Tamagotchi – eine Liebeserklärung ans Team
«Vergiss nie das Team», sagte der frischgebackene Vater zu seiner Frau. Damit meinte er ihn und sie. Ohne das Baby a.k.a. Tamagotchi.
An alle Eltern. Von Herzen.
Etwa zwei Tage, nachdem mein Mann und ich mit unserem Sohn aus dem Spital nach Hause gekommen waren, nahm er mich im Flur in den Arm und sagte: «Vergiss nie das Team.»
Er meinte uns. Ihn und mich. Ohne das Baby.
Es ist schwierig, als Paar weiter zu existieren, wenn so ein kleines Menschlein bei einem zu Hause einzieht. So ein Baby, das ist im Grunde genommen einfach ein wahnsinnig teures, manchmal sehr gut, manchmal sehr übelriechendes Tamagotchi, und man ist hauptsächlich damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass es nicht stirbt. Das Blöde ist, man kann’s nicht einfach – zusammen mit Eiskunstlauf-Barbie mit den abgeschnittenen Haaren – in irgendeine Schublade packen, wenn man keine Lust mehr drauf hat.
Nein, das Tamagotchi ist für immer und es verlangt auch ein kleines bisschen mehr als nur das Drücken von ein paar Knöpfen. Klar, man wird routinierter. Füttern, Rumtragen, Wickeln. Mann sagte kürzlich lachend: «Man verliert innert Stundenfrist jeglichen Ekel, den man kannte. Man sitzt da auf der Couch und schaut auf die eigenen Hände und fragt sich ‹Was isch dänn das? Ah, Babykacke!› und man lacht und zuckt mit den Schultern und geht seines Weges.»
Mein Vater sagt im Bezug aufs Kinderkriegen immer wieder: Kinder zu bekommen ist das Fundamentalste, was einem passieren kann. Es verändert alles.
Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Ein Kind verändert alles
Das ist absolut richtig. Und ich will damit explizit NICHT sagen, dass auf einmal alles mega schön und liebenswert und wunderbar ist. Ich wehre mich auch als Mutter vehement dagegen, dass Elternschaft als die Superlative der Lebensführung gehandelt wird, gegen das Narrativ, dass «nur wer Kinder hat, verstehen kann, dass… bla bla bla».
Es ist nicht alles besser als Elternteil. Es ist anders. Es ist schön und es ist niedlich und es ist nah und es ist warm und es ist wunderbar. Es ist aber auch hart und einsam und verzweifelt und klaustrophobisch. Es verändert die Welt und es verändert den Blick auf einen selbst. Es nimmt einem Spontaneität, es nimmt einem Selbstbestimmung und es gibt – ganz ehrlich – Momente, in denen man – beziehungsweise ich – findet, man bekomme dafür nicht angemessen viel zurück.
Und dann gibt’s Momente, in denen man einfach nur verliebt und glücklich ist. Ins Tamagotchi, wohlgemerkt.
Der Partner hingegen bleibt in dieser ersten Zeit oft auf der Strecke.
Vielleicht in den ersten zwei Wochen noch nicht (in denen man in der trügerischen Annahme lebt, diese Babys würden ja nur essen, kacken und schlafen und dazwischen komme nichts – hahaha, ohje), aber gerade in Momenten von Wachstumsschüben wird’s mit der Beziehung schwierig, werden Teampartner auch mal zu Konkurrenten.
Wenn ich neidisch bin, dass er morgens aus dem Haus kann und er, dass ich daheim beim Buben bleiben darf. Wenn ich schon 30 Minuten, bevor er nach Hause kommt, vor der Wohnungstür stehe, um ihm endlich das Kind in den Arm zu drücken – wohlgemerkt, nachdem auch er eine schlaflose Nacht und einen zehnstündigen Arbeitstag hinter sich hat.
Wenn jede Minute, die er sich verspätet, in meinem Kopf zu einem leisen Vorwurf mutiert. Wenn an Zärtlichkeit und Sex nicht zu denken ist (LUEG MI NÖD SO AA, GENAU WÄG DEM BLICK HÄMMER JETZT DAS BABY, GANG WEG!).
Wenn der Haushalt liegen bleibt und die Körperhygiene nicht mehr oberste Priorität hat. Wenn man sich als eigentlich erfolgreiche Berufsfrau fühlt wie Mama Flodder, die zu Hause mit dem Wallholz wartet. Wenn einem der ganze Körper weh tut, weil das Kind nur ruhig ist, wenn man es in der Trage stundenlang durch die Wohnung schleikt, und man es unfair findet, dass er diese Schmerzen nicht hat (obwohl man das gar nicht weiss).
Wenn man einfach nie genug Zeit hat und – obwohl man’s eigentlich besser weiss – ihn, zumindest teilweise, dafür verantwortlich macht.
Man ist in solchen Zeiten «like two ships in the dark», wie zwei Schiffe in der Dunkelheit.
Wenn man Glück hat, kreuzt man sich da und dort und sieht von Weitem den Schein des anderen Lichts. Ansonsten ist man hauptsächlich mit der wertvollen Fracht beschäftigt – Tamagotchi Cargo – und an ein Anlegen ist nicht zu denken. Dabei war man doch bis vor Kurzem noch so ein herziges Zweierpedalo mit Rutschbahn, alles mega lässig, alles entspannt und schön!
Wann wurden wir zu diesen Frachtern in der Finsternis, fragt man sich dann. Und kann man Frachter schön finden, wenn man doch ursprünglich eine «Booze Cruise» auf einem schnittigen Katamaran in der Karibik gebucht hatte?
Aber wenn das Tamagotchi grad mal im Stand-By ist (a.k.a. am Pennen wie jetzt gerade), wenn man einen Moment durchatmen kann (sogar frisch geduscht – SUCCESS), sich hinsetzt und zurückdenkt an den Moment im Flur und seine Umarmung und das «Vergiss nie das Team», dann beginnt die Schiffs-Metapher Sinn zu machen.
Denn wenn du einen Nachmittag lang ein bisschen Spass auf dem Zürisee haben willst, dann reicht ein Pedalo aus – wenn du dich aber für ein Leben auf See entscheidest, wenn du übers Meer fahren willst, durch Stürme und Fluten, ohne Karte, ohne dass du davor üben konntest und du das für dich Allerwertvollste auf der Welt dabei hast, dann brauchst du einen Frachter, einen zuverlässigen, stabilen, unsinkbaren.
Der Frachter ist vielleicht manchmal unbequem und sperrig und manchmal wirst du dir den Katamaran von früher zurückwünschen. Und doch weisst du, dass du sicher bist, dass du dann und wann loslassen kannst, dass du nicht allein bist, auch wenn du nur ab und an von Weitem im Dunklen einen Lichtschimmer siehst.
Und wenn wir das Tamagotchi zusammen irgendwann sicher übers Meer transportiert haben, legen wir uns vielleicht ein Motorböötli zu.
So in 20 Jahren.
Thanks for being the other ship in the dark.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Facebook-Seite von Pony M.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 5. September 2021 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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