Stillen und berufliche Projekte? Ein Unding!
Gastautorin Sara Taubman-Hildebrand bringt innerhalb eines Jahres zwei Babies zur Welt. Und merkt, dass das mit dem Stillen und Arbeiten gar nicht so leicht ist.
Alle sagen’s dir. Es ist das verbale Damoklesschwert, das während der gesamten Schwangerschaft über dir hängt: «Mit eme Baby chunnsch denn zu nüüt meh gell…»
Und, ja – man glaubt es doch eigentlich auch. Man behält es im Hinterkopf.
Wie es dann aber wirklich sein wird – es gnade dir Gott.
Baby + Job? Geht dann schon!
Ich war zwei Monate schwanger, als ich vom Schweizer Militär für die Moderation des Balls der Offiziere angefragt wurde. Die Rechnung lautete: Mein Kind wird zu diesem Zeitpunkt zwar erst einige Wochen alt sein, aber du, die Moderation war bisher jedes Mal ein Spaziergang und der Umgang mit den hemdsärmeligen OK-Mitgliedern ist kumpelhaft unkompliziert. Die Gage? Top. Also unterm Strich: Machemer mal.
Falsche Entscheidung.
Als mein Kleiner dann da war, herrschte wie angenommen Ausnahmezustand. Aber dieser Ausnahmezustand besass eine Intensität, die in keinster Weise vergleichbar war mit irgendeinem Ausnahmezustand meines doch bereits anschaulichen Ausnahmezustand-Repertoirs.
Das erste berufliche Meeting nach der Geburt hatte ich, als Henri fünf Wochen alt war. Mein Arbeitgeber OYM, das Kompetenzzentrum für Spitzenathletik und Forschung in Cham, wollte mich bei einer Sitzung in Luzern dabei haben. Ich schilderte, wie kompliziert das mit Stillen sei, dass ich alles in allem Minimum vier Stunden für das Meeting aufwenden müsste und der Kleine im Zweistundentakt Hunger hätte.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Stillen + Meeting = kompliziert. Aber ich wurde gehört.
Das Meeting wurde kurzerhand nach Zürich verlegt. Aufgeführte Zeit: 8 Uhr morgens. Ich holte zweimal tief Luft. Jetzt kannst du nicht nochmals mit Extrawünschen kommen, dachte ich und fragte mich gleichzeitig, wie die Nacht davor und der Morgen optimal ablaufen sollten.
Hoffnung Nr. 1: Karöttchen würde diese Nacht hoffentlich keine Nachteule sein.
Hoffnung Nr. 2: Stillen im Dreistundentakt und nicht kürzer.
Und dann: Wecker stellen, um 6 Uhr aufstehen, duschen und ein bisschen nach was aussehen. Hoffen, dass das Baby nicht aufwacht und kurz vorm Hausverlassen noch stillen, damit es während der Sitzung nicht ausser sich ist vor Hunger.
Dies alles unter der Voraussetzung, dass der Kleine nicht grad so einen Stillrhythmus vorgibt, dass er vor meinem Abgang noch keinen Hunger hat. Denn dies hätte wiederum zur Folge, dass die Zeitspanne bis zum nächsten Stillen nach dem Meeting zu lange wäre.
Sollte, würde, könnte…
Boa, du… eine ganze Menge Gedanken über alle erdenklichen Abläufe und deren bestmöglich gelingende Koordination.
Klar, es gäbe für den Notfall den Schoppen, aber der Kleine ist sich nicht daran gewöhnt. Dann kriegt er wieder mehr Koliken und die Brust sollte ja sowieso regelmässig geleert werden, sonst ist das Stillen dann schnell mal hops. Deshalb wär’s ganz schön schlimm, wenn’s nicht aufgehen würde.
Wahnsinn. Vier Wochen nach der Geburt kann so etwas echt ans Eingemachte gehen. Psychisch und Physisch.
Als ich nach dem Meeting kurz vor 9.30 Uhr zuhause ankam, schlummerten meine beiden Männer immer noch selig vor sich hin. Uff!
Wie kann das überhaupt gut gehen? Stillen und berufliche Projekte?
ES GEHT NICHT. Das hätte mir mal jemand sagen sollen und nicht unentwegt nur davon sprechen, dass man mit «nem Klenen keine Zeit mehr für nichts hat.
Und: Alle haben doch von diesem Rhythmus gesprochen, der sich dann einpendelt. Hmmmm, gut, jedes Kind ist anders.
