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Wo wohnt das Glück?

Ein Besuch in der Vergangenheit zeigt auf, was man als Mutter alles nicht mehr hat: Zeit, Musse, Ordnung. Wo wohnt das Glück – im alten oder neuen Leben? Dieser Frage ist Nadine Chaignat nachgegangen.

Das alte Leben vor den Kindern auf mal ehrlich

Kürzlich besuchte ich mein altes Leben. Es wohnte in einer sehr geräumigen Dreizimmerwohnung mit Parkettboden (Fischgrat wohlverstanden). Einer Wohnküche, einem Balkon, auf dem gerade mal zwei Stühle Platz hatten. Und von wo aus man andere kleine Balkone sah, etwas Grün und alte Häuserfassaden des trendigen Stadtquartiers, in dem die Wohnung gelegen war.

Eine Schale frischer Orangen stand auf einer Kommode. Überall brannten Kerzen. Ein einzelnes Bild, aufgenommen am Hochzeitstag. Eine Tasse Tee auf der tadellos geputzten Anrichte.

Alles in diesem – meinem – Leben war mehrheitlich plan- und organisierbar. Was man sich anzog, was man am Wochenende machte. Dass man abends gemeinsam kochte. Ins Kino ging. Tagsüber noch rasch in der Stadt mit einer Freundin zum Kaffee verabredet war. Die Zeit, sie hatte ein Tempo, mit dem man locker mithalten konnte.

Mein altes Leben ist mir fremd geworden.

Ich setzte mich. Auf einen hellen, modernen Sessel, eine Tasse Tee vor mir. Es war so ruhig. Unheimlich. Ich war so angespannt. Das Tempo in meinem jetzigen Leben war aktuell so hoch, dass mir mein altes Leben fremd vorkam. Ich fühlte, dass ich mal so gewesen bin. Dass dies auch mein Leben gewesen ist. Mit der Musse für Alltägliches. Dieser latenten Langeweile, die sich immer füllt mit Dingen, die Freude machen.

Wir plauderten. Meine Freundin, die in diesem alten Leben zu Hause war, und ich. Da waren keine Gedanken wie «Oh, ich sollte noch rasch…» oder «Ich müsste eigentlich…». Kein Kind, das an mir zerrte, mit mir Ritter, Piraten oder Bäbi spielen wollte. Hunger hatte oder die Hosen voll.

Nach eineinhalb Stunden klingelte das Telefon. Der Göttergatte. Im Hintergrund heulten die Kinder. Die rein organisatorische Frage, wann ich nach Hause käme. Nicht, dass ich schon kommen müsste. Nur organisatorisch.

Trotzdem. Die Bubble platzte.

Eine halbe Stunde später verliess ich mein altes Leben. In dem es abends Wildlachs an Rahmsauce gab. In dem der Mann ohne Kindergebrüll im Hintergrund die Wohnung betrat, frisch geduscht nach dem Tennisspiel. In dem die letzten Wintersonnenstrahlen auf den Wohnzimmerboden fielen. Der Wochenputz gemacht war und das Wochenende kommen konnte.

Mein neues Leben wohnt in einem viel zu eng gewordenen Reihenhäuschen. Der Boden ist mit Spielsachen belegt, in der Küche ist es nonstop dreckig. Dem Dekohirsch fehlt ein Teil des Geweihs. Der Fernseher ist verschmiert. Der Sessel bleibt unbenutzt, weil ich am Boden spiele, und Tee trinke ich höchstens kalt. Die Wochenenden sind ein Meisterwerk unserer Organisationskunst und die Kerzen, meistens vergesse ich, sie anzuzünden.

Natürlich überlege ich mir: Was wäre wenn?

Und ob das Glück nicht vielmehr in dieser Stadtwohnung mit Frischgratparkett zu Hause ist als hier. Oder fühle ich es einfach nicht mehr, weil die Kinder so laut sind, die Wohnung so unordentlich ist und die Orangen im Kühlschrank vor sich hingammeln?

Werde ich es erst sehen, wenn ich mich daran erinnern muss? An die warmen Kinderbacken nach dem Aufwachen, die sich an meine schmiegen. An die kleinen Hände, die sich ungefragt in meinen Haaren verfangen. An das fröhliche Geplapper in höchster Tonlage, das wie eine Quelle unaufhörlich sprudelt. An die Arme, die sich um meinen Hals schlingen. Und an diese raren Momente, in denen mein Sohn mir aus dem Nichts sagt: «Mama, ich habe dich lieb.»

Den Wohnungsschlüssel zum alten Leben habe ich abgegeben. Es gibt kein Zurück. Nur ein Jetzt.

Autorin
Nadine Chaignat

Nadine Chaignat war im alten Leben Journalistin in Zürich und ist heute freischaffende Mutter von vier Kindern in Bern. Schreibt regelmässig als Redaktionsleiterin von Mamas Unplugged und unregelmässig als www.autor.in für Printmedien.

Autorin

Nadine Chaignat, ursprünglich Psychologin und Journalistin, wohnt mit ihrer Familie in der Region Bern. Sie und ihr Mann homeschoolen inzwischen drei von vier Kindern seit mehr als vier Jahren. Daneben geht ihre Zeit drauf fürs Muttern, den gleichnamigen Podcast ‘Muttern’, die Plattform Mamas Unplugged und diverses mehr. Wer sich für ihr Homeschoolingprojekt interessiert, findet mehr dazu via www.waertschoepferei.ch.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 7. März 2017 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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3 Antworten

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  1. Avatar von Regina
    Regina

    Wunderschön geschrieben. Es ist nicht immer leicht, in all dem Chaos, das ein Leben mit Kindern mit sich bringt, das Glück zu sehen. Und doch ist es da. Jeden Tag mehrmals. Wir müssen es nur erkennen.

  2. Avatar von Claudia
    Claudia

    Ein wunderschöner und wahrer Text, vielen Dank dafür!!!