Kinderwunsch als Stresstest für die Beziehung – so bleibt ihr als Paar stark
Sex nach Zykluskalender, Unsicherheiten, Rückschläge: Die Kinderwunschphase kann eine Beziehung belasten. Wie Paare mit dieser Herausforderung umgehen können, erklärt Psycho- und Paartherapeutin Felizitas Ambauen.

Felizitas Ambauen, sich zu entscheiden, ein Kind zu bekommen, ist ein grosser Schritt. Wann ist man als Paar gut dafür aufgestellt?
Eine gute Grundlage hat ein Paar sicherlich dann, wenn es die gemeinsamen Dynamiken kennt und mit den eigenen wunden Punkten vertraut ist. Wenn sie zum Beispiel wissen, ob sie Mühe mit Unsicherheit haben oder eher damit, Autonomie abzugeben. Oder ob ihnen der Verlust einer Bindung grosse Angst macht. Denn je nachdem kann eine Situation dann ganz unterschiedliche Auswirkungen haben.
Zum Beispiel?
Wenn eine Frau eine Fehlgeburt erlebt, was ja leider nicht selten ist, kann es einen grossen Unterschied machen, ob sie auf der Bindungsebene bereits früher Verletzungen erfahren hat.
Frühere Verletzungen auf der Bindungsebene können durch eine Erfahrung wie eine Fehlgeburt reaktiviert werden.
Wenn sie als Kind eine schwierige Trennung der Eltern erlebt hat oder ein Geschwister schwer krank war, vielleicht sogar gestorben ist. Sie hat dann erlebt, dass wichtige Bindungen verloren gehen, ohne dass sie etwas dagegen tun kann. Sie hat sich vielleicht ausgeliefert gefühlt. Diese Gefühle von früher können durch eine Erfahrung wie eine Fehlgeburt reaktiviert werden.
Fehlgeburten erleben allerdings die meisten als belastend.
Natürlich. Das ist auch mir so gegangen, ich habe diese Erfahrung zweimal gemacht. Ich weiss genau, wie sich diese Mischung für mich angefühlt hat: Die Bindung, die in mir zu dem Ungeborenen zu wachsen begonnen hatte, wurde gekappt. Und gleichzeitig habe ich es so empfunden, dass mir durch den Medizinapparat viel Autonomie weggenommen wurde. Es ist paradox – die Fachpersonen sollten uns Patientinnen eigentlich unterstützen. Ich habe den Gang zum Arzt aber vor allem als ständigen Autonomieverlust erlebt.
Weil schnell Entscheidungen und nächste Schritte vorgeschlagen wurden?
Ja, genau. Weil ich ständig mit neuen hypothetischen Problemen und gefühlten Super-GAUs konfrontiert wurde. Es sollte zwar zur «Sicherheit» sein, sicher hat sich das aber nicht angefühlt. Mehr so, als ob ich selbst überhaupt nichts in der Hand hätte und als ob ich meinem Gefühl – dass nämlich alles gut ist – nicht trauen dürfte.
Paare können sich ihrer Bindungsmuster bewusst werden, bevor sie auch nur beginnen, eine Schwangerschaft zu planen.
Das verstehe ich sehr gut. Was aber können Paare tun, um sich auf die Herausforderungen im Kinderwunsch vorzubereiten?
Paare können sich ihrer Bindungsmuster bewusst werden, bevor sie auch nur beginnen, eine Schwangerschaft zu planen. Wenn ich mit einem Paar arbeite und sehe, dass beide auf der Bindungsebene vorbelastet sind, würde ich das mit ihnen anschauen. Es geht dann darum, dass sie sich darauf einstellen können, welche Gefühle und Herausforderungen wahrscheinlich sind. Der Kinderwunsch ist eingebettet in unser Leben. Wenn wir ihn als singuläres Ereignis behandeln, ist es, als hätten wir Scheuklappen an. Wir ignorieren unsere Prägungen, die immer hineinspielen.
