Single mit 40: Wie finde ich die grosse Liebe?
Single und alleinerziehend mit 40 – Christine Hachen spricht mit dem Universum und swiped auf Tinder nach links. Ein Erfahrungsbericht mit Hoffnung.
Als sich am Sonntag im bereits dunklen Kino die flotten Umrisse eines Mannes neben mich setzten, machte mein Herz einen kleinen Freudensprung. Könnte mir das wirklich passieren? Treffe ich Mr. Right im Kino?
Leider verflog die Aufregung so blitzschnell, wie sie gekommen war: Seine Frau setzte sich Minuten später neben ihn.
Solche Szenen passieren mir immer wieder.
Ich befinde mich in der Blüte meines Lebens. Genauer gesagt, stehe ich am Ende einer vierjährigen Beziehung und auf der Schwelle zur grossen 40. Natürlich bringt der Reifeprozess auch Positives mit sich – so konnte ganz ohne Geschrei, Gebrüll und Hasstiraden meine letzte romantische Beziehung in eine wunderbare Freundschaft umgewandelt werden.
Aber jetzt bin ich Single und alleinerziehend. Also wühle ich mich erneut auf dem Fleischmärit der alleinstehenden Herren durch die Angebote vom High-Class Bio Beef bis hin zur abgestandenen Prix Garantie Späckschwarte. Nicht, dass ich es eilig hätte, mich wieder in eine feste Bindung zu stürzen! Dafür ist die letzte «Lass-uns-einander-ein-wenig-verbiegen»-Geschichte noch zu frisch im Gedächtnis.
Ach, kommst Du wieder allein?
Aber irgendwann werde ich nicht mehr allein unter dem Wiehnachtsbäumli sitzen wollen und die mitleidigen Blicke an den Familienfeiern nach dem Motto «Ach, du kommst wieder allein?» aushalten müssen.
So ist die Diskussion mit meinen zahlreichen Single-Freundinnen darüber, wo man einen tollen, charmanten Occasionsmann ohne zu viele Altlasten und Rost finden kann, sehr präsent. Es ist nicht so, dass der Markt ganz und gar ausgetrocknet wäre, aber die Qualität scheint – zumindest in unseren Augen – sehr rar zu sein.
Vielleicht sind auch unsere Ansprüche einfach zu hoch. Frau in unserem Alter weiss halt, was sie will, respektive nicht mehr will. Denn auch wir bringen Kinder und Altlasten mit.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Single mit 30 – grossartig!
Als ich anfangs 30 zum ersten Mal seit den Teenagerjahren wieder so richtig Single war, schien mir das Ganze wesentlich leichter und beschwingter. Es war sogar grossartig! Das beste Alter, um sich nach einer stark einengenden und ungesunden Beziehung in den zweiten Frühling zu stürzen.
Ich weiss nicht, ob es daran lag, dass ich an einen noch nicht ausgefischten Ort zurückgezogen war oder dass der perfekte BMI das Spiegelbild schmeichelhaft erscheinen liess und ich mich so richtig wohl fühlte in meiner Haut. Es war auf jeden Fall alles aufregend und prickelnd.
Ich nutzte die kinderfreien Weekends – ja, es hat auch ganz nette Nebenwirkungen, dieses Alleinerziehendsein – um mich um mein soziales Wohl zu kümmern.
Mütter haben keinen Sex
Eine meiner Bekanntschaften war beispielsweise ein flotter Typ aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der bei Magic Mike locker in der ersten Reihe hätte mittanzen können. Der brachte mich so aus dem Hüsli, dass ich noch Monate davon zehren konnte.
Umso mehr ärgert mich noch heute die Bemerkung des Ehemannes einer damals guten Freundin. Er meinte mit ernster Miene: «Bitte denke daran, du bist aber auch Mutter!» Ich war so perplex, dass ich gar nicht reagieren konnte. Er schaffte es dennoch, in mir total unnötige Schamgefühle hervorzurufen.
Dass ich mich 26 Tage im Monat rund um die Uhr um mein Kind, dessen Betreuung, Schule, Job, Budget, Katzen, Haushalt etc. allein kümmere, gibt mir also nicht das Recht, an den restlichen vier Tagen einfach mal nur Frau zu sein? Was mich an dieser Aussage noch mehr echauffiert, ist, dass er so etwas einem Mann nie gesagt hätte. Nein, da wird auf die Schulter geklopft und gelobt, wenn er von einem heissen Date erzählt.
