Weg mit euren Vorurteilen! So können Mütter leichter Karriere machen
«Betrachte dich selbst als gleichberechtigt», ist ein Karrieretipp von Simona Scarpaleggia, CEO von IKEA Schweiz. Die dreifache Mutter weiss, dass Vereinbarkeit kein Klacks ist – aber sie hat Lösungsvorschläge.
Simona Scarpaleggia ist dreifache Mutter und hat eine grosse Karriere hingelegt: 2000 startete sie als Personalmanagerin bei IKEA Italien, seit 2010 ist sie CEO von IKEA Schweiz. Daneben investiert sie viel Energie in die Förderung von Frauen, zum Beispiel mit der Vereinigung Advance – Women in Swiss Business. Im Interview erzählt sie von ihrer Laufbahn, von persönlichen Schwierigkeiten und Lösungen – und gibt Tipps fürs Weiterkommen.
Simona Scarpaleggia, wie oft mussten Sie die Frage beantworten, wie Sie Karriere und Familie unter einen Hut bringen?
Zu oft.
Ärgert es Sie, dass Frauen das gefragt werden?
Ja, es nervt mich. Aber es würde mich weniger irritieren, wenn Männer mit derselben Frage konfrontiert würden.
Was antworten Sie auf diese Frage?
Eine gute Organisation und volles Engagement waren essenziell. Zudem hatte ich Unterstützung von einer Tagesmutter, was mir geholfen hat, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen.
Die Krux mit den Bedürfnissen
Sie haben drei Kinder. Was war für Sie und Ihren Mann die grösste Herausforderung in der Vereinbarkeit von beruflichen Ambitionen und Familienleben?
Die grösste Challenge war, allen Bedürfnissen gerecht zu werden und sicherzustellen, dass die Familie immer oberste Priorität hat. Als wir zum Beispiel in die Schweiz zogen, war es wichtig, dass mein Mann seine Karriere in Italien weiterverfolgen konnte. Also lebten wir in Zürich, denn so klappte es: Er pendelte unter der Woche nach Mailand.
Können Sie nachvollziehen, dass die Familienplanung bei Frauen bei vielen Überlegungen im Hinblick auf eine Karrieregestaltung eine Rolle spielt?
Natürlich.
Mussten Sie sich selber aus bestimmten Denkmustern lösen oder gegen inneren oder äusseren Widerstand ankämpfen bei der Verfolgung ihrer beruflichen Ambitionen?
Ich persönlich wusste schon immer, dass ich beides haben wollte: Familie und Karriere. Als ich in Italien eine Führungsposition erlangte, änderte ich die firmeninternen Gepflogenheiten, die mich daran hindern würden, beides gleichermassen zu verfolgen. Beispielsweise unterband ich fortan Meetings am Abend. Für berufstätige Mütter ist es fast unmöglich, an solchen Meetings teilzunehmen, während die Männer einfach länger im Büro bleiben – weil angenommen wird, dass die Frauen sich daheim um die Kinder kümmern.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Genug Me-Time? Haha…
Nächte mit wenig Schlaf und ein Mom Brain in den ersten Babymonaten – das Gefühl, wegen all dem nicht dieselbe Leistung erbringen zu können wie zuvor im Berufsleben. Ging es Ihnen ebenso?
Um ehrlich zu sein: Ich hatte diese Probleme nicht. Ich war gut organisiert und engagierte mich stark dafür, dass alles glatt läuft. Zudem half mir der Mutterschaftsurlaub. Darüber hinaus hatte ich Unterstützung von meiner Familie und von einer Nanny; das half mir, klare Prioritäten zu setzen.
Ihre Kinder sind mittlerweile erwachsen. In welchen Altersperioden fanden Sie die Vereinbarkeit besonders anspruchsvoll? Die Zeiten von Schlafmangel und vielen Krankheitstagen im Kleinkindalter? Oder die Teenagerjahre?
Die verschiedenen Lebensabschnitte lassen sich schwer vergleichen, und sie stellen an uns Eltern ganz unterschiedliche Anforderungen. Kleine Kinder brauchen viel körperliche Aufmerksamkeit und Nähe, Teenager dagegen müssen wissen, dass du emotional präsent bist, wenn sie es brauchen.
