Train Ride from Hell
Was tun, wenn der Sohn im Zugabteil zur besten Pendlerzeit einen epischen Trotzanfall kriegt und ALLE zuschauen? Andreas erschöpfter Erfahrungsbericht.

Im Rest des Familienwagens war es still. Niemand sprach.
Nur mein Sohn schrie, als hätte er ein Messer im Rücken.
Alle Mitreisenden hatten ihre Augen auf mich gerichtet: Was tut sie jetzt?
Ich, die Mutter von diesem kreischenden, kickenden und todmüden Bündel von Sohn, den ich fünf Minuten vorher geweckt hatte (blutiger Anfängerfehler Nr. 1), nachdem wir den halbi-füfi Zug knapp verpasst hatten (Anfängerfehler Nr. 2. – ich muss zu viel Sonne erwischt haben).
So fanden wir uns gestern, freitagnachmittags um fünf im IC von Bern nach Zürich wieder, eingequetscht zwischen Velos, Kinderwagen und ganz vielen Menschen, die per Definition eigentlich gar nichts in diesem Familienwagen zu suchen hätten.
***Kurze Zwischenwarnung: Dies ist ein Text mit Verhütungs-Potential. Weiterlesen auf eigenes Risiko***
Das Töchterli turnte gefährlich auf dem Kinderwagen und war gewillt, die Zugfahrt spielend im zweiten Stock auf der Rutschbahn zu verbringen. Ihr Wille geschehe, und zwar sofort, sonst…. ich wollte es nicht riskieren.
Ihre Tränen vom 20-minütigen Trotzanfall von der Badi bis zum Bahnhof waren eben erst getrocknet (ich Rabenmutter hatte sie tatsächlich gezwungen, den nassen Badeanzug auszuziehen), die gute Laune hing am dünnen Nuggibändeli.
Aber der Bruder im Doppelkinderwagen. Der. Wollte. Nicht. Aussteigen. Ich atmete tief ein und appellierte vorzeigemuttermässig und mit ruhiger Stimme an die Vernunft: „Weisst du, wir können hier nicht bleiben, es hat zu wenig Platz.“ Meine Argumentation prallte ab am tauben Trotz und hatte einzig zur Folge, dass mir ein mitleidiger Vater mit einem Neugeborenen (!) auf der Brust seinen Platz anbot.

Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Nächster Versuch, schon nicht mehr so Jesper-Juul-kompatibel: Bestechung.
Ein Schluck Coci? Neeeeeeeeeei!
Chips? Uaaaaaaahh!
E Chlapf? (Hab ich nicht gesagt.)
Während der Verhandlungen war es im Wagen wie gesagt völlig still. Keiner wollte ja verpassen, wie die verschwitzte Zweifachmutter aus dieser Bredouille wieder rauskommen würde. Ich setzte auf die gute alte Drohung:
„Wenn du nicht mitkommst, dann gehen wir halt alleine. 3….2….“
UAAAAAAAAAAAAH!
Also demonstrierte ich Konsequenz und ging – mit Tochter auf der Hüfte und Rucksack auf dem Rücken – in die einzige Richtung, die nicht von Velos verkeilt war: durch ein Spalier von Pendleraugen in Richtung Schiebetüre. Dort wartete ich auf den kapitulierenden Sohn.
Vergebens, natürlich.
Ich stapfte zurück und machte mir keine Freunde, weder mit meinem wogenden Rucksack, noch mit meiner Replik an ein besonders missbilligendes Augenpaar: „Sorry, ich bin grad am Erziehen.“
Yup, really great job you’re doing there, Any Working Mom.
Die Lösung war nix für Pazifisten. Ich zog mein zorniges Schätzeli unsanft aus dem Wagen und schleifte ihn mit der freien Hand (am andern Arm immer noch das Töchterli) durch den Gang, die Treppe hinauf und zur Spielzone. Jesper Juul würde Schnappatmung kriegen.
Wie erwartet, kein Applaus aus Pendlerreihen.
Oben angekommen, schauten ich und der Sohn uns auf Augenhöhe an, er durfte mir noch einmal sagen wie blöd ich bin, Umarmung, und er kriegte das iPhone.
Ruhe. Mein Puls passte sich langsam dem Rattern des Zuges an.
…..bis das rutschende Töchterli das digitale Beruhigungsmittel auch entdeckte und WOLLTE. JETZT. SOFORT.
Zurück zum Start.
An alle, die gerade mit mir und meinen zwei reizenden Kindern von BE nach ZH das Vergnügen hatten: sorry, gäu. #epicdoubletoddlermeltdown
Andrea Jansen (@jansenreistrum) 27. Mai 2016
Für Erziehungstipps, aufmunterndes Schulterklopfen oder eigene Erfahrungswerte in den Kommentaren danke ich im Voraus!
Bei allen Mitreisenden entschuldige ich mich für den Lärm und die Kopfnüsse mit Rucksack.
Nachtrag: Inzwischen – fast 6 Jahre später – bin ich übrigens klüger:
5 Tipps, mit denen der Familienausflug nicht mit einem Lätsch* endet
Kind in der Trotzphase? Improvisieren!
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 28. Mai 2016 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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