Aber von Rhythmus war weit und breit noch nichts zu spüren.
Dann kam die Ballnacht der Offiziere in Bern. Was man alles mitschleppen muss mit einem Kind, auch nur für eine Nacht – alles muss mit. Und als ob das nicht schon genug wäre, sollte man unter dem Schlafmanko des Lebens leidend auch noch gut aussehen. Ballkleid, Highheels, schönes Haar, Make-up. Make what? Schminke war mittlerweile fast schon ein Fremdwort.
Aber das Allerschwierigste: das Stillen. Eine heilige Kuh. Fütterung des Raubtierchens, zwischen Moderation, Trommelwirbel-Fanfaren und Showacts.
Mein Mann war mit dem Baby oben im Hotelzimmer. Der Kleine hatte den ganzen Nachmittag nicht geschlafen und im Auto die Windeln so voll gemacht, dass die Sch… bis zu den Schulterblättern hochgedrückt worden war. Das auch noch.
Als wir die Pupu-Körperpackung erfolgreich beseitigt hatten, eilte ich zur Vorbesprechung mit den Militaristen. Zurück im Hotelzimmer hiess es dann stylen, stillen, rein ins Ballkleid und los geht’s. Stillen, moderieren, stillen, moderieren – und schliesslich in der Nacht um 1.30 Uhr: schlafen!
OK, zwar nur im Zwei- oder Dreistundentakt, aber das war dann plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Hauptsache, der Moderation-Still-Spiessrutenlauf war einigermassen geglückt. Ich war fertisch du, ich sag’s dir… Und zur Krönung des Still-Undings kam dann noch was hinzu.
Die Geburt meines zweiten Babys.
Eineinhalb Jahre lang hatten meine Studienfreundin Janine und ich alles Herzblut in eine Lese-Audio-App für Kinder gesteckt. Während meiner Schwangerschaft waren Janine und ich 120% mit unserem Start-up beschäftigt – vom Geschichtenschreiben, Gegenlesen, über Vertonungen, dem Rekrutieren von Freelancern wie Illustratoren oder Website-Designern, ganz zu schweigen vom administrativen Aufwand und den unzähligen Sitzungen mit den Programmierern.
Die Lancierung war also ein grosser Tag für uns. «Taras Geschichten» sollte im NZZ bistro in Zürich mit einer Medieninformation fulminant eröffnet werden. Eine ansehnliche Anmeldeliste namhafter Medienvertreter. Um 10 Uhr geht’s los. Das heisst: spätestens 8.30 Uhr stillen, 9 Uhr von Zuhause los, 12 Uhr allerspätestens zurück.
Beim letzten Interview vor Ort war ich dann mit einer Hirnhälfte längst daheim beim Kind. Gut, eigentlich bereits beim zweitletzten. Oder überhaupt die ganze Zeit.
Ja, das ist ein Ding, das Muttersein.
Wunderbar, wenn es klappt mit dem Stillen. Es ist wirklich total praktisch – dennoch bindet es dich an Kind und Haus. Und es ist zusammen mit beruflichen Projekten: ein Unding.
Denn selbst, wenn der Mann mit dem Kind dabei ist, wie das beim Offiziersball oder bei meinem Auftritt als Erzählerin des Tonhalle Zürich Familienkonzerts Cinderella der Fall war, ist und bleibt es ein Stress für Mutter und Kind. Das ist irgendwie frustrierend, denn es drängt uns Frauen unvermeidlich in die Häuslichkeit.
Bei mir fühlte es sich etwa so an: Da sitzt du nun mit deinem Kind und bist Hausfrau und Mutter, wie in einem Groschenroman aus den 50er-Jahren.
Ja, es scheint sich nicht allzu viel verändert zu haben. Und wer ist schuld? Die Brust? Weil unser Kopf ist es doch eigentlich nicht mehr, oder doch? Ist es einfach Biologie? Sind es die Hormone? Ist es die Evolution, die sich in ihren Urzügen nie verändern wird?
Fragen, über die sich lange nachdenken und philosophieren lässt.
Dass die Evolution in ihren Urzügen gleichbleibt: Seit ich Mutter geworden bin, hat das auf alle Fälle ein Körnchen Wahrheit für mich. Und ich weiss nun auch: Stillen und berufliche Projekte sind in den ersten drei Monaten ein äusserst unharmonisches Paar.
Ich stille dann mal ab. – Äh nein, ich meinte, ich werde dann jetzt mal still. Und stille doch mal noch ne Runde weiter.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 7. Juli 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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