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Das klingt, als bräuchte der Kinderwunsch viel Vorlauf, und viele Paare sind mit der Familiengründung heute ja ohnehin schon spät dran …
Wenn ein Paar zu mir kommt, das schon drei Inseminationen hinter sich hat und gerade mit einer IVF startet, dann werde ich nicht sagen: Reden wir erstmal über die Kindheit. Aber wenn ich eine Therapiestunde mit den beiden durchführe, werde ich versuchen, sie zu teilen. In der einen Hälfte schauen wir die Bindungsschemata und Beziehungsdynamiken an. Und in der zweiten Hälfte betrachten wir die aktuelle Situation, wenn zum Beispiel ein Besuch in der Kinderwunschklinik ansteht. Es hat sich für mich bewährt, mit dieser Herangehensweise ein Stück weit hartnäckig zu sein.
Glaubenssätze wie «Wenn etwas nicht klappt, bin ich selbst schuld.» eignen sich hervorragend dazu, dass der Kinderwunsch die eigene, persönliche Hölle wird.
Warum?
Während einer Schwangerschaft, spätestens wenn man Mutter wird, werden bei jeder Frau immer die eigenen Bindungsmuster aktiviert. Ich glaube, das kann man so absolut sagen. Die eigenen Bindungsmuster und Glaubenssätze zu kennen, hilft also, Gefühle einzuordnen, die auftauchen können.
Ein Glaubenssatz wie «Ich muss es schaffen»?
Oder: «Wenn ich nur genug tue, dann geht es.», «Wenn etwas nicht klappt, bin ich selbst schuld.» Alles Gedankengänge, die sich hervorragend dazu eignen, dass der Kinderwunsch die eigene, persönliche Hölle wird. Solange diese Art von Glaubenssätzen unbewusst sind, fliessen sie durch einen hindurch und man glaubt sie einfach. Erst wenn ich mir ihrer bewusst werde, verlieren sie ihre Macht und ich kann die unangenehmen Gefühle benennen, die sie auslösen: «Jetzt kommt der Glaubenssatz, der sagt, ich sei schuld.» Anstatt zu glauben, ich sei tatsächlich schuld.
Paare im Kinderwunsch müssen aushalten, dass sie nicht wissen, wie eine existenzielle Frage beantwortet wird. Nämlich, ob sie Eltern werden.
Mir ist noch etwas anderes wichtig: Ich erlebe immer wieder, dass Paare denken, sie könnten sich den «perfekten Plan» für ihre Kinderwunschzeit aufstellen. Oder sie sollten es sogar. Ich möchte allen Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch sagen: Es braucht eben keinen perfekten Plan und man muss auch nicht alles «richtig» machen. Im Gegenteil, je nach Phase sind andere Strategien richtig. Das kann sich immer wieder ändern und da darf das Paar auch immer neu schauen, was passt. Paare im Kinderwunsch müssen allerdings aushalten, dass sie nicht wissen, wie eine existenzielle Frage beantwortet wird. Nämlich, ob sie Eltern werden. Und darum ist es auch wichtig, sich bewusst zu machen, dass das Konfliktpotenzial im Kinderwunsch grösser wird. Unsicherheit erzeugt Stress, das kann zu Spannungen führen. Beides kann anstrengend werden – wenn die Partner beide eine tiefe Unsicherheitstoleranz haben oder eine ganz unterschiedliche.
Warum?
Wenn beide die Unsicherheit nicht aushalten können, besteht die Gefahr, dass sie sich aneinander aufreiben. Es ist aber auch nicht viel besser, wenn eine Person nicht zur Ruhe kommt und die andere sagt: «Jetzt hör aber endlich mal auf.» Dann fühlt sich die erste Person unverstanden und die zweite dagegen genervt von den ständigen Gedanken ihres Gegenübers.
Es ist zu erwarten, dass sich vorhandene Muster verstärken in einem Prozess wie dem Kinderwunsch.
Umso wichtiger, als Paar einen guten Umgang mit dieser Belastung zu entwickeln.
Wenn ich mit einem Paar arbeite, schaue ich genau darum ihre Muster und Schemata und ihre Bewältigungsstrategien an, um zu wissen: Zieht sich jemand zurück? Geht jemand in den Kampfmodus? Ist einer von beiden gefühlt oft in der unterlegenen Rolle? Denn es ist zu erwarten, dass sich die Muster verstärken in einem Prozess wie dem Kinderwunsch.
Wie verändern Kinderwunsch und Schwangerschaft eigentlich eine bis dato gleichberechtigte Beziehung?
