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Hochsensibilität und Familienleben: Strategien für Deinen Alltag

Hochsensible Menschen haben sehr feine Antennen und werden oft von zu vielen Reizen überflutet. Gerade im Familienalltag kann Hochsensibilität zum Problem werden. Psychotherapeutin Felizitas Ambauen zeigt Strategien auf, wie HSP ein erfüllendes statt erschöpfendes Leben führen können.

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„Ich sollte mich mal nicht so anstellen und weniger empfindlich sein! Andere schaffen das schliesslich auch. Andere sind so viel belastbarer als ich. Ich bin einfach eine Mimose…“

„Mir ist manchmal die Welt zu viel! Zu laut. Zu hektisch. Zu wild. Ich will mich einfach nur unter die Decke verkriechen und meine Ruhe haben!“

So oder ähnlich beschreiben sich meine Klient:innen, bei denen wir in der Therapie eine Hochsensibilität feststellen. Ein uraltes Gefühl, das sie seit der Kindheit begleitet:

Ich bin irgendwie anders als die meisten!

Das ist auch gar nicht so falsch, da nur circa 15-20 Prozent der Bevölkerung die Kriterien für Hochsensibilität erfüllt. Es geht also tatsächlich etwa 80 Prozent der Menschen anders.

Da Hochsensibilität ein angeborener Wesenszug ist, kennen es diese Menschen nicht anders. Aber fangen wir mal vorne an: Was ist das überhaupt, diese Hochsensibilität? Ist es eine Diagnose? Und: Kann man es wegmachen?

Ein für alle Mal:

Die HSP (hochsensible Persönlichkeit) ist keine Krankheit!

Es ist ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, das in verschiedener Ausprägung auf einem Spektrum aufritt. Man ist also nicht „gar nicht HSP“ oder „ausschliesslich HSP“.

Je mehr Kriterien erfüllt sind, desto stärker sind die HSP in ihrem Alltag herausgefordert und desto bessere Strategien brauchen sie. Denn darin liegt die Lösung: in einem fürsorglichen und vorausschauenden Umgang mit der Hochsensibilität.

HSP ist mittlerweile ein gut erforschtes Konstrukt und hat in die Psychologie und Psychotherapiepraxis Einzug gehalten.

Es ist also kein esoterischer Krimskrams, sondern ein wissenschaftlich fundiertes Konzept.

Um HSP zu definieren, nennt Elaine N. Aron, eine Pionierin auf diesem Gebiet, vier Dimensionen:

1. gründliche Informationsverarbeitung
2. physiologische Übererregbarkeit
3. intensives emotionales Erleben
4. sensorische Empfindlichkeit

(Wer jetzt schon neugierig ist, kann auf www.zartbesaitet.net den HSP-Test machen und danach weiterlesen.)

Was ist also typisch HSP?

Eine HSP fühlt sich schnell von Eindrücken überwältigt. Ein Einkaufszentrum ist zu hektisch, Musik ist zu laut, Licht ist zu grell, der Geruch von Parfüm verursacht Übelkeit oder Kopfweh, das Wasser ist stechend kalt.

Diese Sinneseindrücke können so unangenehm sein, dass die Betroffenen sie richtiggehend als schmerzhaft erleben – was für eine Nicht-HSP sehr sonderbar anmuten kann. „Was, du riechst schon im Gang, ob dein nächster Klient im Wartezimmer sitzt?“ – «Eh ja, sogar ziemlich deutlich!» (Das wäre in dem Fall ich, und ich habe mich lange dafür ein bitzeli geschämt.)

Nebst starken Sinneswahrnehmungen, die überflutend sein können, erleben HSP ausgesprochen starke physiologische Reaktionen. Der Puls geht in Windeseile auf 180, der Blutdruck schiesst im Wartezimmer des Arztes in die Höhe, man ist äusserst schreckhaft oder kriegt leicht Hitzewallungen und Schweissausbrüche. Ja, das kriegen Nicht-HSP auch, aber nicht so schnell und nicht so heftig. Die Stimme oder die Hände sind zittrig, HSP leiden oft stärker unter Lampenfieber, halten Hungergefühle nur schwer aus, weil der ganze Körper zu vibrieren beginnt.

