«Ich wünschte mir manchmal, ich hätte keine Kinder»
Die Mutterschaft bereuen? Davonlaufen wollen? Diese Gedanken erlauben sich viele Frauen nicht. Unsere Autorin erzählt, wie sich das Muttersein für sie anfühlt.
Meine schönen, lieben, gescheiten Kinder sind super. Sie sind nicht das Problem. Aber ich wünschte mir manchmal, ich hätte keine Kinder. Es gibt ein Buch darüber, es heisst «Regretting Motherhood», wahrscheinlich sollte ich es lesen, aber der Titel ist mir zu stark.
Ich bereue es nicht, Mutter geworden zu sein, es ist wohl die beste und prägendste Erfahrung meines Lebens.
Aber ab und zu würde ich einfach gern davonlaufen.
An manchen Tagen fühlt sich die Mutterschaft für mich an wie ein Gefängnis.
Wenn schon am Morgen früh der Streit losgeht. Wenn ich versuche, alles richtig zu machen, zu atmen, zu meditieren, und es trotzdem nicht schaffe, ruhig zu bleiben.
Wenn ich meine Tochter zu hart anfasse, weil mich ihr Verhalten dermassen provoziert. Wenn ich meinen Sohn anschreie, weil er irgendwas gemacht hat, das mich triggert.
Muttersein fühlt sich für mich an, als würde ich von morgens bis abends Gefässe mit Löchern auffüllen. Anders als jede andere bisherige Herausforderung in meinem Leben reichen als Mutter weder Fleiss noch Anstrengung noch Talent, um Erfolg (was heisst das schon?) zu haben.
Nichts reicht. Ich bin als Mutter viel zu häufig die schlechteste Version meiner selbst.
Muttersein fühlt sich für mich an wie ein tägliches, konstantes Scheitern.
Das klingt jetzt wie eine Depression, aber ich kenne die Symptome, das ist keine. Ich habe Antrieb. Ich habe viele zufriedene Momente.
Ich liebe meine Kinder und zeige es ihnen. Ich nehme mir Zeit für sie. Ich unternehme schöne Sachen mit ihnen, an denen wir alle Freude haben. Sie haben vermutlich eine ganz okaye Kindheit (das werden sie dann selber einmal beurteilen müssen, wer weiss heute schon, wie wir in 20 Jahren über unsere heutigen Erziehungspraktiken denken werden).
Und letztlich bin ich in einer Luxussituation, vermutlich geht es mir einfach zu gut, dass ich für solche Probleme Zeit habe. Und dafür, hier darüber zu jammern.
Aber mir fehlt so sehr meine Freiheit.
Die gibt es als Eltern nur noch in geplanter Form. Und meistens mit etwas schlechtem Gewissen.
Ich wünsche mir so viel mehr Zeit für meine Ideen, für meine Arbeit, für profane Dinge wie Ordnung schaffen oder Sport treiben.
Information
Was bedeutet «Regretting Motherhood»?
«Regretting Motherhood» beschreibt das Phänomen, dass Mütter das Muttersein bereuen, obwohl sie ihre Kinder lieben. Dieser Begriff wurde durch die israelische Soziologin Orna Donath geprägt, sie veröffentlichte 2015 ein Buch mit diesem Titel. Im Buch geht es um eine Studie über Frauen, die ihre Mutterschaft anhaltend bereuten. Donath untersuchte dabei die sozialen und kulturellen Erwartungen an Frauen und die oft idealisierte Vorstellung der Mutterschaft.
Die Veröffentlichung der Studie löste eine breite Diskussion aus, da sie ein Tabuthema ansprach. Dank dieses Buches kam es zu einer gesellschaftlichen Reflexion über die oft unausgesprochenen negativen Aspekte der Mutterschaft und die Notwendigkeit, ehrliche Gespräche über die Erfahrungen von Müttern zu führen, ohne zu urteilen.
Auch «Regretting Fatherhood» gibt es. Wir haben einen Text dazu.
Überhaupt, Arbeit ist für mich so viel befriedigender als Kindererziehung. Meine Lieblingstage sind jene, an denen ich arbeiten gehen darf. Manchmal denke ich, als Mann ist es einfacher: Die können weniger emotional involviert sein ins Familienleben, ohne dass es ihnen zum Vorwurf gemacht wird, stelle ich mir vor.
