«Manchmal schütte ich meinem Chef Muttermilch in den Kaffee»
Rache ist süss, so wie Muttermilch. Unsere Autorin greift in ihrem Frust zu besonderen Mitteln. Verständlich oder unverzeihlich?
Es ist ein sonniger Montagmorgen und ich stehe vor dem Spiegel, zupfe meinen Business-Anzug zurecht und begutachte mein neuestes Accessoire: Augenringe, die bis nach Timbuktu reichen.
Ich bin frisch gebackene Mutter. Mein kleiner Sonnenschein raubt mir den Schlaf und zaubert mir gleichzeitig ein Lächeln ins Gesicht, das ich nie mehr missen möchte. Ausser vielleicht, wenn der Kleine gerade so stark in die Windel gemacht hat, dass die dampfende Sauce bis zu den Nackenhaaren hochschiesst.
Ich kriege meinen neuen Alltag gerade so gemeistert, erscheine pünktlich bei der Arbeit und ebenso einigermassen nicht zu spät wieder in der Kita. Andere kommen dagegen mit meiner neuen Doppelrolle nicht ganz klar.
Allen voran mein Chef, nennen wir ihn doch Herr Patriarch. Und sagen wir, er nennt mich Frau Mutter. Sein Verhalten mir gegenüber hat sich seit meiner Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub um 180 Grad gedreht.
Mein Chef, der Patriarch
«Na, Frau Mutter, mal wieder eine lange Nacht gehabt?», höhnt er, kaum habe ich das Büro betreten. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. «Das werden Sie eines Tages auch verstehen, wenn Sie mal Kinder betreuen.»
Er lacht laut, als hätte ich den Witz des Jahres gemacht.
Natürlich hat er Kinder, vier sogar. Aber Care-Arbeit kennt er nur aus der Ferne, dafür ist seine Frau zuständig.
Er kann sich schliesslich nicht mit solch unwichtigen Dingen abgeben.
Sexismus am Arbeitsplatz: Zum Kaffeeholen degradiert
Als Kommunikationsberaterin verantworte ich normalerweise wichtige Präsentationen und verfasse Reden für unsere Klientinnen und Klienten. Doch seit ich Mutter bin, scheint Herr Patriarch meine Kompetenzen anders einzustufen.
Frau Mutter, könnten Sie für unsere Klienten bitte zwei Latte Macchiato aus dem Café holen? Und vergessen Sie das Gebäck nicht.
Ich schaue auf die Uhr. Eigentlich sollte ich in fünf Minuten eine Präsentation halten. Aber Herr Patriarch hat gesprochen. Also renne ich los, in meinen High Heels, die nur halb so schick aussehen, wenn man damit innerhalb von viereinhalb Minuten Kaffee und Gebäck holen muss.
Und Mist, da ist auch noch Babysabber auf meinem Blazer! Das ist wohl bei der Übergabe morgens in der Kita passiert. Statt Kaffee zu holen, möchte ich mich eigentlich auf die Präsentation vorbereiten und versuchen, die Flecken auszuwaschen.
Zurück im Büro muss ich die Kaffees aus den Pappbechern in Tassen umfüllen. Herr Patriarch drückt mir drei Tassen in die Hand und sagt irritiert: «Mir haben Sie nichts mitgebracht? Sie wissen doch, ich trinke auch immer einen Milchkaffee.»
Ich nicke und muss mir ein Grinsen verkneifen.
In solchen Momenten drückt eine Seite von mir durch, die ich zuletzt als zirka Fünfjährige ausgelebt habe. Und ich muss sagen: Es fühlte sich damals gut an, warum nicht auch heute noch?
Geheimwaffe Muttermilch
Ich habe meine Geheimwaffe stets dabei: Eine kleine Flasche abgepumpter Muttermilch. Jedes Mal, wenn Herr Patriarch mir wieder einen Sekretärinnen-Job aus den Fünfziger Jahren zuschiebt, ziehe ich mich diskret zurück, um den Kaffee mit einem Schuss Muttermilch zu verfeinern. «Für den extra Nährstoffkick», denke ich schadenfroh.
Die Genugtuung, wenn er einen Schluck nimmt und anerkennend nickt, ist unbezahlbar.
Der Gipfel des Irrsinns kommt, als er mir eines Tages sagt: «Frau Mutter, könnten Sie bitte das Meetingprotokoll tippen? Meine Assistentin hat heute frei.»
Ich sehe ihn an. «Natürlich. Darf ich Ihnen vorher noch einen Kaffee bringen?» Er nickt gönnerhaft. Ich husche davon und schütte einen Schuss Geheimtinktur in seinen Kaffee.
Mir ist bewusst, dass meine Methoden nicht die feine Art sind.
In einer Welt, in der Mütter oft nicht ernst genommen werden, muss man halt kreativ werden.
Leider kann ich es mir aktuell nicht erlauben, den Job hinzuschmeissen – und das weiss Herr Patriarch ganz genau. Er nutzt seine Machtposition aus und erlaubt sich diese kleinen Gemeinheiten und Abwertungen.
Und ich? Ich reagiere auf seinen Schwall Sexismus mit ein paar Tröpfchen Muttermilch.
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Veröffentlicht am 12. August 2024
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