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Was sagt mein Gewicht über meine Gesundheit aus?

Gewicht und Aussehen sind oft ausschlaggebend dafür, ob eine Person als gesund wahrgenommen wird oder nicht – zu unrecht. Ein Plädoyer gegen Gewichtsdiskriminierung.

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Text: Melanie Weilenmann

Bauch, der von zwei Händen links und rechts vom Bauchnabel zusammengedrückt wird. Was sagt das Gewicht über die Gesundheit aus? Nicht viel.

Schlank und fit = gesund. An diese Formel habe ich selbst lange geglaubt. Bis mich meine eigene Geschichte eines Besseren belehrte. Heute weiss ich: Gesundheit kennt kein Gewicht. Aber der Reihe nach:

Sportlich, erfolgreich, schlank, …

«Mama, das ist die 5. Frau!» Noch heute kriege ich Gänsehaut, wenn ich an diesen Moment denke, als ich auf den letzten Kilometern des Zürich Marathons 2017 eine grosse Zuschauermenge passierte. Es war ein kalter und niesliger Aprilmorgen, den man eigentlich lieber in der warmen Stube verbringt. Für mich war es aber der Tag der Tage, denn ich hatte mir fest vorgenommen, die magischen drei Stunden zu knacken. Glücklicherweise lief alles wie am Schnürchen.

Marathon ist eine absolute Grenzerfahrung, keine Frage, aber ich konnte mein Tempo wie geplant halten. Dass ich sogar um eine grandiose Platzierung lief, hätte ich nie im Traum gedacht. Die Aussage des kleinen Jungen und der tosende Applaus gab mir nochmals einen richtigen Schub. Ich erreichte das Ziel mit 2:59:00 und konnte mich nicht nur als 5. Frau platzieren, sondern gewann auch meine Kategorie und den Titel als Kantonalmeisterin.

… aber nicht gesund

Das könnte einfach eine Anekdote aus meiner glorreichen Sportlerinnen-Zeit sein. Doch was ich damals noch nicht wusste:

Ich war längst nicht so gesund, wie ich dachte.

Meine Hormone waren komplett durcheinander, sodass nach dem Absetzen der Pille rund zwei Jahre lang meine Periode ausblieb. Bei den ersten Abklärungen bei meiner Frauenärztin machte ich das erste Mal mit einer Art der Gewichtsdiskriminierung Bekanntschaft – und zwar auf umgekehrte Weise. Sie fragte mich nicht, wie oft ich trainierte (aus heutiger Sicht zu oft). Sie fragte mich nicht, wie viel ich ass (aus heutiger Sicht zu wenig für das ganze Trainingspensum). Sie fragte auch nicht nach anderen Stressfaktoren und Lebensumständen.

Sie schloss einfach aufgrund meines Aussehens und meines BMI-Normalgewichts darauf, dass eigentlich alles in Ordnung sein müsste. Nicht nur das, sie betonte sogar, dass von einer ausbleibenden Periode eigentlich nur untergewichtige Frauen betroffen seien.

Heute halte ich solche Blickdiagnosen für sehr gefährlich. Leider wird Gesundheit immer noch häufig über ein bestimmtes Aussehen oder eine Körperform definiert. Schlanksein wird als absolutes Statussymbol verehrt und gleichgesetzt mit Gesundheit, Fitness und Erfolg. Aber:

Nicht jeder schlanke Körper ist gesund, genauso wie nicht jeder mehrgewichtige Körper ungesund ist.

Doch leider sind das Gewicht und der noch weniger aussagekräftige Body-Mass-Index (BMI) heute noch das Mass aller Dinge. Wie willkürlich die Berechnung des BMI ist, zeigt folgende Anekdote: Galt bis im Jahr 1998 noch, dass Übergewicht beim Mann bei einem BMI von 27,8 und bei der Frau bei 27,3 beginnt, wurde es nun bei einem Wert von 25 für beide Geschlechter angesetzt. Hauptsache runde Zahlen – auch wenn Muskel- und Fettverteilung bei Mann und Frau nicht zu vergleichen sind.

Gewichtsdiskriminierung im Gesundheitswesen

Wie sehr das gewichtsdiskriminierende Gedankengut aber leider immer noch im Gesundheitswesen verankert ist, zeigte sich mir in meiner Schwangerschaft. Bereits bei den ersten Untersuchungen ging es gefühlt nur darum, dass es gut wäre, wenn ich ja nicht zu viel zunehme. Nicht nur dass, es wurden mir auch konkrete Zahlen genannt, die ich, wenn möglich, nicht überschreiten sollte. «Wenn eine Frau mehr als 10 Kilogramm zunimmt, ist sie am Schluss unglücklich, da sie die Kilos nur schwer wieder los wird», waren die konkreten Worte. Wohlgemerkt, ich war laut dem ach-so-klaren BMI im Normalgewicht.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich dies Aussage nicht beschäftigt hat. Ach ja, auf Zucker sollte ich, wenn möglich, auch ab sofort verzichten. Und ja nicht zu viele Früchte essen, denn die seien ja auch viel zu süss. «Kein Zucker» wurde zum Running-Gag zwischen mir und meinem Mann die ganze Schwangerschaft hindurch. Und ja, gegen Ende verspeiste ich tatsächlich fast eine ganze Wassermelone. Wohl aus Trotz. Aber natürlich mit einem latent schlechten Gewissen.