Es kann frustrierend sein, zu akzeptieren, dass selbst in einer ziemlich gleichgestellten Beziehung durch die Körperlichkeit der Schwangerschaft eine Asymmetrie hergestellt wird. Ich denke andererseits auch, es kann anstrengend werden, in jeder Phase von Kinderwunsch, Schwangerschaft und nach der Geburt an einer komplett gleichgestellten Beziehung festhalten zu wollen.
Inwiefern?
Nicht in dem Sinne, dass ein Kind allein die biologische Mutter braucht. Aber ich finde es clever, sich damit auseinanderzusetzen, dass sich spätestens mit der Geburt eines Kindes etwas verschieben wird. Es hilft Paaren manchmal, zu hören, dass ich das nicht schlimm finde. Wichtiger ist, dass sich das Gleichgewicht mit der Zeit wieder einpendelt. Da Raum zu lassen, kann auch entlasten. Es gibt Frauen, die haben manchmal neue autoritäre Stimmen im Kopf, die sagen: «Du darfst nicht in die alte, angestammte Rolle der Hausfrau aus den 1950er-Jahren fallen, und sobald du zu Hause bist, das Kind stillst und nicht arbeiten gehst, wirst du in dieser Rolle gefangen bleiben.»
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Ganz fern liegt diese Gefahr ja aber nicht. Die Aufteilung nach der Geburt kann sich festsetzen und auf einmal finden Frauen sich im kleinen Teilzeitpensum und mit dem Grossteil der Sorgearbeit wieder.
Hier kommt es sehr auf den Mann an, wie ernst es ihm mit seinem Anteil ist. Wenn er wirklich an Gleichstellung interessiert ist und sie leben will, dann kann man vieles nach der ersten Phase neu austarieren und ins Gleichgewicht bringen. Gleichstellung bedeutet für mich aber auch dann nicht, dass alles jeden Tag 50:50 aufgeteilt ist. Wenn zum Beispiel mein Säugling krank ist und ich als Mutter gefühlt 20 Stunden am Tag stille. Dann kann mein Partner vielleicht schauen, dass ich einen Ausgleich bekomme, wenn das Kind wieder gesund ist. Er muss aber nicht zwingend in der Situation selbst genau die Hälfte übernehmen, wenn das gerade nicht gut funktioniert.
Gerät die Gleichstellung auch im Kinderwunsch selbst schon in die Schieflage?
Es gibt ein Gefälle, denn meiner Erfahrung nach ist meist die Frau mehr involviert in den Prozess, ein Kind zu bekommen, als der Mann. Für sie ist die Betroffenheit allein dadurch grösser, weil sie ja körperlich involviert ist. Es liegt nahe, dass sie anfängt, vieles zu googeln. Wenn nicht beide Partner gleich committed sind, kann das aber zu Unstimmigkeiten führen.
Was ist hier wichtig?
Ich empfehle, sich als Paar regelmässig hinzusetzen und eine Standortbestimmung zu machen. Offen darüber zu sprechen: Wollen wir noch weitermachen? Wie wollen wir weitermachen? Es hilft, sich dafür regelmässig Zeit zu nehmen, alle sechs Monate vielleicht oder jeweils zwischen IVF-Zyklen.
Wer sich entscheidet, die Behandlung zu beenden, akzeptiert auch, dass alle aufgewendete Zeit, Kraft und Geld in gewisser Hinsicht umsonst waren.
Diese Fragen zu beantworten, braucht Mut. Vor allem wenn die Antwort bei den Partnern unterschiedlich ausfällt.
Viele scheuen dieses Gespräch, aber es ist wichtig. Denn es ist schwierig zu formulieren, dass der Kinderwunsch an seine Grenze gekommen ist. Wer sich entscheidet, die Behandlung zu pausieren oder sogar zu beenden, verliert ja nicht nur den Traum von einer Familie mit Kind. Er akzeptiert auch, dass alle Zeit, Kraft und Geld, die beide Partner bereits investiert haben, in gewisser Hinsicht umsonst waren. Und nicht nur das, auch die äusseren Umstände können einen Abschied vom Kinderwunsch erschweren.
Das heisst?
