übervorsichtige Elternteil oder das Elternteil, das sein Kind völlig unbeaufsichtigt lässt, ist nicht blöd.) Aber für dein Kind ist es besser, wenn du dich fragst, wieso das so ist.

Denn was dein Kind dadurch lernt, ist bei 1. «Die Welt ist furchtbar gefährlich. Ich kann mir nichts zutrauen und Gefahren nicht selbst einschätzen.» und bei 2. «Dass schlimme Dinge passieren, ist normal. Ich bin allein damit und meine Gefühle sind nicht wichtig.»

Das Kind hat selbst kein Trauma erlebt, aber die Reaktion auf die Welt und deren Herausforderung ist eine traumatisch geprägte Reaktion.

Zudem reagiert dein Kind sowieso viel mehr auf deine Emotionen als auf das, was du sagst oder tust. Es spürt alles, auch deine unterdrückte Angst oder Wut in einer Situation, kann die Gefühle nicht einordnen und bezieht sie dann gemäss der Kinderlogik auf sich.

Dein Kind denkt, es habe etwas falsch gemacht.

In der Gedankenwelt eines Kindes kann es nicht sein, dass die Eltern etwas falsch machen. Psychologisch ist das sinnvoll, weil Kinder komplett von ihren Eltern abhängig sind.

Dass ein Kind glaubt, es sei böse, nicht gut genug oder was auch immer, ist ein weiterer Überlebensmechanismus, der im Moment hilfreich ist, sich später im Leben aber verheerend auswirken kann.

Ausserdem sind deine Kinder die grössten Trigger.

Bevor du Kinder hast, ist es ziemlich einfach, deine Emotionen zu unterdrücken und dich abzulenken. Kinder aber sind vollkommen emotionale Wesen. Sie erleben und zeigen Emotionen in ihrer natürlichen Form, nämlich als spontane und kurzzeitige Zustände. Sie können in einem Moment einen Wutanfall haben, dann lachen und dann wieder weinen.

Emotionen sind für Kinder der völlig normale Ausdruck ihres Befindens und eine natürliche Form der Kommunikation. Sie sind nicht bedrohlich und sie sind auch schnell wieder vorbei.

Eine traumatisierte erwachsene Person erlebt das völlig anders. Sie erlebt Gefühle als etwas Bedrohliches, das weggeschoben werden muss. In unserer Gesellschaft wird dieses Verhalten auch verstärkt. «Sei nicht so emotional.» ist ein klarer Vorwurf. Dabei sind wir alle zutiefst emotionale Wesen. Wir haben zwar den Zugang zu unseren Emotionen verloren, vorhanden sind sie dennoch.

Somit sind viele Eltern nicht in der Lage, adäquat auf die Gefühle ihrer Kinder einzugehen. Selbst die positive Emotion der Freude und der unbändige Lebenswille der Kinder, können einem traumatisierten Elternteil unangenehm sein.

Daher erleben die meisten Kinder emotionale Vernachlässigung durch ihre Eltern, was wiederum eine Traumatisierung auslösen kann. Und falls du denkst, körperliche Gewalt sei schlimm, aber emotionale Vernachlässigung kein echtes Problem:

Emotionaler Schmerz aktiviert die genau gleichen Hirnareale wie körperlicher Schmerz und wird somit gleich schlimm erlebt.

Körperliche Gewalt und emotionale Vernachlässigung geschehen in den seltensten Fällen gezielt und bewusst. Diese Themen sind vielschichtig.

Vielleicht haben deine Eltern deine Bedürfnisse als Kind oftmals übergangen. Du hast aufgrund dieser Erfahrungen den Glaubenssatz «Ich bin nicht wichtig» so sehr verinnerlicht, dass du ständig deine eigenen Grenzen übergehst, um für deine Kinder da zu sein. Unterschwellig verspürst du deswegen einen Groll gegen deine Kinder und gelegentlich explodierst du.

Deine Kinder leben dadurch mit dem schwammigen Gefühl: «Es ist etwas falsch mit mir.». Sie reagieren mit Kampf (z. B. Wutanfälle, Widerstand), Flucht (z. B. Rückzug, Träumen, Medienkonsum) oder Einfrieren (z. B. Teilnahmslosigkeit, Unselbständigkeit). Diese Reaktionen triggern dich wieder und schon habt ihr den Teufelskreis.

Das ist – und ich wiederhole mich – in unserer Gesellschaft ganz normal. Es passiert vielen.

Wie kannst du den Trauma-Kreislauf unterbrechen, damit du all den Mist nicht deinen Kindern mitgibst?

Die Grundlage ist deine eigene Trauma-Arbeit. Wenn du deine Themen löst, verhältst du dich deinen Kindern gegenüber automatisch anders und bist ein Vorbild, wie man mit schwierigen Erlebnissen umgehen kann.