Gut gemeinte Gesundheits-Tipps können viel Schaden anrichten

Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitswesen meinen es nur gut, wenn sie Tipps geben, wie man sich gesünder ernähren und mehr bewegen könnte. Und trotzdem wissen sie nicht, was sie da anrichten. Denn es liegt bestimmt nicht daran, dass wir als Gesellschaft zu wenig über Ernährung wissen.

Im Gegenteil, die Dunkelziffer für Menschen mit essgestörtem Verhalten ist hoch. So viele Frauen geben sich selbst die Schuld an ihrem «katastrophalen Essverhalten» und daran, dass sie einfach nicht konsequent sein können. Das Thema ist sehr schambehaftet, und deshalb lässt sich von aussen oft nicht erahnen, wie es im Innern aussieht. Aber was ich dir auf den Weg geben will:

Erstens, du bist nicht allein. Und zweitens, du bist nicht schuld.

Die traurige Wahrheit: Bei fast jeder Frau, mit der ich im Rahmen meiner Beratungen für Frauengesundheit spreche, sind Gewicht, Körperform und Ernährung ein riesiges Thema. Und auch da zeigt sich, das Aussehen sagt rein gar nichts aus über die physische und psychische Gesundheit.

Ich betreue viele Frauen – laut BMI im Normal- und Mehrgewichtsbereich –, die bei genauerem Hinsehen ein Gedankengut und Verhalten aufweisen, das man einer Person mit Magersucht zuschreiben würde. Bei denen die Themen Essen, Nicht-Essen und Sport einen Grossteil ihrer täglichen Energie beanspruchen. Die zwar massiv darunter leiden, sich aber nirgendwo richtig aufgehoben fühlen. Für eine psychologische Betreuung fühlen sie sich nicht krank genug und bei einer Ernährungsberaterin sind sie ebenso fehl am Platz, da sie sämtliche Nährwerte sowieso selbst auswendig kennen.

Warum Diäten und Ernährungsumstellungen selten funktionieren

Um die Schuldfrage zu klären: Die wissenschaftliche Datenlage zeigt eindeutig, dass Diäten langfristig nichts bringen. Viel mehr, sie gefährden sowohl die körperliche als auch die mentale Gesundheit. Und mit Diät meine ich nicht nur Kohlsuppe oder FDH, sondern auch aktuelle Ernährungstrends wie Clean-Eating und Co. Oder «ich luege nur es bizeli». Ja, denn auch damit schränkst du deine Ernährung ein.

Dr. Antonie Post, die Vorreiterin der Anti-Gewichtsdiskriminierung im deutschen Raum, deren Podcast «Iss doch, was du willst!» ich auch gerne meinen Kundinnen weiterempfehle, machte in ihrer Keynote am Greator Festival dieses eindrückliche Beispiel: Stell dir vor, du tauchst unter Wasser, vielleicht eine, vielleicht zwei oder drei Minuten. Irgendwann wirst du unweigerlich auftauchen und nach Luft schnappen. Und genauso geht es unserem Körper mit Nahrungsentzug. Er will ÜBERLEBEN. Und dabei ist es ihm ziemlich schnuppe, ob wir gerade einfach nur in die alte Jeans passen wollen.

Ja, manchmal funktionieren Diäten und sogenannte Ernährungsumstellungen – und wir verlieren ein paar Kilos. Aber irgendwann, vielleicht nach ein paar Tagen oder Wochen, gerät unser Körper in Panik und er schnappt nach Luft. Die Folge: Heisshungerattacken, Schuldgefühle, persönliches Versagen. Und der Vorsatz: Ab morgen wird alles anders, alles besser. Und schon beginnt ein Teufelskreis von vorn, in dem sich viele Frauen befinden.

Würdest du einem Medikament vertrauen, dass nur eine 5-prozentige Chance hat, dass es wirkt?

Wohl kaum. Aber genauso hoch – oder besser gesagt tief – ist die Chance, dass eine Diät beziehungsweise Einschränkung der Nahrungsaufnahme funktioniert. Genau, nur 5 Prozent. Der Grossteil, nämlich 95 Prozent, nimmt die abgenommenen Kilos wieder zu oder sogar noch ein wenig mehr, da der Körper sich für die nächste Hungersnot wappnen will.

Und statt an der Methode zu zweifeln, suchen wir die Schuld bei uns. Und wie so oft klingeln dabei die Kassen. Die Diätindustrie macht nämlich Milliarden-Umsätze mit unserer Hoffnung nach der einen Ernährungsform, die endlich für uns funktioniert. Wie unrealistisch dabei unsere Erwartungen sind, zeigt folgendes Beispiel:

Was denkst du, wie viele von uns haben wohl die genetischen Vorrausetzungen, die 100 Meter in unter 10 Sekunden zu laufen wie Usain Bolt?