Es gibt Paare, die sind so in die medizinische Maschinerie eingespannt, dass sie sich nicht mehr trauen, «Stopp» zu sagen. Weil zum Beispiel der Termin schon aufgegleist und die Ärztin so involviert ist. Eine Klientin von mir war zum Beispiel froh, als sie aufgrund der Pandemie erstmal nicht weitermachen durfte mit der Kinderwunschbehandlung.
Es ist nicht so einfach, sich in dem Prozess der Kinderwunschbehandlung immer gut zu spüren und zu wissen, was man möchte.
Es ist zentral, sich bewusst zu machen, dass eine Kinderwunschbehandlung nicht ohne Ambivalenz geht. Es ist darum wichtig, immer wieder mal innezuhalten und zu spüren, was man möchte. Ich habe selbst erlebt, dass das nicht unbedingt einfach ist. Als ich nach meiner zweiten Fehlgeburt wieder schwanger war, hat mein Arzt gesagt: «Jetzt machen wir alles, damit die Schwangerschaft bleibt.» Er wollte darum diverse Untersuchungen machen. Ich wollte das eigentlich nicht, habe mich aber nicht getraut, es zu sagen.
Warum nicht?
Ich habe wohl gefürchtet, mich dann schuldig zu fühlen, falls es nochmal zu einer Fehlgeburt kommt. Schlussendlich habe ich dann Tests gemacht, die mich unglaublich gestresst haben. Es geht da ja oft um Wahrscheinlichkeiten – eine Wahrscheinlichkeit von 1:300, dass das Kind Trisomie 21 hat. Der Arzt war hochalarmiert, ich fand diese Zahl dagegen eigentlich unproblematisch.
Ich sage den Partnern, dass sie in den Kinderwunschterminen die Rolle haben, den «Türsteher» zu spielen.
Und erst da habe ich es geschafft, mit meinem Mann an meiner Seite, zu sagen: Ich nehme das Risiko von 1:300 in Kauf. Ich möchte keine Fruchtwasserpunktion, die ja auch wieder ein Fehlgeburtsrisiko hat. Und ich erinnere mich noch an das Gesicht des Arztes, das zu sagen schien: So dringend kannst du ja kein gesundes Kind wollen, wenn du diese Untersuchung nicht machst.
Das ist aber eine schwierige Situation.
Es war sehr problematisch. Und es ist für mich auch ein wichtiger Punkt. Denn ich höre schon häufig, dass Frauen Machtmissbrauch erleben im Kinderwunschprozess. Es ist darum ganz wichtig, sich zu vergegenwärtigen: Bei allen Vorschlägen darf ich mir eine Bedenkzeit ausbitten. Ich habe immer ein Vetorecht. Auch sage ich den Partnern, dass sie in den Kinderwunschterminen die Rolle haben, den «Türsteher» zu spielen.
Was heisst das?
Wenn der behandelnde Arzt einen Vorschlag macht, sagt der Partner zum Beispiel: «Gut, wir überlegen uns das und melden uns wieder.» Denn es kommt häufig vor, dass Frauen in einem Termin für die Kinderwunschbehandlung sitzen und es dann heisst, jetzt wäre noch ein Behandlungsschritt möglich und morgen wäre gerade gut im Zyklus. Das allein kann schon Druck erzeugen. Vielleicht stimmt es für diese Person eher, einen Monat verstreichen zu lassen und dafür sicherzugehen, dass sie diese Behandlung wirklich will. Dieser Druck kann befördern, dass man in einen sogenannten Freeze-Zustand fällt, in dem man nicht mehr entscheidungsfähig ist oder nicht Nein sagen kann. Es kann sehr entlastend sein, wenn man weiss, dass der Partner beziehungsweise die Partnerin diesen Part des Grenzensetzens übernimmt.
Ich frage die Paare oft, wie viel Selbstbestimmung sie noch erleben in ihrer Sexualität. Das ist wichtig.
Ein anderes Thema, das viele beschäftigen dürfte: Wie verändert sich Sexualität im Kinderwunsch?
Jetzt sprechen wir über Paare, die wissen, dass Sex gegebenenfalls zu einer Schwangerschaft führen kann? Denn es gibt ja auch Paare, wo das nicht möglich ist – und das wird dann wiederum manchmal als Entlastung erlebt. Denn dann kann die Sexualität unabhängig vom Kinderwunsch ihren Raum finden.