Für die Betroffenen sind diese Reaktionen unangenehm und anstrengend – und sie verbrauchen viel Energie.

Zusätzlich sind auch bei emotionalen Reaktionen die Ausschläge deutlich stärker; negative und positive Emotionen werden sehr intensiv wahrgenommen.

Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt – man kann sich unbändig mit der Beförderung der besten Freundin mitfreuen und fast zerbrechen am Schmerz, wenn man eine traurige Schlagzeile liest. Beides kennen HSP gut.

Also werden Situationen vermieden, die solch heftige Reaktionen auslösen.

70 Prozent der HSP sind introvertiert, werden als schüchtern bezeichnet. Sie schützen sich auch durch den sozialen Rückzug vor Überflutung. 30 Prozent der HSP sind allerdings sozial extrovertiert, mögen es also trotzdem, unter Menschen zu sein. Sie haben aber dabei nicht weniger mit der Überreizung zu kämpfen.

Menschen mit Hochsensibilität versuchen, die auf sie einprasselnden Reize möglichst gut und „richtig“ zu verarbeiten. Sie möchten keine Fehler machen, die Anforderungen erfüllen und an alles denken.

So kann es sein, dass eine Mail 15 Mal überarbeitet wird, damit kein falsches Wort mehr darin steht, dass eine Entscheidung einfach nicht gefällt werden kann, weil noch nicht alle Optionen durchgedacht sind und die Auswahl des Airbnb’s kann einen in den Wahnsinn treiben. Die HSP geht lieber in den Dorfladen Marmelade kaufen, weil es dort nur drei Sorten zur Auswahl gibt. Oder sie sagt: „Entscheide du, für mich passt alles!“ Auch das ist Reizreduktion.

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Im Familienalltag kann Hochsensibilität eine grosse Herausforderung sein.

Denn durch Kinder nimmt die Berechenbarkeit der Welt massiv ab. Die Reize sind nicht mehr kontrollierbar, die Rückzugsmöglichkeiten nicht gegeben. Das kann dazu führen, dass die HSP sich ständig unter Druck oder beobachtet fühlt, schnell ausbrennt und dauergereizt ist. Viele beschreiben es, als wären sie ständig auf der Lauer.

Notabene: Elternschaft und Familienalltag sind für alle anstrengend und reizüberflutend. Aber je mehr hochsensible Anteile eine Person hat, umso mehr Energie verbraucht sie, um die Reize zu verarbeiten, und desto schwerer fällt es, diese auszublenden. „Achte dich einfach nicht auf das Ticken der Uhr im Zimmer nebenan!“, ist ein schlechter Rat für eine Person mit Hochsensibilität.

HSP ist keine Entschuldigung für alles, aber eben doch eine Erklärung für vieles.

Wenn man es hat, hat man es! Man kann etwas tun, um angenehmer und besser damit zu leben. Dazu später. Aber erst mal:

Hat eine HSP denn auch Vorteile?

Hochsensible Menschen haben die Fähigkeit, die Welt in sehr differenzierten Facetten wahrzunehmen. Manchmal denke ich, sie sehen die Welt irgendwie bunter.

Sie haben feine Antennen, um die Stimmungen anderer wahrzunehmen und haben so oft sehr beglückende und innige Begegnungen mit Menschen. Sie sind sehr sinnlich und emotional zugewandt. Sie reagieren nicht impulsiv und unbedacht, weil sie das Wohl der anderen meist sehr genau im Blick haben und die Bedürfnisse aller berücksichtigen wollen. Sie denken inklusiv, möchten Lösungen finden, die Win-Win-Situationen hervorbringen und mögen keine Konkurrenz.