Deine Kinder sind niemals falsch. Sie sind deine besten Lehrmeister und spiegeln dir immer nur deine eigenen Themen. Das nächste Mal, wenn ein Kind eine Emotion oder ein für dich nerviges Verhalten zeigt, mach erstmal gar nichts. Atme tief in den Bauch. Beobachte dich selber.

Was auch immer es ist, das du fühlst, denkst oder brauchst, es darf sein. Anerkennung von dem, was ist, ist der erste Schritt zur Trauma-Heilung.

Es kann auch sein, dass du erst einmal keinen klaren Gedanken fassen kannst, nichts Konkretes fühlst oder deinen Zustand nicht beschreiben kannst. Das ist in Ordnung, denn auch dieser Prozess braucht Zeit. Danke dir selbst, dass du diese wichtige Arbeit machst.

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#8 Auswirkungen auf Beziehungen oder Sexualität

Nebst den Kindern sind unsere Partner:innen unsere grössten Trigger. Das heisst, sie dienen oft als Auslöser und Zielscheiben unserer Gefühle.

Was die Beziehung zu unseren Parter:innen aus Traumasicht spannender macht als diejenige zu unseren Kindern, ist die Tatsache, dass wir unsere Gegenüber selbst ausgesucht haben. Und dass uns Unbewusstes dazu verleitet, erlebte Traumaerfahrungen immer wieder zu wiederholen.

Das heisst: Wir suchen uns genau das Gegenüber, welches das Schlimmste in uns hervorholt. Dadurch versuchen wir unbewusst, das erlebte Trauma aufzuarbeiten und zu reintegrieren.

Bleibt man in seinen Traumamustern stecken, gibt es die drei bekannten Trauma-Reaktionen: Kampf (Fight), Flucht (Flight) oder Erstarrung (Freeze). Diese zeigen sich aber erst nach einer gewissen Zeit in einer Beziehung, nämlich dann, wenn eine grosse emotionale Nähe hergestellt ist.

Der Kampfmodus ist wohl am einfachsten zum Nachvollziehen: Das sind diejenigen Paare, die ständig streiten oder wo einer der beiden häufig Streit sucht, im Extremfall richtig angriffig wird und die andere Person heruntermacht.

Der Fluchtmodus kann unterschiedlich aussehen. Bei manchen kann es sehr viel Arbeiten sein, bei anderen der totale Fokus auf die Kinder. Die Flucht kann sich auch durch fehlenden Bindungswillen zeigen, oder durch schnelle Trennungen, wenn es in Beziehungen schwierig wird. Oder durch Rückzug und Vermeiden von Konflikten.

Den Modus der Erstarrung finde ich besonders interessant. Häufig fühlen sich Menschen in langjährigen Beziehungen wie gefangen und nicht mehr richtig lebendig. Auch nicht mehr der anderen Person wirklich nahe. Man lebt nebeneinander her, ist aber nicht mehr wirklich miteinander und auch nicht mit sich selbst verbunden. Manchmal sieht man ältere Paare (oder auch Einzelpersonen), die sich fast schon roboterhaft bewegen und deren Gesichtszüge erstarrt aussehen. Meine Vermutung ist, dass dies alles Traumareaktionen sind.

Es gibt auch die sogenannten Traumabindungen. Menschen, die frühe traumatische Erfahrungen in nahen Beziehungen innerhalb der Familie gemacht haben, können diese als Erwachsene in problematischen Beziehungen mit ebenfalls Traumatisierten wiederholen.

Diese Menschen fügen sich in der Beziehung aufgrund der Traumata gegenseitig erneute Verletzungen zu und schaukeln sich darin hoch. Sie kreieren ein Drama und ein konstantes Auf und Ab und verwechseln die intensiven Gefühle dabei mit Liebe. Beziehungsweise ist oft auch tatsächlich viel Liebe da, aber die gespeicherten Traumareaktionen werden zunehmend stärker und damit auch die Schmerzen und die Verzweiflung.

Soweit so schlimm. Doch es ist möglich, Traumamuster zu durchbrechen.

Weil es sich lohnt, in einer Beziehung zu bleiben und daran zu arbeiten.

Denn eines ist garantiert: Wenn du deine eigenen Muster nicht veränderst, kannst du deine Beziehungsperson heute auf die Strasse stellen und wirst die gleichen Probleme aber in der nächsten Beziehung früher oder später wieder erleben.

Also, auch wenn das niemand gern hört: Dein Gegenüber ist nicht dein Problem. Du selbst bist es. Hier ein paar Fragen, die dir bei der weiteren Detektivarbeit helfen können.