Ehrlich: Meine Lieblingszeit ist die, in der ich nicht mit meinen Kindern zusammen bin.
Was für eine grausame Aussage, ich schäme mich dafür, aber es ist einfach so. (Was werden Eltern denken, die ein Kind verloren haben. Ich bitte euch um Entschuldigung, ich schäme mich wirklich für diesen schrecklichen Gedanken und für das Rumgejammere hier. Aber nur euch gegenüber. Weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass es insgeheim vielen so geht.)
Bin ich einfach keine geborene Mutter?
Gibt’s ja eh nicht.
Hatte ich ein schlechtes Vorbild? Schuldzuweisungen sind mir zu billig, alle müssen selber für das eigene Leben Verantwortung übernehmen.
Hätte ich mir das mit den Kindern besser vorher überlegen sollen? Nein, weil niemand vorher wissen kann, wie es dann w i r k l i c h ist.
Ich hatte nie Zweifel daran, dass ich Kinder haben möchte. Auf lange Sicht sehe ich mich immer als Mutter und mit einer Familie. Lange vor der Geburt meiner Kinder dachte ich: Ich habe so viel Liebe zu geben! Und ich bin so belastbar! Ich werde das easy schaukeln.
Aber langsam zeigen sich Ermüdungserscheinungen. Denn, egal, was die Leute sagen: Es wird nicht wirklich leichter. Vielleicht körperlich, weil man eine 5-Jährige nicht mehr ständig herumtragen muss. Aber dafür nimmt der emotionale Stress zu.
Ein Baby zu beruhigen ist eines, mit einem Kindergartenkind klarzukommen, etwas ganz anderes.
Das war vermutlich früher wirklich einfacher: Da nahmen die Eltern nicht alles auf sich. Wie einfach es wäre, zu denken: «Ich habe halt ein schwererziehbares Kind.» Statt: «Ich muss an mir arbeiten.»
Elternschaft ist emotional auslaugend.
Ich war bei einem Profi, er sagte mir: Fluchtgedanken sind Ausdruck einer Überforderung.
Ich? Überfordert? Wie kann ich überfordert sein! Ich habe doch alle Hilfe, die man sich wünschen kann.
Zu merken, dass nicht das Kind das Problem ist, sondern dass man bei sich selber ansetzen muss, ist wohl das Schwierigste an allem.
Ich möchte auch nicht wirklich kinderlos sein. Ich habe kinderlose oder kinderfreie Freund:innen, ich möchte nicht dauerhaft mit ihnen tauschen.
Auch wenn ich manchmal neidisch bin aufs Ausschlafenkönnen und die unglaublich viele Zeit, die ihnen einfach so zur Verfügung steht. Ich würd sie eh nicht besser nutzen.
Zurück in mein altes Leben möchte ich auch nicht. Ich habe so viel gelernt und bin dermassen gewachsen durch das Mutterwerden.
Ich würde manchmal einfach gern den Pause-Knopf drücken.
Ein paar Wochen nur für mich schauen und entscheiden. Das süsse, illusorische Versprechen von Leichtigkeit und Freiheit.
Hier wird’s jetzt kein Happy-End geben mit einer schönen Szene, bei der ich meinen friedlich schlafenden Kindern einen Gute-Nacht-Kuss gebe und froh bin, dass ich das Privileg habe, sie zu begleiten.
Ich werde aber auch nicht wirklich davonlaufen. Ich werd jetzt einfach durchbeissen müssen.
So hab ich mir das nicht vorgestellt, das Muttersein, als konstantes Durchbeissen.
Aber vermutlich ist auch hier Akzeptanz der Schlüssel. Akzeptieren, dass das jetzt halt einfach eine schwierige Zeit ist.
Akzeptieren, dass ich keine glückliche Insta-Mutti bin und nie sein werde. Hoffen, dass es trotzdem irgendwann leichter sein wird (wenn sie 10 sind? 12? 15?).
Und bis dahin so gut wie möglich überleben.
Informationen zum Beitrag
Veröffentlicht am 21. Mai 2024
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