Schweizer Mütter sind unzufrieden. Warum wir das ändern sollten.
Die Schweizer Mütter sind unzufriedener als alle anderen Frauen in der Schweiz. Warum?
In den letzten Wochen wurde in Zusammenhang mit dem 50-Jahre-Jubiläum zur Einführung des Frauenstimmrechts sehr viel über Frauen in der Schweiz geredet, aber sehr wenig mit Frauen in der Schweiz. Das wollte die Frauenzeitschrift “annabelle” ändern: Sie führte eine Studie durch, von der ich euch erzählen möchte (und an der ich auch beteiligt war – for full disclosure).
Zur Studie: Wie zufrieden sind eigentlich die Frauen in der Schweiz, mit ihrer beruflichen und privaten Situation?
Über 6000 Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz haben zwischen dem 21. und 31. Januar 2021 an der grossen Frauenbefragung «annajetzt» von annabelle und der Forschungsstelle Sotomo teilgenommen. Die repräsentative Befragung zeigt auf, in welchen Bereichen Frauen heute dringenden Handlungsbedarf sehen, und vermittelt ein Stimmungsbild unserer Gesellschaft.
Ich könnte jetzt auf zig Aspekte der Studie eingehen. Etwa darauf, dass 72% der 6200 befragten Frauen der Ansicht sind, dass Männer in der Schweiz immer noch mehr Vorteile haben als Frauen (denn das macht mich ein bisschen traurig).
Oder darüber, dass 85% der Befragten den dringendsten Handlungsbedarf in der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit sehen (denn das macht mich kämpferisch!). Oder darüber, dass sich nur 42% der Befragten als Feministinnen bezeichnen würden (denn das erscheint mir, aufgrund der zwei vorher genannten Themen, doch eher erstaunlich).
Aber ein Aspekt der Studie hat mich ganz besonders berührt: Aber ein Aspekt der Studie hat mich ganz besonders berührt: die Zufriedenheit von uns Müttern. Respektive unsere Unzufriedenheit.
Die unzufriedensten Frauen der Deutschschweiz haben Familie
In der «annajetzt»-Studie stellte sich nämlich heraus, dass Frauen, die in einem Familienhaushalt leben, klar unzufriedener sind als alle anderen Frauen. Unzufriedener als Frauen, die ohne Kinder in Einzelhaushalten leben. Unzufriedener als Frauen, die kinderlos in Paarhaushalten leben. Und auch unzufriedener als alleinerziehende Frauen.
Sprich: Frauen, die in Familienhaushalten leben, sind die unzufriedensten Frauen der Deutschschweiz. Autsch!
Worin besteht denn die Unzufriedenheit konkret?
1. Mangel an «Zeit für mich»
Nur 50% der befragten Mütter in Familienhaushalten sind zufrieden mit ihrer Freizeit, es mangelt an “Me Time”. Dieser Unterschied ist signifikant: Bei alleinstehenden Frauen ohne Kinder liegt die Zufriedenheit bei traumhaften 80%, bei Single Moms doch immerhin auch bei 61%.
2. Unzufriedenheit mit der Karriere
Auch im Bereich Berufstätigkeit und Karriere ist die Zufriedenheit bei vielen Müttern geringer als beim Durchschnitt. Dafür gibt es viele Gründe: angefangen beim Mangel an familienfreundlichen Jobs und Arbeitgebern (z.B. fehlende Teilzeitstellen, Hürden bei Bewerbungen, Genderdiskriminierung am Arbeitsplatz, Wiedereinstieg nach der Babypause) über die fehlenden kostengünstigen externen Betreuungsangebote bis hin zur Lohnungleichheit. Die Liste ist lang. Auch 2021 noch.
3. Weitere Unzufriedenheitsquelle: Der Körper
Auch in den Dimensionen “Sex” und “das eigene Aussehen” sind Frauen, die in einem Familienhaushalt leben, weit weniger happy als der Durchschnitt. Nur 26% sind mit ihrem Sexleben voll und ganz zufrieden, mit dem eigenen Look immerhin 64%.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Mütter sind wichtig!
All das hat mich berührt und nachdenklich gemacht, weil ich es als wichtig erachte, dass Mütter zufrieden sind. Mindestens so zufrieden wie der Durchschnitt. Oder mehr.
Denn: Mütter sind systemrelevant!