Sie sind in der Lage, sich so sehr in andere hineinzuversetzen, dass sie fast schon Mühe haben zu spüren, wer sie selbst eigentlich sind, berichten dadurch aber von sehr bereichernden Beziehungen und tiefem Verständnis für die Sichtweise anderer.

Viele HSP sind künstlerisch begabt und sehr kreativ, am liebsten dort, wo sie die Reize möglichst gut kontrollieren können. Im abgeschiedenen Atelier, zur Nachtzeit, in der Natur.

Wenn sich die HSP eine Welt schaffen kann, die ihrer Beschaffenheit entgegenkommt, ist es eine wunderbare Anlage für ein sehr reiches und beglückendes Leben.

Tipps für ein entspannteres Leben mit Hochsensibilität

Das Wichtigste ist, seine Trigger zu kennen. Am besten im Voraus Situationen zu erkennen, die eine Reizüberflutung auslösen können.

Anschliessend ist zu bestimmen, ob man gewissen Reizen ausweichen oder sie lediglich minimieren kann, und wenn das nicht möglich ist, braucht es gute Strategien, mit den Reizen umzugehen beziehungsweise danach wieder aufzutanken.
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1. Kann ich den Reizen ausweichen?
2. Kann ich sie minimieren?
3. Wie kann ich sie am besten verarbeiten?
4. Wie gross ist die Reizlast?
5. Wie viel Akku verbraucht es?
6. Wie tanke ich wieder auf?
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– Schreibe Dir Situationen auf, die Dir besonders viel Energie rauben, Dich besonders überreizen und auf die Du besonders viel Zeit und Gedanken verwendest. Diese Situationen sollte man am besten immer früher erkennen.

– Plane Dir fixe Pausen ein – und zwar, wenn Dein Akku noch nicht auf 20 Prozent runtergebrannt ist, sondern am besten schon bei 50 Prozent.

– Schaffe Dir Entspannungs- und Rückzugsrituale (Yoga, Spazieren, Singen, Meditation, Power-Nap, Musik hören, etc.), die Dir helfen, die Überreizung möglichst schnell abzubauen.

– Lerne abzuschätzen, wie gross die Reizlast für eine Situation ist und wie viel Prozent Deines energetischen Akkus dafür flöten gehen wird. Das wird Dir helfen, gewisse Dinge nicht mehr zu tun oder auszuhalten, weil die Kosten einfach zu hoch sind.

– Überlege Dir, welche Menschen und Situationen eigentlich immer zu viel Energie brauchen und welchen Du ausweichen kannst.

– Schreibe ein HSP-Tagebuch. Welche Situationen haben was ausgelöst? Was hat geholfen, um wieder in Balance zu kommen? Wie viel Akku hat es gebraucht?

– Oft braucht es noch etwas Selbstwert-Arbeit. Denn man muss sich auch erlauben lernen, sich zurückzuziehen, Nein zu sagen oder eben „komisch“ zu sein. Und da gerade die HSP besonders auf die Bedürfnisse der anderen schaut, kommt man selbst oft zu kurz.

Wenn der Umgang mit der Hochsensibilität gelernt und die besten Strategien in den Alltag eingebaut werden, ist damit ein gutes, ausgesprochen erfüllendes Leben möglich.

Eliminieren kann man Hochsensibilität nicht.

Diesen Kampf kämpfen zu wollen, ist ein Anrennen gegen Windmühlen, und ich empfehle es Dir nicht. Es würde bedeuten, sich ständig verbiegen und für sich entschuldigen zu müssen. Es würde auch bedeuten, sich selbst in gewissen Situationen nicht mehr spüren zu dürfen, damit man es überhaupt aushält.

Das ist ein zu hoher Preis. Ich empfehle, Dich mit den hochsensiblen Anteilen auseinanderzusetzen und sie mehr und mehr anzunehmen, auch wenn man sie manchmal auf den Mond wünscht.