Ein besonders gutes Feld für Trauma-Erforschung und -Heilung ist die Sexualität. Häufig ist diese stark mit Scham- und Schuldgefühlen verbunden.

Unser Geist ist so genial, dass er sexuelle Vorlieben und Fantasien formt, bei denen wir die unangenehmen Erfahrungen und zugehörigen Emotionen auf eine für uns lustvolle Weise neu erleben können. Blöderweise können uns diese Vorlieben und Fantasien dann daran hindern, stabile und liebevolle Beziehungen einzugehen oder in diesen Lust zu empfinden.

Fragen dazu wären:

#9 Was bewirkt Trauma-Arbeit?

Die ganzen schwierigen Themen haben wir geschafft. Nun geht es endlich um die positive Seite von Trauma.

Trauma-Reintegration macht Angst und dauert eine ganze Weile. Sie hat aber einen bemerkenswerten Nutzen: Nahezu alle Menschen, die sie durchlaufen, erleben einen tiefen spirituellen Effekt.

Gemäss verschiedenen buddhistischen und taoistischen Traditionen hat Trauma das gleiche Potential für die Menschen wie Sexualität, Meditation, Geburt und Tod. Sie alle sind Portale zu tiefer Hingabe und Erweckung. Trauma-Arbeit schafft somit eine direkte Verbindung zu Gott, oder wie auch immer du diese Kraft nennen magst.

Indem wir unsere Traumata auflösen, betreten wir eine vollkommen neue Welt.

Alle Illusionen von Sicherheit fallen weg und eine vollkommen neue Art des Seins beginnt.

Wenn wir Traumata heilen, wird blockierte Energie freigesetzt. Unsere Energie ist nicht mehr beschränkt auf Flucht und Kampf. Dadurch können grosse Veränderungen passieren. Denn diese Energie können wir einsetzen für alles, was uns wichtig ist.

Die Begleiter sind eine ungekannte Freiheit und Lebensfreude. Du kannst es dir vorstellen wie ein Sterben und eine Wiedergeburt. Verschiedene philosophische und spirituelle Traditionen besagen, dass wir genau diese Schmerzen und deren Heilung erleben müssen, um daran zu reifen und zu wachsen. Weil wir in der Krise uns selbst begegnen und gleichzeitig Demut angesichts unseres Schicksals lernen.

Mag sein, dass wir deswegen unser Leben nicht komplett umkrempeln. Aber wir erleben unsere Beziehungen tiefer, sind bewusster in unserem Alltag, arbeiten kreativer, lachen mehr und empfinden mehr Sinn und Zugehörigkeit zu einem grossen Ganzen. Vor allem sind wir mehr uns selbst. Und die Welt braucht uns alle in unserer Einzigartigkeit.

#10 Die Wichtigkeit von Ruhe

Die Nummer 1 Methode zur Trauma-Verarbeitung und auch -Reintegration ist Ruhe.

Ja, ich weiss schon. Dafür hast du keine Zeit. Es gibt ja soooo viele Dinge, die du tun musst!

Traumatisierte Personen haben gern viel zu tun, denn dadurch können sie sich von ihren Traumata ablenken. Sie sind Workaholics, Supermoms und -dads, engagiert in Vereinen und freiwilligen Aktivitäten, super Gastgeber:innen, fleissige Sportler:innen usw. (Ich weiss wovon ich rede, mein meist gehörtes Kompliment ist: «Was du alles machst/schaffst!»)

Während der Pandemie kamen einige etwas ins Straucheln, denn plötzlich gab es nicht mehr so viel zu tun. Mir ging es anders.

Mein Mann war nach der ersten Home-Schooling Woche ausgezogen. Meine Ehe war definitiv zu Ende, meine Lebensillusion geplatzt, meine Zukunft völlig unsicher, mein Au-pair war krank daheim, meine Eltern durften uns nicht besuchen, meine Freundinnen auch nicht und die Kinder durften nicht zu ihren Freunden. Ich kam an den Punkt, an dem ich einsah, dass selbst ich (die doch immer so stolz auf ihre Belastbarkeit und Resilienz war), das alles nicht schaffen konnte.

Ich gab auf. Und das war das Beste, was ich jemals in meinem Leben getan habe.

Arbeitsaufträge von Schule und Kindergarten, E-Mails von der Arbeit zu Covid-Schutzkonzepten, Dreck und Staub im Haus, kaputte Spielsachen, Menuplanung… alles egal. Ich habe regelmässig einen Satz zu den Kindern gesagt, den sie noch nie zuvor gehört hatten: «Hört zu, ich mag jetzt nicht mehr. Ich lege mich ins Bett und will nicht gestört werden.»