Single mit 40: Rebounders, wo seid ihr?
Den Zustand «Single» empfinde ich heute ganz anders als mit 30. Liegt es daran, dass sich die Anzeige der Waage nicht mehr so versöhnlich zeigt? Daran, dass der einzige Nachtklub in unserem Städtchen, in dem ich nicht gleich den Milcheinschuss und Tinnitus bekomme, seine Türen geschlossen hat? Lebe ich zu lange am gleichen Ort oder bin ich während des Alterns zum Langweiler mutiert?
Der Zucker des glamourösen Single-Daseins ist jedenfalls ab. Die Bars scheinen plötzlich nur noch mit Touristen, Verliebten und den gängigen Alkis gefüllt zu sein.
Wir wissen aber, es gibt sie: die Rebounders. Die Herren, die zwar bereits mit Rucksack und Altlasten, aber auch mit Reife und stark entwickeltem Intellekt unterwegs sind. Ab etwa 43 kommen diese Geschöpfe teils wieder auf den Markt. Nur: Wo treiben die sich rum?
Ab in den Ausgang!
Meine Freundin Niki und ich beschlossen, kilometerweit zu fahren, um auf einer Ü35-Party abzutanzen. Es stellte sich heraus, dass es sich eher um eine Ü50-Party handelte. Die Herren der Schöpfung lechzten wie Hyänen nach dem Frischfleisch, das zur Tür hereinstöckelte. Auf dem Tanzparkett wurden Damen in engen Paillettenkleidern und mit zu hell blondiertem Haar von graumelierten Typen – und imfall nicht das sexy George Clooney graumeliert – herumgewirbelt. Und wir wurden kein einziges Mal angesprochen.
Also gings weiter an ein Bar- und Pub-Festival. Die Türsteher schmissen bei unserer Ankunft gerade betrunkene 19-Jährige aus dem Lokal und so stiegen wir gar nicht erst aus dem Wagen aus.
Next Stop: Ü30-Party. Die Stunde war so weit fortgeschritten, dass sich die Betrunkenen zur Slowdance-Runde gegenseitig Halt gaben.
Frustriert und nüchtern liessen wir uns in die Autositze sinken.
Nichts geht mehr: Jetzt brauche ich ein Tinder-Profil
Prinzipiell stehe ich der Existenz von Partnervermittlungs-Plattformen im Netz sehr positiv gegenüber. Gerade für Alleinerziehende ist es meist schwierig, sich ins Nachtleben zu stürzen. Häufig sitzt man allein zu Hause, während die Kinder schlafen.
Diese Tools sind ein wunderbares Mittel, mit Leuten in Kontakt zu treten, die man im realen Leben nie getroffen hätte. Ich kenne zwei Paare, die sich so kennen- und lieben gelernt haben. Die sind mittlerweile sogar verheiratet und ziehen ihre Kinder gross.
Also, why not?
Tom, Christoph, Theo, Stephan, Roman…
Tinder präsentiert sich einfach und gratis, wenn auch qualitativ sicher niedriger als ein Elite-Portal. Ein Föteli hochladen, das Alter eingeben und vielleicht ein Motto oder ein Textli eintippen und päng: online ist frau.
Das Bild von Tom, 44, CEO, im weissen Unterhemd, damit seine Muckis gut sichtbar sind, erscheint. Er präsentiert sich auf der Harley und auf der Yacht. Swipe left – links wischen heisst: Nö, merci.
Roman, 38, mit klassischem Bewerbungsföteli, sieht aus wie Ross aus «Friends». Muss schmunzeln, swipe left.
Der Stephan, 46, 187cm, 80kg hingegen sucht ONS (one night stands) für erotische Abenteuer ohne Verpflichtungen. Denn Frau und Kinder hat er schon. Swipe left.
Danach strahlen mich die blauen Augen von Theo, 49, an. Er hingegen wünscht sich tiefgründige Gespräche bei einer Tasse Tee.
Der Timo, 39, ist – den Bildern mit Elefanten in Thailand, in der Wüste Boliviens und beim Tiefseetauchen in der Südsee nach zu urteilen – ein Weltenbummler und wohl auch nicht auf etwas Sesshaftes aus.
Ja, und da wäre noch P., 45, mit einem Schwarz-Weiss-Foto eines nackten Oberkörpers mit dicken Stahlketten in den Händen. Sein Motto, «Lass mich dein Mr. Grey sein», sagt genug. Swipe left.
