«Wir sind eine komplett normale Familie»
Noa hat zwei Mütter, Sarah und Sandra. Ein Gespräch über Liebe, gesellschaftliche Akzeptanz, rechtliche Hürden und den bewussten Entscheid für ein Leben jenseits klassischer Rollenbilder.

Im Juni 2025, mitten im Pride Month und drei Jahre nach der Einführung der «Ehe für alle» in der Schweiz, hat unsere Autorin online Sarah (36) und Sandra (34) mit ihrem gemeinsamen Kind getroffen – ein Paar, das eindrücklich zeigt, wie vielfältig und gleichzeitig alltäglich Familie sein kann. Die beiden Frauen leben mit ihrem zweijährigen Kind Noa (Name geändert) in Winterthur und gehören zu den sogenannten Regenbogenfamilien. Ihre Geschichte erzählt vom Elternsein zu zweit und davon, was es wirklich bedeutet, eine Familie zu sein.
Sarah: Kennengelernt haben wir uns, ganz den Klischees entsprechend, im Frauenfussball. Wir waren gemeinsam in einer Mannschaft. Sandra war sowohl meine Mitspielerin wie auch Physiotherapeutin. Als ich mir das Kreuzband riss, lernten wir uns besser kennen. Das ist jetzt genau sieben Jahre her.
Sarahs Fragen haben bei mir etwas ausgelöst. Ich fing an, Dinge neu zu sehen, neu zu fühlen.
Sandra
Sandra: Sarah kam damals wegen ihres Unfalls zu mir in die Physio. Sie hat mich in diesen Terminen mit ihren Fragen richtig beeindruckt – sie hat nach Dingen gefragt, über die ich mir noch nie wirklich Gedanken gemacht hatte: Was war der schönste Tag in deinem Leben? Mit welchem Menschen würdest du gerne ein Abendessen verbringen? Was wünschst du dir vom Leben?
Ich war zu dem Zeitpunkt noch in einer Beziehung mit einem Mann. Ich kannte nichts anderes, war in dieser klassischen, «vernünftigen» Lebensschiene unterwegs – ohne zu hinterfragen. Sarahs Fragen haben bei mir aber etwas ausgelöst. Ich fing an, Dinge neu zu sehen, neu zu fühlen. Sie hat mich zum Nachdenken gebracht – über mich, mein Leben, meine Wünsche.
Für mich war es anfangs noch nicht wirklich romantisch. Es war eher freundschaftlich, aber Sarah war da schon weiter. Sie wollte nichts erzwingen, hat mir Raum gegeben. Und genau das hat es möglich gemacht – wir verliebten uns. Nach eineinhalb Jahren sind wir zusammengezogen.
Was ist, wenn unser Kind später wissen will, wo es herkommt? Wer der andere Teil des Genpools ist?
Sarah
Sarah: Die Familienplanung war natürlich ein grosses Thema. Wir haben uns intensiv informiert – über Samenbanken, über Rechte, über Möglichkeiten. Wir tauschten uns mit einer Bekannten von mir aus, die selbst in einer lesbischen Beziehung lebt und Kinder hat. Dass sie ihre Erfahrungen mit uns geteilt hat, war sehr hilfreich.
Wir haben uns dann durch Profile von anonymen Samenspendern geklickt; das fühlte sich für uns beide aber ziemlich seltsam an. Wir stellten uns die Frage: Was ist, wenn unser Kind später wissen will, wo es herkommt? Wer der andere Teil des Genpools ist? Die Vorstellung, dem Kind erst mit 18 zu sagen, dass es nun nach dem Vater suchen kann, war für uns nicht stimmig. Deshalb kam die Idee mit einem gemeinsamen Freund.
Er hat uns das angeboten – ganz offen, ohne Druck. Wir haben uns getroffen, Bedingungen definiert und uns dann ein Jahr Zeit gegeben, um alles zu überdenken. Ein Jahr später haben wir gestartet. Für ihn und uns war und ist klar: Er spielt keine Vaterrolle. Er hat uns geholfen, ein Kind zu bekommen – mehr nicht. Gleichzeitig hat er das Recht, eine Verbindung aufzubauen, wenn das Kind das später möchte. In unserem Umfeld weiss niemand, wer er, der Vater, ist. Noa, so heisst unser Kind, hat ihn ein paar Mal gesehen, aber für Noa ist er einfach ein Bekannter. Wenn Noa irgendwann fragt, sagen wir die Wahrheit.
Wir mussten der KESB etliche Dokumente einreichen. Ich war am Anfang total eingeschüchtert.
Sandra
Sandra: Mittlerweile habe ich Noa adoptiert. Rechtlich war das ein ziemlicher Hindernislauf. Wir mussten eine Vaterschaftsanerkennung bei der KESB umgehen – sie wollten wissen, wer der biologische Vater ist. Wir haben erklärt, dass es sich um eine private Spende handelt und wir seine Identität nicht preisgeben. Ich musste mich mündlich verpflichten, Noa zu adoptieren – dann wurde nicht weiter nachgeforscht.