Zu meinem grossen Erstaunen haben meine Kinder in diesen Zeiten immer ganz friedlich gespielt. Zuvor habe ich nach aussen vielleicht stets funktioniert und war permanent für sie verfügbar – aber sie spürten sicherlich meine innere Zerrissenheit. Dass ich nun signalisierte, wann ich nicht mehr kann und Zeit für mich brauche, schien unser System eher zu beruhigen.

Durch meine Pausen kam ich innerlich zur Ruhe. Ich glaube, das war es, was die Kinder gespürt haben und weshalb sie auch ruhig wurden. Letztendlich spiegelten meine Kinder meine innere Befindlichkeit.

Die Welt ging nicht unter. Nichts passierte.

Im Äusseren. Dafür in meinem Inneren. Zuerst kam die Angst, so viel Angst, dann die Wut und zuletzt die Trauer.

Die Erinnerungen kamen. Die Dinge, die ich nicht wahrhaben wollte über mich und mein Leben. Die Selbstlügen. Die Schmerzen. Die ständige Anspannung, die ich als normal erachtet hatte. Und gleichzeitig kam eine verstärkte Wahrnehmung. Plötzlich sah ich die Blumen blühen, nahm Düfte intensiver wahr, spürte meinen Körper auf eine neue Art und Musik berührte mich noch mehr als früher.

Kreativität kam, ein tiefes Empfinden von Sinn, eine riesige Freude, lebendig zu sein, eine Intuition, die mich genau das machen lässt, was mir gerade guttut und Vertrauen in mich selbst, in andere und in die Welt. Meine Stimme veränderte sich, mein Ausdruck, meine Gedanken, mein ganzes Leben. Neue Menschen kamen in mein Leben und Beziehungen vertieften sich.

Ich könnte ewig so weiterschreiben, denn ich bin nach wie vor hin und weg von diesem Wunder.

Ich wünsche dir, dass du es auch erlebst. Also gib auf und ruhe dich aus. Netflix schauen und Social Media scrollen ist keine Ruhe.

Ruhe ist Ruhe. Nichts tun und wenn möglich auch nichts denken.

Sie ist völlig ungewohnt, braucht daher Überwindung und muss wie alles im Leben trainiert werden. Der Verstand wird durchdrehen, dir tausend Gründe aufzählen, wieso Ruhe jetzt nicht möglich ist und während der Ruhe To-do-Listen in deinem Geist vorbeiziehen lassen. Das macht nichts. Halte es aus und ruhe dich trotzdem aus. Irgendwann wird er leiser und manchmal sogar ganz still.

Wer sich direkt nach einem Unfall, einer Krankheit oder einem unangenehmen Erlebnis viel Ruhe gönnt, der hat ein deutlich geringeres Risiko, an Traumafolgen zu leiden.

Unser Körper braucht Ruhe, um Dinge zu verarbeiten. Alles ist erlaubt, damit du ausruhen und genug schlafen kannst. Das ist das Beste, was du für dich tun und deinen Kindern vorleben kannst.

Sein statt machen.

Sehr unpopulär in unserer Leistungsgesellschaft. Und wenn du nicht weisst, wie das geht, kannst du dir ganz einfach deine Kinder zum Vorbild nehmen. Die liegen auch immer mal wieder einfach so am Boden rum. Oder schlafen bis zum Mittag, wenn sie Teenager sind. Statt dich darüber zu ärgern, mach es ihnen gleich. Und beobachte, was dabei mit dir passiert.

#11 Das Nervensystem beruhigen

Bevor du in eine Trauma-Arbeit startest, ist es wichtig zu wissen, wie du dich in einen stabilen und positiven Zustand versetzt. Weil es ja eben heftig, verwirrend und überwältigend werden kann und viel Angst macht.

Das Gefühl, ausgeliefert zu sein und nichts dagegen tun zu können, ist das Schlimmste an einer traumatischen Erfahrung.

Dieses Gefühl von Überwältigung kann immer wieder in verschiedenen Situationen auftauchen. Du kannst es dir so vorstellen, dass das Nervensystem sich in einer andauernden Alarmbereitschaft befindet und ständig auf der Hut ist, um auf auftauchende Gefahren zu reagieren.

Zu lernen, dass man sich aktiv aus diesem Zustand rausbringen kann, ist eine enorm wichtige Erfahrung.

Das erste Tool dafür ist Erden oder Zentrieren. Dafür reicht es, sich gerade hinzusetzen und die Füsse gut am Boden, den Po auf der Unterlage und die Hände auf der Stuhllehne oder den Beinen zu spüren. Dabei tief atmen.