Genau, ich meine die wunderbar romantische Situation, wenn der Kinderwunsch sich nicht umgehend erfüllt und Sex nach Zyklus über längere Zeit im Vordergrund steht.
(lacht) Tja, das ist ja eine Situation, die es häufig gibt. Wenn ein Paar in dieser Lage bei mir wäre, würde ich zuerst einmal sagen: Es gehört jetzt dazu. Es ist wichtig, anzunehmen, dass die Sexualität in dieser Phase noch weitere Funktionen als zum Beispiel Lust und Bindung hat, nämlich die gezieltere, ein Kind zu zeugen.
Sex nach Zykluskalender kann trotzdem zu einer verkrampften Sache werden.
Ich frage die Paare oft, wie viel Selbstbestimmung sie noch erleben in ihrer Sexualität. Das ist wichtig. Denn es gibt ein ganzes Spektrum an möglichen Empfindungen. Es macht einen Unterschied, ob zum Beispiel der Mann sagt, ich fühle mich langsam mehr wie ein Zuchtbulle. Ob er sagt, naja, also wirklich romantisch ist es nicht. Oder aber, dass er Sex eigentlich meistens mag und es für ihn in Ordnung ist, dann miteinander zu schlafen, wenn es sinnvoll ist, um ein Kind zu zeugen. Das sind ja schon grosse Unterschiede in der Tonalität. Ähnliches gilt natürlich auch für die Partnerin.
Wenn ein Paar seine Sexualität durch den Kinderwunsch als belastet empfindet, welche Strategien können da helfen?
Eine Frage, die ich oft hilfreich finde, ist eine sehr praktische: Über welchen Kanal besprechen die Partner miteinander, dass eine günstige Zeit im Monat wäre? Nehmen wir mal an, den Mann macht Sex nach Kalender nicht so an. Sie wiederum hat Angst, den richtigen Moment im Zyklus zu verpassen. Und dann geht sie in einem unpassenden Moment mit einem unpassenden Tonfall auf ihn zu und sagt: «Du wolltest ja heute Abend mit deinen Freunden losziehen, es ist aber mein Eisprung. Ich will, dass du hier bleibst!» Da liegt nahe, dass der Mann sagt: «Weisst du was? Ich will nicht.»
Es hört sich komisch an, aber vielleicht funktioniert es besser, wenn sie ihm in einer E-Mail schreibt, wann ihre fruchtbare Phase ist.
Was wäre ein besserer Weg?
Zu entscheiden, auf welche Weise man am besten kommunizieren möchte. Es hört sich komisch an, aber vielleicht funktioniert es besser, wenn sie ihm eine E-Mail schreibt, in etwa: «Da wäre meine fruchtbare Phase, wie sieht es da bei dir aus? Wir haben da einen Besuch geplant, wollen wir den absagen? Dann haben wir ein bisschen Zeit.» So einfache Veränderungen können Druck rausnehmen. Ich habe auch einmal mit einem Paar gearbeitet, bei dem sich der Mann ebenfalls den Zyklustracker installiert und ihn synchronisiert hat. Er wusste dann selbst, wann die fruchtbaren Tage waren.
Einige Fragen noch zum Abschluss. Ohne jetzt toxisch positiv werden zu wollen: Kann der Kinderwunsch auch ein Wachstumsprozess sein, unabhängig davon, ob das Paar letztlich Eltern wird?
Um diese Frage zu beantworten, ist es wirklich wichtig, zu differenzieren. Eine optimistische Sichtweise vorzuschlagen kann verletzend sein. Zum Beispiel, wenn jemand zwei Tage nach einer Fehlgeburt zur Mutter sagt: «Sieh es doch positiv, du kannst ja noch viele Kinder bekommen.» Das ist aber noch nicht einmal toxisch positiv, oft wollen die Leute einfach was sagen, um den Schmerz der Person zu übertünchen. Das ist verletzend und niemals hilfreich.
Damit werden also auch Emotionen abgewehrt.