Da ist das Föteli von Christoph, 46, mit dem Büsi auf dem Arm, eine wahre Freude.
Beim Bild von Thomas, 41, hoffe ich, dass sich mein Babydaddy nie so präsentiert, denn er posiert mit dem Töchterli.
So ist die Auswahl sehr vielfältig. Du findest von den Extremsportlern, über die Yogis mit Manbun, die Muckimänner, die Geschäftsherren mit Krawatte, die Unberührten, bis hin zu den Autofreaks alles. Freundin Niki schimpft etwas resigniert: «Du musst schon auch mal nach rechts wischen, sonst bringt’s ja nichts». Fair enough.
Swipe right – ab auf ein Date
Ein einziges Mal raufte ich mich für ein Date zusammen. Chris, 40, hat genauso einen abstrusen Musikgeschmack wie ich und besitzt ein Pferd. Wir trafen uns an einem heissen Sommertag auf ein Malzgetränk. Sofort wusste ich: Das wird nix. Wir quatschten dennoch ein wenig über Gott und die Welt, und ich versuchte mir angestrengt vorzustellen, wie das Profilbild wohl entstanden war, denn es hatte wirklich nicht viel Ähnlichkeit mit meinem Gegenüber.
Daraufhin schwor ich dem Portal eigentlich ab – aber das Profil besteht noch und ab und zu klicke ich heimlich auf die pinke App mit dem weissen Flämmchen und swipe mich durch die Männerwelt. Unterhaltsam bleibt es.
Auftrag ans Universum
Aber mal ehrlich, vielleicht bin ich noch gar nicht bereit für einen neuen Mann in unserem Leben. Denn als ich Büne Huber singen hörte:
I bi no nie so schön eleini gsi,
niemer stosst u niemer schrysst,
Gwitterwouke zieh a mir verbi,
u niemer chnurret, bäuet oder bysst.
Da dachte ich mir: Rächt hesch. So erlaube ich mir meinen Ist-Zustand, eingebettet in einem wunderbaren sozialen Umfeld, einfach zu geniessen. Ganz ohne Druck, raschestmöglich meine Zweite-Hälfte finden zu müssen.
Glasklar ist aber auch, dass das Bedürfnis nach einem Partner, dem ich im Bett meine eiskalten Füsse unter die Beine schieben kann, der mich zum Einschlafen im Arm hält, der mir Mut zuspricht, wenn ich an meinen Qualitäten als Mutter zweifle, dem ich meine wirren Gedankengänge zumuten kann, der seinen neutralen Senf zu meinen Geschäftsideen abgibt, mit dem ich mal streiten, aber auch Leidenschaft ausleben kann, und der mir eine Haarsträhne aus der Stirn streicht und mir sagt, wie sehr er mich liebt, irgendwann wieder stärker wird.
Und ich werde tun, was ich in solchen Situationen immer tue: Das Universum mit der Suche beauftragen und darauf hoffen, dass ich im Kino, beim Skifahren, in der Bar oder in der Migros bei «Gemüse aus der Region» zwischen dem Lauch und den Radisli einen wunderbaren Mann treffe, der mit mir den nächsten Abschnitt dieses prächtigen Lebens beschreiten will.
Es ist nie zu spät für die grosse Liebe
Diese Hoffnung brennt in meinem Herzen.
Und Jimmy legte vor Kurzem noch ein Brikett nach. Jimmy ist 75-jährig, lässt aber jeden 50-Jährigen alt aussehen: kerngesund, mit jugendlicher Ausstrahlung, braungebrannt und fit wie Toni Rominger in den besten Jahren.
«Du glaubst nicht, was mir passiert ist», erzählte er mir kürzlich mit glänzenden Augen. «Vor zwei Monaten habe ich auf meinem Sonntagsspaziergang die Frau meines Lebens getroffen. Nächste Woche ziehen wir zusammen und wir planen unsere gemeinsame Weltreise.»
Mein Herz schreit vor Glück für Jimmy. Und auch ein wenig vor Erleichterung für mich.
So ist Jimmy mein Silver Lining. Schliesslich habe ich – so die Götter wollen – noch ein wenig Zeit. Und ich glaube Kuno, wenn er ins Mic raunt:
Irgendeinisch fingt ds Glück eim,
irgendwenn weisch wär d’bisch,
irgendwenn weisch genau wo de häre ghörsch,
u öpper schteut es zwöits Tassli uf e Tisch…
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 8. August 2020 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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