Schaff Dir Safe Places in der Welt, weiche aus, wenn es geht, und finde möglichst gute Strategien, wenn Du musst.

You are completely ok! Nur halt eben ein bisschen anders als der grosse Rest.

Zum Thema haben wir auch eine «Du so. Ich so.»-Podcastfolge mit Felizitas Ambauen und ihrem Partner Amel Rizvanovic: Hochsensibilität und Paarbeziehung

Autorin

Felizitas Ambauen ist Psycho- und Paartherapeutin und Mutter einer Tochter. Gemeinsam mit ihrem Partner hat sie ein Workshop-Konzept entwickelt für Paare, die an ihrer Beziehung wachsen möchten – den Paarcours. In ihrem Podcast Beziehungskosmos bespricht sie mit Journalistin Sabine Meyer die brennendsten Paarthemen. Den Beziehungskosmos gibt es auch als Buch. Wer mehr erfahren möchte, findet sie auf Facebook und Instagram. Alles über ihre Arbeit gibt es hier: www.ambauen-psychologie.com.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 11. Dezember 2020 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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4 Antworten

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  1. Avatar von Sabine Brunke-Reubold
    Sabine Brunke-Reubold

    Herzlichen Dank für diesen hilfreichen Artikel.
    Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es hilfreich ist, andere Menschen zu finden, die ähnlich ticken. Zum einen tut das Verständnis sehr gut, und zum anderen nimmt das Gefühl des Andersseins dadurch ab.
    Mir hat außerdem das Resilienz-Training sehr geholfen, z.B. durch die Akzeptanz der Situation und die Wahrnehmung der Selbstverantwortung.

  2. Avatar von Céline
    Céline

    Herzlichen Dank für diesen Beitrag. Er hat mir die Augen geöffnet. Nun verstehe ich mich in vielen Situationen viel, viel besser.

  3. Avatar von Jacqueline Bernard
    Jacqueline Bernard

    Danke für den wertvollen Beitrag. Ich erkenne an mir solche Züge, vielmehr aber ist es mein zweites (von drei) Kind, das ganz eindeutig hochsensibel ist. Er ist in der zweiten Klasse und wir erleben gerade auch durch Corona (Maskentragen der Lehrerinnen ist für ihn ein Horror, weil er die Mimik nicht mehr sieht) schwierige Zeiten. Im Moment ist sein mangelndes Selbstvertrauen, sein Perfektionismus (er steht sich selber im Weg) unser grösstes Problem. Es muss sehr anstrengend für ihn sein, er ist emotional ein Pulverfass. Tipps für den Alltag würden mir helfen. Kennen auch andere das Thema?

    1. Avatar von Joanna
      Joanna

      Liebe Jacqueline
      Dein Sohn hat das grosse Glück, dass er eine Familie hat, die ihn sieht und ernst nimmt. Das ist das, was ich mir als Kind gewünscht hätte. Stattdessen habe ich zu oft den Satz „Übertreib nicht“gehört. Ich weiss nicht, was dein Sohn braucht, wie er sich zurückziehen kann um zu sich zu spüren und zur Ruhe zu kommen, das ist natürlich sehr individuell. Bei mir war es Zeit allein im Garten und mit Tieren Zu verbringen . Geholfen hat auch, dass ich mich kreativ ausdrücken konnte. Zeichnen und tanzen half mir meine Ängste und den Gedankenwirrwarr zu verlassen. Es ist bestimmt für euch alle eine Herausforderung und ich wünsche euch viel Kraft und Geduld. Wie im Text schon beschrieben; Die Welt als Hochsensible Person zu erfahren Ist auch ein Geschenk. Ich sehe oft unendliche Schönheit in scheinbar ganz banalen Sachen…
      Alles Liebe!
      Herzlich
      Joanna