Unsere Anwältin hat uns sehr geholfen. Aber es gibt keinen klaren gesetzlichen Rahmen für private Samenspenden in der Schweiz. Obwohl die «Ehe für alle» bereits durch war, mussten wir etliche Dokumente einreichen: Strafregisterauszug, Wohnsitzbestätigung, Nachweis über gemeinsames Wohnen, und vieles mehr – insgesamt 21 Anhänge. Ich war am Anfang total eingeschüchtert. Zum Glück hatten wir mit der KESB Winterthur eine angenehme Erfahrung. Nach zehn Minuten waren wir wieder draussen. Aber es ist einfach absurd, dass es keinen schnelleren Weg gibt.
Ich finde, man sollte die Stiefkindadoption schon während der Schwangerschaft machen können – falls Sarah etwas passiert wäre, hätte Noa erstmal nicht rechtlich zu mir gehört. Kinder sollten bei der Geburt rechtlich abgesichert sein. Gerade bei zwei Müttern oder zwei Vätern ist ja sowieso alles durchgeplant. Trotzdem dauerte es zwei Jahre, bis wir den Bescheid hatten.
Sarah: Ich wollte schon immer Kinder und ich bin zwei Jahre älter als Sandra. Daher war für uns schnell klar: Ich trage das erste Kind aus, Sandra das zweite. Wir haben denselben Spender für beide Kinder eingeplant. Aber jetzt, mit Noa, fühlen wir uns komplett und möchten gar kein zweites Kind. Wir wollen lieber noch reisen, Noa die Welt zeigen.
Alles ist teuer, alles kostet Energie. Noa geht nicht in die Kita – wir betreuen komplett selbst. Es ist wunderschön, so viel Zeit miteinander zu verbringen. Wir haben das Gefühl, dass wir zwei Kindern nicht so gerecht werden könnten, wie wir uns das für sie wünschen. Jetzt können wir unsere ganze Aufmerksamkeit Noa schenken.
Noa hat zu Sarah irgendwie eine tiefere biologische Verbindung. Das ist manchmal hart für mich.
Sandra
Sandra: Nach der Geburt hat Sarah sechs Monate Pause gemacht, ich hatte zwei Wochen Vaterschaftsurlaub plus zwei Wochen unbezahlt, danach arbeitete ich in der Zeit, in der Sarah daheim war, Vollzeit. Dann wechselten wir. Sarah stieg mit 70 Prozent wieder ein, ich blieb einen Monat voll daheim. Heute arbeitet Sarah 90 Prozent mit viel Homeoffice. Ich arbeite als Physiotherapeutin 30 Prozent – ziemlich flexibel.
Ich finde, es ist eigentlich vieles genau gleich wie bei der Konstellation Vater und Mutter – einfach mit Mutter und Mutter. Noa hat zu Sarah irgendwie eine tiefere biologische Verbindung – sie hat sie gestillt, sie in sich getragen. Wenn sie sich wehtut, geht sie zuerst zu Sarah. Das ist manchmal hart für mich. Aber wir reden offen darüber, reflektieren. Je älter Noa wird, desto mehr gleicht es sich aus.
Manche Kinder fragen halt, ob da noch ein Mann zu Hause wohnt. Aber wenn wir sagen, dass Noa zwei Mamis hat, ist das Thema gegessen.
Sarah
Sarah: Wir wohnen auf dem Land. Mein Vater hat anfangs gefragt, ob wir uns sicher seien, als Frauenpaar mit Kind aufs Land zu ziehen – wegen der Toleranz. Aber ich habe mir da nie gross Gedanken gemacht. Und ehrlich: Wir wurden komplett akzeptiert. Manche Kinder fragen halt, ob da noch ein Mann zu Hause wohnt. Aber wenn wir sagen, dass Noa zwei Mamis hat, ist das Thema gegessen. Auch bei meiner Arbeit ist es kein Thema.
Es gab eigentlich nur eine Situation, die mich etwas genervt hat: Als Noa in die Waldspielgruppe kam, wurde ich gefragt, ob Mama oder Papa sie bringt. Ich meinte: «Wir sind zwei Mamis.» Die Antwort war dann: «Ach, wir nehmen alle an.» Nett gemeint, aber irgendwie auch seltsam, als ob wir auch nicht angenommen werden könnte. Solche Situationen zwingen einen immer wieder zum Outing.
Es gibt diese klassischen Rollenbilder nicht in unserer Familienkonstellation.
Sandra
Sandra: Wir sind echt ein eingeschworenes Team. Schon vor Noa waren wir ein mühsames Klebi-Paar – immer zusammen unterwegs. Jetzt als Familie sind wir genauso. Gerade sind wir in den Ferien, haben Hammam-Gutscheine bekommen. Aber wir gehen nicht getrennt wohin, wir gehen lieber wandern, zusammen mit Noa.
Ich mache übrigens mehr Haushalt. Das liegt zum einen daran, dass ich mehr zu Hause bin, zum anderen wohl daran, dass ich es einfach mehr gemacht habe – das passt zu mir. Sarah würde lieber eine Putzkraft holen. So ergänzen wir uns.
Eine klassische Rollenverteilung – jemand hat mehr den männlichen Part, jemand mehr den weiblichen – gibt es in unserer Familienkonstellation nicht. Wir sind eine komplett normale Familie mit den genau gleichen Problemen wie ein heterosexuelles Paar, dazu gehört auch, dass wir ab und an mal streiten über das Putzen. Wir sind zwei Individuen mit verschiedenen Eigenschaften.
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Veröffentlicht am 27. Juni 2025
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