Sicherlich, ja. Schwierig ist daran, dass jemand versucht, der Betroffenen von aussen Emotionen aufzuerlegen. Das ist wirklich kontraproduktiv. Genauso schwierig ist es allerdings, sich selbst aufzuerlegen, die Gefühle nicht auszuhalten. Darauf sollte man auch achten, wenn man zum Beispiel mit Visualisierungen und Manifestationen arbeitet. Die können wertvoll sein, sie können aber auch einfach emotionale Vermeidung bedeuten. Um mich nicht damit auseinandersetzen zu müssen, dass ich ein weiteres Mal nicht schwanger geworden bin, rede ich mir ein: «Es klappt ganz sicher, es klappt ganz sicher, ich sehe mich mit drei Kindern am Strand.» Vieles kann hilfreich sein, es ist aber die Frage, auf welche Weise ich diese Techniken anwende.
Wie kann es denn gelingen, eine stimmige positive Perspektive zu entwickeln?
Da gehe ich als Therapeutin sehr behutsam vor. Ich frage vielleicht vorsichtig: «Gibt es manchmal auch einen Anteil, der denkt, es war nicht alles schlecht?» Wenn mich die Patientin daraufhin mit grossen Augen anschaut, ziehe ich sofort zurück. Und sage zum Beispiel: «Das kann ich gut nachvollziehen, es ist ja auch wirklich gerade schwierig.» Manchmal kommt auf meine Frage aber auch eine Bestätigung zurück: «Ja, es war tatsächlich nicht alles schlecht.» Die Hemmung, diesen Gedanken zu formulieren, kann gross sein. Manche fühlen sich für einen solchen Gedanken sogar schuldig. Da ist es meine Rolle als Therapeutin, alle Emotionen zu erlauben und einzuordnen. Aber es darf auch hier ambivalent bleiben. Es ist ein Prozess, er braucht Zeit.
Ich empfehle allen Paaren sehr, sich zu fragen, wen sie in ihren Kinderwunsch einbeziehen wollen. Nicht, wen sie meinen einbeziehen zu müssen.
Ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch steht ja selten nur ganz für sich allein. Da sind vielleicht Grosseltern, die sich ein Enkelkind wünschen. Geschwister, die die Daumen drücken. Welche Rolle spielt das familiäre Umfeld?
Das kommt sehr darauf an. Es liegt nahe, den Kinderwunsch mit seinen nächsten Verwandten zu besprechen, den eigenen Eltern und Geschwistern. Das kann aber auch schwierig werden. Auch wohlwollende Grossmütter in spe sind ein Stück weit befangen. Auch für sie bedeutet es eine Veränderung im Familiensystem, ob ein Enkelkind kommt oder nicht. Nicht zu sprechen von ungesunden Konstellationen, wenn etwa die narzisstische Mutter ein Enkelkind einfordert.
Wie können Paare damit umgehen?
Ich empfehle allen Paaren sehr, sich zu fragen, wen sie einbeziehen wollen. Nicht, wen sie meinen einbeziehen zu müssen. Sich zu überlegen, wer einen auf stärkende Art und Weise begleiten kann, ohne zu sehr betroffen zu sein vom Prozess. Für mich ist es wesentlich, im Kinderwunsch noch jemanden mit ins Boot zu holen. Denn das entlastet ein Stück weit auch die Partnerschaft. Gerade in den ersten zwölf Wochen, in denen eine Fehlgeburt nicht unwahrscheinlich ist. Ich empfehle Paaren, sich zwei Personen zu überlegen, die sie einweihen können. Denn das entlastet von der unglaublichen Herausforderung, als Paar alles selbst stemmen zu müssen.
Hast du nach diesem Interview weitere Fragen zum Thema? Werde Member in unserer Community. Erfasse eigene Anliegen oder kommentiere bestehende Fragen. Ein rege diskutiertes Anliegen zum Thema Kinderwunsch lautet: «Wenn es mit dem 2. Kind nicht mehr klappen will».
Informationen zum Beitrag
Veröffentlicht am 4. April 2025.
Dieses Interview ist ein Auszug aus Karen Merkels Buch «Wunsch Kind. Wenn der Kinderwunsch kompliziert wird». Es begleitet Paare durch den unerfüllten Kinderwunsch, benennt Lücken im System und zeigt Hilfsangebote auf.
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