Ich litt nicht wirklich unter Schlafmangel. Aber ich erinnere mich, dass ich praktisch keine Zeit für mich selbst hatte. Besonders, wenn die Kinder klein sind, bist du ja ständig am Rumrennen.
Gab es Zeiten, in denen Sie es aus familiären Gründen beruflich ruhiger nehmen wollten oder mussten?
Nach jeder Geburt nahm ich die fünf Monate Mutterzeit, die Müttern in Italien gewährt wird. Während dieser Phase konzentrierte ich mich auf die Familie und arbeitete so wenig wie möglich.
Vereinbarkeit von Karriere und Familie in der Schweiz
Welche Vorstellungen hatten Sie von den Schweizer Verhältnissen in Bezug auf Gleichstellung, bevor Sie hierherkamen?
Ich erwartete eine äusserst konservative Umgebung. Ich wusste, dass die Schweiz dem Frauenstimmrecht erst 1971 zugestimmt hatte, was ich als ziemlich irritierend empfunden hatte.
Waren Sie positiv oder negativ überrascht, als Sie dann tatsächlich die Schweizer Arbeitswelt von Nahem sahen?
Ich merkte, dass viele Mütter gar nicht oder nur Teilzeit arbeiten. Da die Frauen einen prozentual hohen Anteil an Einwohnern mit universitärem Abschluss stellen, heisst das: sehr viel ungenutztes Potenzial. Ich bin aber positiv überrascht, dass das Interesse und das Bewusstsein für die Vorteile der Gleichberechtigung seit meiner Ankunft in der Schweiz vor neun Jahren beträchtlich zugenommen haben. Ich glaube, das liegt auch am Pragmatismus der Schweizer Bevölkerung: Sobald sie den wirtschaftlichen Nutzen in etwas erkennen, engagieren sie sich dafür.
Sie setzen sich intensiv für Chancengleichheit und Lohngleichheit ein. Wie schätzen Sie den Ist-Zustand in der Schweiz ein, auch im Vergleich zu Italien?
Die Indikatoren weisen eindeutig in die richtige Richtung für die Schweiz. Laut dem Gender Gap Report des WEF liegt die Schweiz auf Platz 20 unter 149 einbezogenen Ländern. Italien belegt den 70. Rang. Beide Länder haben viel zu tun, aber Italien muss noch viel mehr tun, um die Lücke weiter zu schliessen.
Eine Karrierefrau? Gebt ihr eine Krawatte!
Wo liegen Ihrer Ansicht nach die grössten Hürden für eine vollständige Gleichstellung?
In der Gesellschaft, in unbewussten Vorurteilen und in der Kultur. Ein Beispiel: Bei einer Zeremonie wurde mir einmal eine Krawatte geschenkt; bezeichnend, dass man Frauen dieses männliche Statussymbol überreichen muss.
Die grössten Hindernisse in der Schweiz sind das Schulsystem mit der Mittagspause und den fehlenden Betreuungsstrukturen. Hinzu kommt die Bestrafung von Ehepaaren, die beide berufstätig sind. Und da normalerweise das niedrigste Gehalt durch diesen Mechanismus bestraft wird und die meisten niedrigen Gehälter Frauen betreffen, werden hierdurch hauptsächlich berufstätige, verheiratete Frauen bestraft.
Bei IKEA Schweiz ist das Geschlechterverhältnis bis auf die höchste Stufe ausgeglichen. Was war anspruchsvoller: Die Überzeugungsarbeit, um dies in die Tat umzusetzen, oder die Ermutigung von Frauen, sich für hohe Positionen überhaupt zu bewerben?
Ich musste keine grossen Anstrengungen unternehmen, um Frauen davon zu überzeugen, sich für Führungspositionen zu bewerben. Die Leute wussten, dass wir uns unseren schwedischen Wurzeln getreu seit langem für Chancengleichheit einsetzen und diese auch leben. Deshalb zögerten Frauen nicht, sich zu bewerben.