Du kannst im Schneidersitz auf den Boden sitzen und dir vorstellen, dass Wurzeln aus Beckenboden und Sitzbeinhöckern in die Erde hineinwachsen. Oder stehend kreisen oder hin und her bewegen, bis du ganz gerade und in deiner Mitte ausbalanciert dastehst. Barfuss im Gras laufen ist auch ganz wunderbar.

Das zweite Tool ist der Aufbau von Ressourcen. Was tut dir gut, gibt dir ein leichtes Gefühl und bringt dich zum Lächeln? Vielleicht ist es eine Person oder eine Situation, an die du denken kannst. Vielleicht es eine kreative Tätigkeit wie Malen oder Schreiben. Vielleicht ist es eine leichte Bewegung wie Spazieren, Tanzen oder Yoga. Vielleicht ist es eine Eigenschaft oder Einstellung, die hilft, mit schwierigen Situationen klar zu kommen.

Mach dir eine Liste mit diesen Ressourcen. Hab die Liste immer dabei. Wenn du von etwas überwältigt oder verzweifelt bist, schau auf die Liste.

Das dritte Tool ist die Beruhigung des Geistes. Vielleicht magst du eine einfache Form von Achtsamkeitsübung oder Meditation ausprobieren. Vielen traumatisierten Menschen fallen Meditationen allerdings schwer, weil sie von Gedanken und inneren Eindrücken überschwemmt werden, statt zur Ruhe zu kommen.

In diesem Fall hilft es, die Augen offen zu halten und sich auf seine Sinneswahrnehmungen zu fokussieren. Beispielsweise in eine flackernde Kerze, Wellen eines Sees oder sich im Wind bewegende Äste zu schauen. Oder auch ganz einfach im Raum aktiv Dinge wahrnehmen, die man sehen, hören, fühlen und vielleicht auch riechen oder schmecken kann. Das beruhigt sofort in jeder Situation.

Genauso beruhigt die Konzentration auf den eigenen Atem. Du kannst dein eigenes Ein- und Ausatmen bewusst wahrnehmen und im Körper spüren.

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#12 Körperwahrnehmung

Die Trauma-Arbeit oder Reintegration ist der schwierigste Teil, der viel Übung, Zeit, Ausdauer und Ruhe braucht. Auf keinen Fall solltest du dich damit überfordern. Sobald es zu viel wird, hör sofort auf und mache eine der im letzten Text beschriebenen Methoden zur Erdung, zur Aktivierung von Ressourcen und zur Beruhigung des Geistes.

Die Körperwahrnehmung ist der wichtigste Teil, ohne den Trauma-Heilung nicht passieren kann. Da kannst du noch so viel meditieren, eigene Glaubensmuster analysieren und schöne Affirmationen aufschreiben.

Wenn Erinnerungen noch im Körper gespeichert sind, werden diese dein Verhalten immer wieder beeinflussen.

Auch wenn wir unsere Körper gern so behandeln, als seien diese von uns abgespalten und sollten durch den Verstand kontrolliert werden, sind wir unsere Körper. Und unsere Körper sind die wichtigsten Botschafter unseres seelischen Erlebens. Über unsere Körper fühlen wir direkt, schnell und intuitiv.

Nochmals zur Erinnerung: Während eines traumatischen Erlebnisses werden gleichzeitig heftige Gefühle (vor allem grosse Angst) erlebt und es passiert ein Erstarren des Körpers und ein Herabfahren der Körperfunktionen. Das ist eine Schockreaktion und ein Überlebensmodus. In diesem Moment wird die Wahrnehmung stark eingeschränkt, es ist wie eine Verdichtung der Realität. Das heisst, das Gefühl von Angst ist mit der Erstarrung und dem Erleben von Hilflosigkeit verknüpft.

Das Problem ist nun, dass das Gefühl Angst später im Leben immer wieder zu Erstarrung und Erleben von Hilflosigkeit/Niederlage führt. Und das noch grössere Problem ist, dass die Körperempfindungen von Freude und Angst ähnlich sind und somit auch Freude diese Reaktionen auslösen kann.

Auch Wahrnehmungen und Gedanken sind in dieser Verdichtung enthalten. Wenn das Ursprungstrauma z. B. ein Autounfall war, dann kann das Ansehen eines Autos oder auch nur der Gedanke an ein Auto die Angst und die nachfolgenden Reaktionen auslösen.

Nun geht es bei der Trauma-Arbeit darum, verdichtete Körperempfindungen, Gefühle, Wahrnehmungen und Gedanken voneinander zu lösen. Und das geht nur, indem du durch alles in deinem Inneren durchfühlst.

Konzentriere dich auf deinen Körper. Atme tief ein und aus, das verstärkt deine Wahrnehmung.

Alle Gefühle sind in Ordnung. Sie dürfen da sein. Sie gehen vorüber, wenn du sie zulässt.

