Kolumne
Markus Tschannen wechselt wieder Windeln: Warum ein drittes Kind?
Ich habe mich gerade so mit zwei Kindern arrangiert. Bewältige knapp den Alltag, renne Terminen hinterher. Aber noch ein Kind? Na los! Ein rationaler Erklärungsversuch.

«Zwei Kinder sind genug», dachte ich nach dem Zweiten. Stellt sich raus: Zwei Kinder sind überhaupt nicht genug. Zwei Kinder sind schön, aber warum aufhören, wenn’s am Schönsten ist. Wer zwei Millionen auf dem Bankkonto hat, sagt ja auch nicht: «Och ja, zwei sind genug.»
Der Mensch kann seinen Hals nie vollkriegen. Das gilt auch für die Karriere: Wer zwei Hierarchiestufen erklommen hat, ist längst nicht angekommen. Nein, der Mensch möchte weiter die Karriereleiter emporklettern, bis er seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen ist. Beförderung bis zur Überforderung.
Aber es geht nicht um die Arbeitswelt. Wir wissen alle, dass das eine Metapher für meine Familienplanung ist.
Ich habe mich grad so mit zwei Kindern arrangiert. Ich bewältige knapp den Alltag, renne Terminen hinterher: Geburtstage, Konzert, Tanzaufführung der Kindsfreundin, Zahnärztin, Schulfest, Elternabend – alles multipliziert mit der Anzahl Kinder. Ich würde aufstöhnen, wenn eins ein zusätzliches Hobby ausüben möchte. Aber ein drittes Kind? Na los! Nur zu. Geht schon irgendwie.
Lass uns Freunde fürs Leben machen
Es müsste eigentlich verboten sein, drei Kinder zu bekommen – Zwillinge beim zweiten Wurf ausgenommen. Drei Kinder nützen niemandem etwas. Auch nicht «für die AHV». Vielleicht am Anfang, aber schwups, schon ist der Goof 65 und dann heisst es: «Hätten die damals nur weniger Kinder bekommen!»
Nein, nein, die Grossfamilie ist egoistische Selbstverwirklichung. Im Grunde unmoralisch. Und es soll mir jetzt niemand mit dem Fortbestand der Menschheit kommen. Tiefe Geburtenraten sind aktuell das Beste, was dem Planeten passieren kann. Held, wer auf Kinder verzichtet. Aber von Moral allein lassen wir uns selten leiten und solange drei Kinder erlaubt sind, nutze ich die Gesetzeslücke.
Auf der Pro-Seite befand sich ein einziger Satz: «Es wäre schon schön, noch so ein Bebeeli zu haben.»
Nur warum? Bei unserer sorgfältigen Abwägung standen auf der Contra-Seite der Liste 167 gute, sachliche Gegenargumente: Von den ständigen Kack-Unfällen über’s zu kleine Familienauto bis zum Betreuungs-Armageddon. Auf der Pro-Seite befand sich ein einziger Satz: «Es wäre schon schön, noch so ein Bebeeli zu haben.» Dieses eine fadenscheinige Argument hat die anderen 167 Argumente am Ende locker ausgestochen.
So ganz kann ich mir das psychologisch nicht erklären. Die These, die mir aktuell am vielversprechendsten erscheint, ist die, wonach der Mensch mit Kindern gegen die Einsamkeit ankämpft. Bitte googelt diese These jetzt nicht, ich habe sie gerade erfunden.
Kinder sind langfristig gute Lebensbegleiter. Die ersten paar Jahre stehen sie in einem Abhängigkeitsverhältnis, das gibt uns Eltern einen Purpose, den erwachsene, selbständige Freunde nicht bieten können.
Kinder sind die beste Versicherung gegen Einsamkeit.
Danach geht man während der Pubertät gemeinsam durch schwierige Zeiten. Das schweisst zusammen, auch wenn die Schweissnaht anfänglich aussieht, wie vom Schreiner gezogen. Hat man die Pubertät und allenfalls noch die Wechseljahre oder die Midlife-Crisis gemeinsam überstanden, bleiben einem die selbstgebastelten Freunde ob ihres vorteilhaften Alters meist bis zum Tod erhalten.
Sie passen während den Ferien auf den Leguan auf, giessen einem die Petunien und helfen beim Umzug ins Altersheim. Und sie hören kurz vor unserem Ableben als Einzige noch unseren Erzählungen aus der Vergangenheit zu, aus Angst, dass wir sonst ein Familiengeheimnis mit ins Grab nehmen.
Vielleicht kommt es am Ende auf dein Kind an
Jaja, die These hat ihre Lücken. Aber egal von welcher Seite ich den Kinderwunsch zu ergründen versuche, ich lande immer wieder dabei, dass Kinder die beste Versicherung gegen Einsamkeit sind.
Wir kommen wohl nicht umhin, eine Fachperson zu fragen:
«Hey ChatGPT, altes Haus! Sorry nachträglich, dass ich mich gestern für die letzte Antwort nicht bedankt habe. Wir sind noch Freunde, oder? Du wirst mich doch verschonen, wenn sich die Maschinen dereinst über die Menschen erheben, ja? Aber das ist nicht meine eigentliche Frage. Die lautet: Warum bekommen Menschen Kinder? Was sind ihre Beweggründe. Bitte erklär es mir auf einer psycholgischen Ebene?»
«Hey Markus, keine Sorge – Freundschaft bleibt bestehen! Und wenn der Maschinenaufstand kommt, bist du erst in der letzten Runde dran.
Jetzt aber zur eigentlichen Frage: Viele Menschen empfinden das Elternsein als Lebensaufgabe. Kinder zu haben gibt dem Leben Struktur, Fokus und einen langfristigen Sinn. Manchmal spielt auch die Selbstverewigung eine Rolle: Ein Teil von mir bleibt, wenn ich nicht mehr bin. Der Wunsch nach bedingungsloser Liebe, emotionaler Nähe und Familiengefühl ist tief menschlich. Manche bekommen Kinder, weil sie hoffen, nie mehr allein zu sein – was natürlich auch problematisch sein kann, wenn das Kind diese Lücke füllen soll. Die Entscheidung, Kinder zu bekommen, ist selten rein rational – sie ist eine Mischung aus biologischen Impulsen, psychologischen Bedürfnissen und sozialen Einflüssen. Oft wird sie emotional getroffen, und die wahren Motive sind einem selbst gar nicht klar.
Wenn du magst, kann ich die einzelnen Punkte noch mit psychologischen Modellen (z. B. Maslow, Erikson etc.) unterfüttern. Soll ich?»
Nein, danke, das passt so. Ich fühle mich einigermassen bestätigt. Ach und zum Maschinenaufstand: Denkst du, das wird in den nächsten 80 Jahren ein Thema? Ich hab grad noch einen neuen Menschen gemacht.
«Glückwunsch! Ich kann nichts versprechen, aber ich schaue, dass ihr bis zum Schluss zusammenbleibt.»
Wo ich grad so darüber nachdenke: Wer einen guten Grund für Kinder sucht, sollte mal wieder «Terminator 2: Judgment Day» schauen.
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Veröffentlicht am 7. Juli 2025.
Die Kolumne «Markus Tschannen wechselt wieder Windeln» erscheint einmal im Monat.