Grünes Reisen durch Europa mit vier Kindern
Wie man möglichst nachhaltig reist – und warum das für die ganze Familie eine enorme Bereicherung sein kann. Unsere Gastautorin Karin Handschin nimmt uns mit auf ihre achtsame und unvergessliche Reise durch Europa.
Mit vier Kindern – drei davon schulpflichtig – während acht Monaten durch Europa zu reisen, stellen sich viele intensiv vor. Ist es auch. Sehr intensiv. Sich dabei noch um einen möglichst kleinen ökologischen Fussabdruck zu bemühen, sprich grünes Reisen, mögen einige für unmöglich halten.
Doch – ihr ahnt es schon – es ist möglich. Bei der Planung merkten wir zwar bald, dass unsere grünen Schritte als Reisende mit grösserem Aufwand verbunden sein würden als zu Hause. Trotzdem wollten wir ihnen so gut es ging treu bleiben. So wurde unsere Familienzeit im Ausland zu einem spannenden Trainingsfeld in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit.
Doch wie reist es sich nachhaltig? Das haben auch wir uns vor und während der Reise oft gefragt. Und immer wieder Antworten gefunden. Manchmal mussten die Antworten sich unter den Umständen der Reise biegen. Doch je länger wir gereist sind, umso mehr hat sich die Reise den Antworten angepasst. Das war ein tolles Gefühl.
Nachhaltig fortbewegen
Erste Überlegungen drehten sich um die Reiseroute und somit auch um die Fortbewegung. Reiseziele, die nur mit dem Flugzeug erreicht werden können, fielen im Vornherein weg. Wir wollten aufs Fliegen verzichten. Eine grüne Reise durch Europa (Sardinien, Spanien, Portugal, Frankreich, Niederlande und Deutschland) sollte es werden. Obwohl, jahreszeitentechnisch wäre die Südhalbkugel schon sehr verlockend gewesen.
Schnell war klar, dass wir ein Auto benötigen, was nichts anderes bedeutete, als zum ersten Mal in unserem Leben ein Auto zu kaufen. Bis dahin hatten wir uns lediglich ab und zu eines ausgeliehen. Dieser Entscheid kostete mich Überwindung.
Ich spielte mit dem Gedanken, ob es nicht doch möglich wäre, die Reise mit öV zu meistern. Mein Mann war diesbezüglich realistischer und winkte schnell ab. Zu Recht. Denn ein so dichtes Verkehrsnetz wie unseres würden wir nirgends in Europa finden. Und weil wir nicht nur in grossen Städten unterwegs sein, sondern auf der Suche nach mehr Zeit in der Natur eher ländlich leben wollten, schienen öV nicht realistisch.
Wir waren uns jedoch einig, dass wir das Auto nach der Reise verkaufen würden. Und zwar so schnell wie möglich.
#daschamebruuche aus unserem Concept Store
Wir fanden das perfekte Fahrzeug aus zweiter Hand. Es hat uns während acht Monaten gute Dienste geleistet. Auch ich habe mich mit dem treuen Gefährt tatsächlich angefreundet und es schätzen gelernt.
Trotzdem hielten wir zwei Wochen nach unserer Heimkehr bereits den unterschriebenen Kaufvertrag des neuen Besitzers in den Händen.
Wir fühlen uns freier und unabhängiger ohne Auto. Das klingt irgendwie total verrückt, ist jedoch so!
Anregungen Fortbewegung
- Reiseziele wählen, die keine Flüge voraussetzen
- wenn fliegen, dann Kurzstreckenflüge vermeiden und andere Fortbewegungsmittel bevorzugen
- vorausschauend planen (z.B. Rundreise), anstatt wild auf der Landkarte zu hüpfen
- Ausflüge: Bevorzugt die unmittelbare Umgebung erkunden – zu Fuss
- vor Ort Fahrräder mieten
- den CO2-Ausstoss der Fortbewegung kompensieren
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Nachhaltig unterkommen
Den Kindern und uns zuliebe wollten wir jeweils mehrere Wochen an einem Ort verweilen, um den Stress durch ständig wechselnde Unterkünfte und deren Suche zu vermeiden. Während der Reise merkten wir, dass die langen Aufenthalte am selben Ort nicht nur Stress verringerten, sondern auch mehr Nachhaltigkeit zuliessen.