Die Umsetzung war auch nicht so schwierig, da hier die Überzeugung herrscht, dass wir mit gemischten und unterschiedlichen Teams bessere Ergebnisse erzielen. Also haben wir einige Anpassungen vorgenommen und konnten nach einer Weile die Früchte dieser Veränderungen sehen.
Welchen Tipp geben Sie Unternehmen, die ebenfalls ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis erreichen wollen?
Klare Richtlinien aufstellen und in die Praxis umsetzen. Wir begannen zum Beispiel damit, jeweils einen männlichen Kandidaten und eine weibliche Kandidatin in die Endauswahl zu nehmen, wenn wir eine neue Position besetzten. Auf lange Sicht sorgte dies für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf allen Ebenen. Wir haben uns auch für flexible Arbeitsmodelle mit Teilzeitbeschäftigung, sechswöchigem Vaterschaftsurlaub usw. eingesetzt.
Im Allgemeinen ist es wichtig, das Ganze betriebswirtschaftlich anzuschauen: die Zahlen zu erfassen, die kurz- und langfristigen Auswirkungen auf die Kosten und die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu berücksichtigen, und dann die Richtlinien entsprechend aufzustellen und umzusetzen. Für mich ist das absolut logisch – sowohl aus der Perspektive der Gleichberechtigung als auch aus unternehmerischer Sicht.
Tipps für Frauen mit Karriere-Träumen
Und welchen Tipp haben Sie an Mütter, die berufliche Ambitionen hegen?
Überwinde stereotypes Denken und betrachte dich selbst als gleichberechtigt – zu Hause wie bei der Arbeit. Nicht nur Männer, sondern auch Frauen haben Vorurteile in Bezug auf Geschlechterrollen.
Kehren wir zur ersten Frage zurück: «Wie bringt man Familie und Karriere unter einen Hut?». Diese Frage bedeutet nicht nur, dass eine Mutter nicht arbeiten sollte, sondern sie geht auch davon aus, dass es die Aufgabe der Frau ist, für die Familie zu sorgen. Das Schlimmste: Frauen werden das oft von anderen Frauen gefragt und verteidigen sich dann sofort, indem sie bekräftigen, wie sehr sie sich um ihre Familie etc. kümmern. Und es überrascht nicht, dass die meisten berufstätigen Frauen mit einer Familie unbewusst an einem tief verwurzelten Schuldgefühl leiden. Wir müssen diese Stereotypen überwinden. Und die Menschen, die diese Frage stellen, darauf aufmerksam machen, dass sie der Gleichstellung von Männern und Frauen widerspricht.
Darüber hinaus müssen wir alle Entscheidungen der Männer und Frauen respektieren, die sich entschliessen, eine Karriere zu verfolgen – sowie der Männer und Frauen, die lieber zu Hause zu bleiben und für die Familie sorgen. Wir müssen uns viel mehr darum kümmern, dass dies eine freie und bewusste Entscheidung sein muss.
Sie lesen leidenschaftlich gern. Gibt es ein Buch zum Thema Gleichstellung, Vereinbarkeit o.ä., das sie besonders empfehlenswert finden?
Zurzeit lese ich «Women & Power» von Mary Beard. Was mir daran besonders gefällt, ist, dass es zur Wurzel des Machtdenkens vorstösst und Macht-«Tabus» verändert.
Im Juli erscheint ihr Buch «Die andere Hälfte». Was ist die Kernbotschaft?
Dass ein geschlechtergerechtes Arbeitsumfeld gut ist für Frauen, Männer, Unternehmen und die Gesamtwirtschaft. Es ist eine grossartige Gelegenheit, die wir nicht verpassen dürfen. Es gibt keinen Grund, jetzt nicht entschlossen zu handeln.
Weitere Texte zum Berufsleben gibt es hier:
Erfolgreich verhandeln – in Beruf und Beziehung. Unser Inverview mit der Expertin Wies Bratby.
Mütter: Arbeitet oder heiratet. Tipps für eure Altersvorsorge
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 9. Juni 2019 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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