Genau, die allerwenigsten.

Genauso ist es mit unserem Gewicht und Aussehen. Auch da ist vieles genetisch vorprogrammiert. Antonie Post benennt als Beispiel, dass Schätzungen davon ausgehen, dass nur jede 40’000. Frau überhaupt die genetischen Voraussetzungen für einen Körperbau eines Topmodels hat. Das heisst im Umkehrschluss, dass es für die allermeisten von uns erstens nicht möglich und zweitens gar nicht gesund wäre, so auszusehen.

Ein Grossteil unserer Gesundheit liegt gar nicht in unserer Hand

Überhaupt werde der Einfluss von Ernährung und Bewegung auf unsere Gesundheit massiv überschätzt, denn sie machen nur gerade 10 Prozent aus. Weitere 20 Prozent werden durch andere gesundheitsfördernde Verhaltensweisen beeinflusst, wie beispielsweise Schlaf und Stressmanagement, das zeigt eine aktuelle Studie.

Ein Grossteil unserer Gesundheit liegt gar nicht in unserer Hand. Er wird durch Umweltfaktoren, Genetik oder Sozialstatus bestimmt. Auch die perfekte Ernährung – falls es diese überhaupt gibt – bedeutet nicht, dass wir dadurch auch gesund sind. Und trotzdem scheint die Ernährung für viele mittlerweile eine Art Ersatz-Religion geworden zu sein – ohne zu realisieren, dass sie sich damit mehr schaden als Gutes zu tun.

So viele Frauen sind im stetigen Kampf gegen ihren Körper. Dieses Schicksal möchte ich meiner Tochter auf jeden Fall ersparen. Ich wünsche mir für sie, dass sie ihre Energie anstatt ins «Projekt Körper» in Dinge investiert, die ihr wirklich etwas bedeuten. Daher fokussiere ich mich auf Selbstfürsorge, Körperakzeptanz und -verständnis und wirklich gesunde Verhaltensweisen.

Achtsames, abwechslungsreiches und vor allem ausreichendes Essen, regelmässige Bewegung, verbesserte Schlafhygiene und Stressbewältigung haben ganz unabhängig vom Gewicht einen positiven Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden. Und daran kann man völlig gewichtsneutral arbeiten.

Melanie Weilenmann, Autorin, Gendermedizin, Frauengesundheit, Gewichtsneutralität, Gewichtsdiskriminierung - www.mal-ehrlich.ch

Autorin

Melanie Weilenmann ist Pflegeexpertin MScN. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrung und der neusten Erkenntnisse aus der Forschung hat sie sich beruflich auf Frauengesundheit spezialisiert. Sie teilt ihr Wissen und ihren Erfahrungsschatz in ihren Beratungen, in ihrem Blog und auf Instagram. Mit ihrem Mann und ihrer Tochter lebt sie im Kanton Zürich. Ihre Leidenschaft gilt dem Sport, vor allem dem Laufen.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 5. Juli 2023 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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3 Antworten

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  1. Avatar von Melanie
    Melanie

    Liebe Sereina

    Ich danke dir ganz herzlich für deinen Kommentar, in welchem du uns auf etwas Wichtiges aufmerksam gemacht hast. Ich habe das Buch von Antonie Post nicht gelesen, höre jedoch begeistert ihren Podcast und empfehle ihn auch gerne meinen Kundinnen. Keine kann dies so gut weitergeben wie sie! Selbst hatte ich schon Mailverkehr mit Antonie; ihr ist ganz wichtig, dass sich der Ansatz verbreitet. Aufgrund eines Missverständnisses habe ich hier nicht auf ihre Quelle verwiesen, wir werden dies jedoch in einer Überarbeitung noch tun.

  2. Avatar von Sereina
    Sereina

    Liebes Team, liebe Melanie
    Ich bin so froh, dass dieses Thema (gewichtsneutraler Ansatz, Anti-Diät, Health at every size…) auch in der Schweiz endlich mehr Beachtung und Akzeptanz findet und dass vor allem auch Vertreter*innen aus dem Gesundheitsbereich ein Verständnis dafür haben und dies praktizieren. Artikel wie dieser helfen unheimlich. Beim Lesen kam mir jedoch vieles sehr bekannt vor, angefangen beim Titel – kann es sein, dass Sie sich hierfür von der Arbeit von Dr. Antonie Post “inspirieren” liessen, ohne sie als Quelle anzugeben? Das wäre schade. Danke für diese wichtige Aufklärungsarbeit.

    1. Avatar von Sandra Trupo
      Sandra Trupo

      Liebe Sereina

      Herzlichen Dank für deinen Hinweis auch von unserer Seite! Wir haben die Änderungen bereits umgesetzt. Den Titel hatte ich beim Einpflegen und Redigieren von Melanies Beitrag gesetzt – unwissend, dass ein gleichnamiges Buch von Dr. Antonie Post existiert. Wir haben ihn inzwischen ebenfalls angepasst.

      Danke, dass du dich nicht nur still geärgert, sondern uns darauf hingewiesen hast. 🤝