Sind sie unzufrieden, dann betrifft das nicht nur sie, sondern unser ganzes System. Ihre Zufriedenheit müsste, ergo, ebenso relevant sein. Müssten wir es nicht zu einer der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft erküren, diese Zufriedenheit zu steigern? Oder zumindest die Grundlagen zu schaffen, um sie zu erreichen? Und dann alles zu tun, damit sie wächst?
Fünf Forderungen, die sich für mich aus dieser Studie ergeben, um die Zufriedenheit der Mütter zu steigern – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
1. Das Thema muss diskutiert werden
Eigentlich müsste eine Petition gestartet werden, um die Schweiz «mütterfreundlicher» zu machen. Zumindest braucht es meines Erachtens den öffentlichen Diskurs darüber, wie sich die Schweiz politisch, gesellschaftlich, infrastrukturell, wirtschaftlich und sozial bewegen kann, um die Zufriedenheit der Mütter signifikant zu steigern. Bis jetzt, scheint mir, wird dieses Thema negiert. Starten wir eine Diskussion darüber: Und bitte nicht nur innerhalb der Mütterbubble!
2. Lohngleichheit jetzt!
Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen in der Schweiz beträgt gemäss der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (2018) immer noch 14,4%. «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» ist die dringendste und wichtigste Forderung gemäss 85% aller Deutschschweizer Frauen. Wie soll eine Frau mit ihrem Erwerbsleben oder der Karriere zufrieden sein, wenn sie dafür nicht fair entlöhnt wird?
3. Mehr familienfreundliche Unternehmen
Damit Mütter mit ihrem Arbeitsleben und der Karriere zufriedener werden, müssen Arbeitgeber endlich erkennen, dass Familienfreundlichkeit kein Nice-to-have ist, das sie eigentlich nichts angeht. Sondern ein absolutes Must, um weiterhin attraktiv zu bleiben. Im Moment nehmen jedoch nur 49% der Befragten ihren Arbeitgeber als familienfreundlich wahr. Hier sind die Unternehmen in der Pflicht, mit konkreten Taten und neuen Arbeitsformen eine Basis für Vereinbarkeit zu legen.
4. Mehr Entlastung in der Partnerschaft
Die «annajetzt»-Studie hält fest, dass es 77% der befragten Frauen stört, dass «der Partner im Haushalt viele Aufgaben ganz selbstverständlich mir überlässt». Entsprechend «unattraktiv sei es gerade für Mütter, sich stärker an der Erwerbsarbeit zu beteiligen», so die Verfasser der Studie. Nur wenn die Arbeit – und insbesondere die unsichtbare Arbeit, die Mental Load – zu Hause geteilt wird, gibt es auch mehr Zeit zur freien Verfügung für die Mutter.
5. Mehr Miteinander, weniger Gegeneinander
Zu guter Letzt scheint mir, dass die mediale Diskussion der letzten Wochen dazu beigetragen hat, die Kluft zwischen Müttern aller Lebenswelten in der Schweiz wieder zu vergrössern, just als wir dachten, Sisterhood sei endlich auf dem Vormarsch. Es wird laut gefordert, dass viel mehr Frauen CEOs sein sollten (und das wollen vielleicht gar nicht alle sein). Die erwerbstätigen Mütter fühlen sich schuldig, die vollzeitbetreuenden Mütter ebenso. Niemand, so scheint es, macht es genau richtig, so, wie es sein sollte.
Was wir, schlussendlich, also alle dazu beitragen können, um unsere Zufriedenheit signifikant zu steigern: weniger vergleichen, mehr leben lassen.
Autorin
Regula Bührer Fecker ist Co-Gründerin von Rod Kommunikation und zweifache Werberin des Jahres. Sie engagiert sich mit ihrem Buch #FRAUENARBEIT und der gleichnamigen Stiftung für das berufliche Vorankommen junger Frauen in der Schweiz. Regula Bührer Fecker ist verheiratet und Mutter einer Tochter (7) und eines Sohnes (5).
Ebenfalls von Regula Bührer Fecker: Du musst keine Bitch sein, um gehört zu werden
Illustratorin
Selbstständige Mama, immer hopped up on coffee, ständig im kreativen Chaos und permanent im Versuch den Hut, unter den alles passen sollte, zu vergrössern.
Aquarell ist Tiziana Gouveia`s erste grosse Liebe, mittlerweile experimentiert sie aber auch gern mit Gouache, Öl und digitalen Techniken.
Mit zwei flauschigen Katern, Kind und Mann in Bern zu Hause.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 5. März 2021 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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