Atme ruhig. Sage dir selbst: «Ich bin traurig/ängstlich/wütend/nervös usw. Ich darf so fühlen». Lasse Weinen, Schreien und Zittern zu. Das ist alles in Ordnung. Es sind ungefährliche Körperreaktionen. Die Gefühle haben in den Ursprungssituationen durchaus Sinn gemacht und waren dazu da, dich zu schützen.

Jetzt bist du nicht mehr in Gefahr und sie sind noch im Körper gespeicherte Erinnerungen. Je mehr du sie versuchst wegzudrängen, umso hartnäckiger kommen sie zurück.

Wenn dich deine Gefühle überwältigen, gehe zurück zur Körperwahrnehmung. Wenn sie dich richtiggehend überschwemmen und Panik auslösen, gehe aus der Situation raus und übe ein anderes Mal weiter.

Wenn Erinnerungen und Gedanken aufkommen, mache dasselbe. Beobachte objektiv, was passiert.

Deine einzige Aufgabe ist, deinen Körper zu fühlen. Wenn du am Anfang gar nichts spürst, ist das in Ordnung. Je häufiger du das machst, umso differenzierter wird deine Wahrnehmung.

Schritt für Schritt kannst du ein komplexes inneres Netzwerk entwirren und die einzelnen Bestandteile voneinander lösen. Um beim Beispiel von oben zu bleiben, löst dann am Ende die Wahrnehmung «Auto» nicht mehr die Empfindung Stress/Überforderung/Panik aus, sondern ist einfach nur die Wahrnehmung «Auto».

Auf keinen Fall darfst du dich mit dieser Arbeit stressen. Ruhe dich immer wieder aus. Tue dir viel Gutes.

#13 Trauma-Reaktion vollenden

Wie kannst du die Trauma-Reaktion vollenden und so die eingeschlossene Energie freilegen?

Einerseits kann es sein, dass das von selbst passiert. Wenn du wie im vorherigen Kapitel beschrieben in deinen Körper hineinspürst und Bilder, Gedanken und Gefühle auftauchen, dein Körper plötzlich von selbst zu zittern oder zu schütteln beginnt.

Das ist super, unterdrücke diese Reaktionen auf keinen Fall, sondern lasse sie einfach zu. Das ist der natürliche Heilungsprozess.

Es hilft auch, regelmässig den Körper gezielt von Kopf bis Fuss zu schütteln. Das machen Tiere auch.

Wenn dein Körper in irgendeiner Situation erstarrt, lasse das auch zu. Halte es aus und ziehe dich nicht möglichst schnell raus. Sag dir, dass das eine natürliche Reaktion ist. Somit erlebst du, dass die Erstarrung sich nach einer Weile von selbst löst. Auch das ist der natürliche Heilungsprozess.

Du kannst mit diesen Empfindungen auch spielen, also dich ohne Auslöser schütteln oder gezielt erstarren/alle Muskeln anspannen und sie wieder lösen. Dies sind gängige Therapie- und Heilmethoden in ganz verschiedenen Richtungen.

Wenn die Energie freigesetzt wird, ist die natürliche nächste Reaktion Flucht oder Kampf. Wenn du den Impuls verspürst, zu rennen, tu das. Du kannst es auch in deiner Vorstellung tun.

Erinnere dich an die belastende Situation zurück und stelle dir vor, wie du davonrennst und dich irgendwo in Sicherheit bringst. Spür in deiner Vorstellung die Bewegung deiner Beine und Füsse möglichst konkret. Das kannst du auch kombinieren. Denk an die traumatisierende Situation und dann renne so schnell du kannst.

Falls eine grosse Wut oder Aggression aufkommen, lasse diese unbedingt zu. Sie ist sehr gesund.

Oftmals ist sie begleitet von gewalttätigen Phantasien. Das ist in Ordnung. Stell dir z. B. vor, wie du deinem Angreifer ein Messer in den Bauch rammst oder dem Hund, der dich gebissen hat, einen Schlag mit einem Stock versetzt. Das sind biologische Prinzipien von «fressen oder gefressen werden», die in uns drin sind. Wenn du dazu schreien, einen Boxsack schlagen oder mit einem Stock etwas zertrümmern kannst, umso besser. Auch das ist der natürliche Heilungsprozess.

#14 Wie baue ich Resilienz auf?

Wenn du das Aufgeben und Durchfühlen schon gemacht hast, ist der nächste Schritt das Hin- und Herpendeln.

Das passiert in der Trauma-Integration auch von selbst. Es gibt immer wieder Phasen, in denen es dir blendend geht und viel Positives von selbst in dein Leben kommt. Dann gibt es wiederum Rückschläge, wo du dich schrecklich fühlst. Diese Phasen wechseln sich ab. Doch die schlechten Phasen werden weniger tief oder weniger beängstigend.