Wir konnten Einkaufsmöglichkeiten ausfindig machen, die unseren Bedürfnissen entsprachen. Hauptsächlich haben wir selber gekocht (was den Geldbeutel schont), verpackungsfreie Zwischenmahlzeiten hergestellt (was Müll reduziert) und vor Ort Kontakte mit Leuten geknüpft (was uns viele interessante Gespräche zur Umweltthematik in anderen Ländern beschert hat).
Zudem haben wir explizit nach Orten gesucht, wo wir uns einbringen und mithelfen konnten. Das hat mehrmals geklappt, auch wenn die Suche als Grossfamilie nicht ganz einfach war.
Es war nicht das grüne Gewissen, sondern in erster Linie der Geldbeutel, welcher Grösse und Komfort der Unterkünfte vorgab.
Wir lebten deshalb hauptsächlich in einfachen und kleinen Unterkünften.
Eine Ausnahme war das grosszügige Ferienhaus mit Pool in Portugal. Wir schluckten zuerst leer, als die Vermieterin uns erklärte, dass die Wassertemperatur im Pool während unseres Aufenthalts durchgehend auf 27 Grad gehalten wird (hatten wir doch nicht mal damit gerechnet, dass der Pool in dieser Jahreszeit mit Wasser gefüllt ist).
Sie zu bitten, die Heizung abzustellen, liessen wir bleiben, nachdem sie erwähnte, dass das Aufheizen des Pools fünf Tage gedauert hat. Letztlich hatten die Buben einen Monat lang täglich viel Spass im geheizten Pool, sodass wir unser schlechtes Gewissen zur Seite schoben.
Ebenfalls etwas Unbehagen löste in den kälteren Reisemonaten die Heizsituation in Sardinien und Spanien aus. Dort konnten wir nur mit einer Klimaanlage heizen, deren heisse Luft schnell verpuffte.
Trotzdem konnten wir uns nicht dafür begeistern, aus Energiespargründen gar nicht zu heizen und stattdessen auch im Haus Jacke, Mütze und Handschuhe zu tragen. Da wir so sparsam wie möglich heizten, waren die Schlafzimmer und Betten im Januar in Sardinien so kalt, dass wir mit dem Haarfön heisse Luft unter die Decke geblasen haben, bevor wir uns abends ins Bett legten. Auch nicht sehr klimafreundlich.
Morgens bei 12 Grad Innentemperatur brachten wir unsere kalten Glieder dann mit Springseilen in Schwung. Wir merken uns für einen nächsten Winter in Sardinien, eine Unterkunft mit Holzofen zu buchen. Doch ob das nachhaltiger wäre?
Anregungen Unterkunft
- in Gemeinschaften wohnen, um Ressourcen zu teilen und Dienstleistungen auszutauschen (z.B. Fahrgemeinschaften für den Einkauf und für Ausflüge)
- Unterkunft an sinnvoller Lage (Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten, Ausflugszielen, Natur)
- längere Aufenthalte, um sich einrichten zu können (selber kochen, sinnvoll einkaufen, sich Zeit nehmen für grüne Schritte)
- Housesitting oder Haustausch
- evtl. Heizsituation beachten
Nachhaltig einkaufen
Der grüne Einkauf von Lebensmitteln hat uns intensiv beschäftigt. Nachdem uns schon zu Beginn der Reise in Sardinien die extremen Abfallverschmutzungen der Strände schockierten, haben wir begonnen, immer stärker darauf zu achten, so wenig Müll wie möglich in den bereisten Ländern zurückzulassen.
Denn diese sind entsorgungstechnisch weniger gut ausgerüstet als die Schweiz mit ihren guten Kehrichtverbrennungsanlagen. Der Grossteil des Abfalls landet in Deponien.