Dieses Pendeln kannst du auch gezielt machen. Du merkst, dass ein negatives Gefühl oder eine Erstarrung kommt. Fühle hinein und gehe dann wieder daraus hinaus, indem du an etwas Positives denkst, an eine deiner Ressourcen. Betrachte z. B. einen Gegenstand, der dich in eine gute Stimmung versetzt. Fühle in dich hinein. Dann denkst du wieder an die Situation, die zu dem negativen Gefühl oder der Erstarrung geführt hat. Wechsle zwischen beiden Zuständen hin und her.

Durch das Pendeln entwickelst du Resilienz. Zu merken, dass du dich selbst aus einem unangenehmen Zustand in einen angenehmen Zustand versetzen kannst, ist enorm heilsam.

Du bist den Gefühlen und Gedanken und der Hilflosigkeit nicht mehr ausgeliefert, sondern kannst dich aktiv daraus befreien.

Dadurch kann sich dein Nervensystem beruhigen und aus dem Alarmzustand kommen. Viel Ruhe hilft auch dabei. Aber das weisst du ja schon.

Wenn du magst, kannst du das Pendeln auch körperlich simulieren. Sacke zusammen, lass dich zusammenfallen und den Kopf hängen. Bleib in dieser Position und fühl hinein. Dann richte dich langsam ganz gerade auf. Wippe auf deinen Füssen vor und zurück oder hin und her, bis du in der Mitte ausbalanciert bist.

Wie fühlst du dich jetzt? Auch das Pendeln machen unsere Kinder ganz von alleine, denk mal daran, wie sehr sie Schaukeln lieben.

In unserer Gesellschaft haben aufgeben, traurig sein, nicht mögen, hilflos sein keinen grossen Stellenwert. Im Gegensatz zu Tatendrang, glücklich sein, erledigen, durchhalten, die hochgeschätzt sind. Dabei gehören beide Pole zum Leben und es braucht auch beide. Je mehr du das anerkennst, desto einfacher wird es.

#15 Trauma-Prävention bei Kindern

Wie kann man Traumata bei Kindern verhindern oder abmildern?

Zuerst einmal kommst du nicht darum herum, deine eigene Trauma-Arbeit zu machen. Denn wenn man irgendwo eigene Anteile abgespalten hat, ist man nicht in der Lage, Gefahren für die eigenen Kinder richtig einzuschätzen. Das Bewusstsein für dieses Thema ist ganz einfach ausgeschaltet.

Deswegen gibt es Eltern, die nicht merken, dass ihr Kind sexuelle Übergriffe erlebt, eine Essstörung entwickelt oder in der Schule schwer gemobbt wird. Das sind keine bösen oder schlechten Eltern, aber sie sind selbst im Überlebensmodus und können die Not ihres Kindes nicht sehen, weil sie ihre eigene Not verdrängt haben.

Alle Krisen wie die oben genannten, entwickeln sich langsam. Je feiner deine Wahrnehmung dir selbst gegenüber ist, umso feiner ist sie auch gegenüber bedrohlichen Situationen deines Kindes und desto früher kannst du intervenieren.

Wenn deine Kinder merken, dass es im Gespräch mit dir nichts Verbotenes und keine Tabus gibt, werden sie auch eher mit dir über schambehaftete Themen sprechen und Traumata sind immer schambehaftet.

Abgesehen davon gelten für die Kinder die gleichen Prinzipien wie für dich. Übrigens gelten sie auch für Erwachsene, falls du z. B. einmal einen Unfall miterlebst:

Da sein: In einer bedrohlichen Situation ist es ungemein hilfreich, nicht allein zu sein. Du kannst zu einem verunfallten oder aufgewühlten Kind hingehen und ihm z. B. eine Hand auf die Schulter legen oder seine Hand halten. Du musst sonst nichts sagen oder tun.

Ruhe: Lass dem Kind Zeit, sich zu beruhigen oder von selbst aufzustehen. Lass keine medizinischen Prozeduren bei deinem Kind zu, wenn es in grosser Aufregung ist oder Angst hat. Bestehe darauf, es zuerst zu beruhigen.

Glaube und vertraue deinem Kind, was immer es dir auch erzählt.

Du musst nicht verstehen, wieso etwas ängstlich, traurig oder wütend macht. Wichtig ist, dass du zuhörst und dein Kind ernst nimmst in seinen Gefühlen. Achte besonders auf das natürliche Ruhebedürfnis. Wenn dein Kind sich nach der Schule auf den Boden liegt und Hörspiele hört oder wenn es gerade nicht mit anderen Kindern spielen, sondern allein sein will, lass es zu.