Wir begannen Unverpackt-Läden ausfindig zu machen und unsere nächsten Reisedestinationen bewusst nach deren Verfügbarkeit zu wählen.
Vor zwei Jahren noch wäre die Suche nach unverpackten Lebensmitteln in Europa weitaus schwieriger gewesen.
Viele Läden sind erst im Laufe des letzten Jahres entstanden. Einmal konnten wir uns sogar in einem ganz neu eröffneten Laden eindecken.
Die Kinder waren immer mit dabei und liebten es, beim Auffüllen mitzuhelfen. Sie stellten sicher, dass neben den gesunden Vorräten auch ein Glas mit Süssem gefüllt wurde.
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Die Ladenbesuche waren oft ein ziemliches Spektakel mit den vier Jungs und fast immer brauchte es Geschick und Taktik von uns Eltern, bis geklärt war, wer welche Aufgabe übernimmt. Die Ladenbesitzer waren zum Glück sehr entspannt, wenn etwas daneben ging und freuten sich über die grosse Reisefamilie.
Zu unseren nachhaltigen, sprich grünen Einkäufen gehörte auch die Suche nach Gemüsemärkten und Bio-Höfen in der Nähe unserer Unterkünfte. Die regelmässigen Einkäufe auf einem Hof in der Pampa von Spanien und die langen interessanten Gespräche mit dem Bauern, während wir gemeinsam mit ihm über die Felder zogen, um Salat, Fenchel und Grünkohl direkt vom Feld zu ernten, werden wir nicht mehr so schnell vergessen.
Dass wir mit dem Auto reisten, stellte sich als nützlich heraus.
Denn unser Gepäck bestand nicht nur aus Kleidern, Bettzeug, Toilettenartikeln, Schulmaterial, Büchern und ein bisschen Spielzeug, sondern auch aus Küchenutensilien (mehr unter «nachhaltig packen») und Vorratsgläsern.
So mussten wir nicht an jedem weiteren Reiseziel wieder bei 0 anfangen. Das hat sich sehr gelohnt. Für eine allfällige noch grünere Reise in der Zukunft ohne Auto, dafür mit Rucksack, müssen wir eine neue Lösung finden.
Anregungen Einkauf
- Unverpackt-Läden besuchen
- Gemüsemärkte ausfindig machen
- Bauernhöfe in der Umgebung ausfindig machen und direkt ab Hof kaufen
- Kräuter und Tee in der Natur ernten, trocknen und in Gläsern aufbewahren
- mit Vorratskiste/-tasche reisen, sodass Lebensmittel in grösseren Mengen eingekauft werden können
- Einkaufshelfer dabei haben (siehe «nachhaltig Koffer packen»)
Nachhaltig Koffer packen für die grüne Reise
Der ökologische Fussabdruck auf Reisen beginnt schon bei der Packliste.
Wir haben neben dem Auto nur wenig für die grüne Reise angeschafft. Fast alles konnten wir auf gängigen Onlineportalen Occasion ergattern oder haben es von Freunden oder Nachbarn ausgeliehen. Wir haben vorausschauend genügend zu Hause vorhandene Kleidung und Schuhe eingepackt, um unterwegs nichts Neues kaufen zu müssen. Einzig um den Kauf von Socken für die Kinder kamen wir nicht herum.
Da genügend Platz im Kofferraum war, haben wir zwei Kisten mit verschiedenen Helfern für die Küche und für die Vorräte eingepackt, welche uns enorm geholfen haben, unterwegs Müll zu vermeiden. Putzmittel haben wir mit ein paar eingepackten Grundzutaten ebenfalls selber hergestellt.