Plane nicht alles voll, sondern ermögliche Leerzeiten im Alltag.

Egal wie anstrengend es für dich ist, lasse alle emotionalen und körperlichen Reaktionen deines Kindes zu und warte, bis sie von selbst vorbei sind. Bestätige das Kind in seinen Reaktionen und hilf ihm, sie einzuordnen.

Zum Beispiel mit Sätzen wie: «Das ist gut, dass dein Körper jetzt zittert, du hattest einen grossen Schrecken erlebt.» oder «Da war eine ganz grosse Wut in deinem Körper, die raus wollte, nicht wahr?» Destruktives Verhalten wie Schlagen solltest du wenn möglich nicht unterbinden, sondern auf ein ungefährliches Objekt umleiten.

Pendeln: Bei den Kindern geht das wunderbar im Spiel. Z. B. mit Figuren oder Stofftieren eine bedrohliche Situation nachspielen lassen. Wenn es dem Kind unwohl wird, kannst du es beruhigen oder sich selbst beruhigen lassen. Dann nochmals spielen und die Legofigur oder den Stoffbären zuerst selbst aus der Situation retten und dann durch das Kind retten lassen.

Grössere Kinder kannst du malen und über das Bild berichten lassen. Dann ein weiteres Bild malen lassen und schauen, was sich verändert hat. Auch böse Träume kannst du für Kinder weiterspinnen und zu einem guten Ende kommen lassen. Das ist für sie sehr beruhigend und eine bessere Reaktion als «Das war doch nur ein Traum.»

Denn du ahnst es: Im Traum verarbeiten wir ebenfalls unsere Traumata.

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#16 Wir können so viel

Die Trauma-Arbeit ist eines meiner Herzensanliegen. Persönlich bin ich der Überzeugung, dass viele der grossen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Krieg, Zerstörung der Erde und zunehmende psychische Krankheiten Auswirkungen von Traumafolgen sind und wiederum neue Traumata generieren.

Da wir hier in der Schweiz mehrheitlich so viel Sicherheit und Wohlstand erleben, ist es uns einfach möglich, unsere eigenen Traumata zu verarbeiten. Wir haben viele Gelegenheiten dazu und können dadurch unseren eigenen Beitrag zu einer natürlicheren, friedlicheren und lebenswerteren Welt für uns, unsere Kinder, unsere Mitmenschen sowie den ganzen Planeten leisten.

Nebst all dem bisher Geschriebenen bietet unser eigenes Leben jeden Tag Gelegenheiten zur Heilung, die sogenannten wiedergutmachenden Erfahrungen. Es bedingt etwas Mut, Dinge anders zu machen als gewohnt, sich verletzlich zu zeigen und Unbekanntes zu wagen, auch wenn es Angst macht.

Unsere Eltern mochten nicht immer so für uns dagewesen sein, wie wir es gewünscht und gebraucht hätten. Doch:

Wir können jetzt als Erwachsene für uns selbst da sein, aufmerksam, verständnisvoll und mit Mitgefühl.

Wir können lernen, uns, anderen Menschen und dem Leben zu vertrauen. Wir können ohne Vorwürfe und Klagen mit anderen über unsere Bedürfnisse sprechen und erleben, dass darauf eingegangen wird.

Wir können ehrlich unsere Ängste, Sorgen und Fehler mit vertrauenswürdigen Menschen teilen und die Erfahrungen machen, nicht verurteilt, sondern gestützt zu werden. Wir können unsere Träume verfolgen sowie authentisch uns selbst sein und unsere Kinder ebenfalls dazu ermutigen.

Wir können selbstbestimmt leben und unser Umfeld so gestalten, wie es zu uns passt. Wir können erkennen, wie wunderschön die Welt ist und in welchen grossen Zusammenhang wir eingebunden sind.

Wir alle dürfen sein und haben unseren Platz. Wir dürfen uns gut, ganz und geborgen fühlen.

Wir haben so lange so viel Leid ausgehalten. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir lernen, das Glück auszuhalten.

Julia Wenger Expertin

Autorin

Ich bin Psychologin, Schamanin und Körperarbeiterin sowie Mutter von vier Kindern. Mit einem ganzheitlichen Verständnis und einer Liebe zu den Menschen begleite ich Frauen auf ihrem Weg zu bewusster Mutterschaft, Sinnlichkeit und Selbstbestimmung. Meine intuitive Prozessbegleitung vereint meine Expertise in positiver Psychologie, systemisch-lösungsorientiertem Coaching, traumasensiblen sowie bindungsorientierter Ansätzen und sexologischer Körperarbeit, unterstützt durch eine fundierte Praxis in Spiritualität und bewusster Mutterschaft. www.julia-wenger.com

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