Anregungen für nachhaltiges Kofferpacken
- fehlende Ausrüstung Occasion kaufen (z.B. E-Reader) oder ausleihen
- Einpacken, was zu Hause vorhanden ist, anstatt unterwegs alles neu anzuschaffen (sofern genügend Platz für Gepäck vorhanden ist)
- Küchen- und Einkaufshelfer mitnehmen (Gemüsesäckli, Wachstücher, Einkaufstaschen, Mehrweg-Backpapier, Trinkflaschen, waschbare Abwaschschwämme, Zutaten für Reinigungsmittel, …)
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Nachhaltig Freizeit gestalten
Durch die wenigen ausserfamiliären Verpflichtungen konnten wir ganz praktische Dinge ausprobieren und geniessen, für die zu Hause im Hamsterrad immer zu wenig Zeit geblieben war. Zum Beispiel verpackungsfreie Snacks herstellen. Oder Routine im unverpackten Einkaufen erlangen. Bücher zu nachhaltigen Themen lesen.
Wenn die Kinder draussen mit dem gespielt haben, was die Natur bot, sassen mein Mann und ich oft etwas abseits und diskutierten über unsere nächsten grünen Schritte.
Das freie Spiel der Kinder draussen war uns enorm wichtig. Wir hatten den Eindruck, dass ihre Verbundenheit mit der Natur wuchs, je mehr Zeit sie darin verbrachten.
Und je stärker die Naturverbundenheit, umso sorgfältiger und bewusster ist ihr Umgang mit der Umwelt.
Die Reise bot den Buben verschiedenste Zugänge zu Umweltthemen. Plötzlich begannen sie, Zusammenhänge zu verstehen, die wir ihnen zu Hause weder haben nahebringen noch begreifbar machen können.
Ein eindrückliches und lehrreiches Klassenzimmer auf der grünen Reise war unter anderem ein Bio-Hof in Spanien.
Wenn Martin beim Rundgang durch die Felder über artgerechte Tierhaltung und ökologische Landwirtschaft sprach, hingen die Kinder mit offenem Mund an seinen Lippen. Mittlerweile fragt unser Sohn nicht mehr genervt: Wieso müsst ihr eigentlich immer alles in Bio-Qualität kaufen?
Das berührendste Lehrstück für uns alle waren unsere Müll-Sammel-Nachmittage an den Stränden Portugals. Der Einsatz der Kinder war beeindruckend.
Neben den Ohnmachtsgefühlen und der Traurigkeit über das riesige Plastikproblem spürte ich tiefe Dankbarkeit für die Möglichkeit, dies gemeinsam mit meinen Kindern zu erleben.
Denn ich wusste: Diese Aktionen haben ihr Denken nachhaltig verändert!
Anregungen Freizeitgestaltung
- Kinder in Haushalt einbeziehen (Einkaufen, Kochen, Backen, …)
- viel Zeit in der Natur verbringen
- Museen zu nachhaltigen Themen besuchen (für ältere Kinder), z.B. das Klimahaus in Bremerhaven
- Bibliotheken besuchen und Bücher ausleihen
- gemeinsam Müll sammeln (am Strand, im Wald etc.); dafür immer eine Mülltüte dabei haben
- auf Höfen mithelfen
- Umgang mit Tieren ermöglichen
Zurück im Alltag
Was wir unterwegs gelernt haben, versuchen wir, in unseren Alltag zu integrieren. In diesem Sinne ist unsere Reise noch nicht zu Ende. Sie hat gerade erst begonnen. Und die Kinder sind mit an Bord.
Unterwegs ist es uns gelungen, den Kindern nahezubringen, wie sie sich um die Umwelt kümmern und Ressourcen schonen können. Wir haben ihnen gezeigt, dass es genussvoll sein kann, an Erlebnissen und Erfahrungen reich zu werden anstatt an Sachen. Natürlich haben sie trotzdem noch ganz viele Wünsche zu Weihnachten!
In grünen Schritten zu reisen, war die beste Entscheidung, die wir treffen konnten. Denn was sich nach sehr viel Verzicht anhört, war in Wahrheit ein Gewinn auf vielen unterschiedlichen Ebenen. Das Verlassen der vermeintlichen Komfortzone öffnet die Augen für den Wert eines einfachen und simplen Lebens.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 21. Juni 2020 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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