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Der Brokkoli-Moment – wieso wir austicken

Der Alltag mit Kindern steckt voller herausfordernder Momente. Kein Wunder, verlieren wir manchmal die Beherrschung. Warum uns das nicht zu schlechten Eltern macht und wie wir im Ernstfall unser Nervensystem beruhigen können.

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KI-generiertes Bild eines Brokkolis, der aussieht wie eine explodierende Atombombe. - Wieso ticken Eltern manchmal aus und was hilft dann?

Meine Freundin Julia hatte einen Brokkoli-Moment und rief mich danach weinend an:

Julia: «Ich bin die schlimmste Mutter der Welt! Ich habe Leon gegenüber komplett die Nerven verloren. Ich schäme mich so und habe mich auch bereits bei ihm entschuldigt, aber ich verstehe nicht, wie es mir passieren kann, dass ich so die Nerven verliere und in dieser Art und Weise ausraste.»

Sara: «Was ist denn genau passiert?»

Julia: «Du weisst doch, dass Leon kein Gemüse isst, und ich mir manchmal Sorgen mache, ob er genug Vitamine aufnimmt. Gestern verkündete er freudig, dass er nun gerne Brokkoli esse, er habe ihn im Hort probiert. Da habe ich mich so gefreut, dass ich ihm unbedingt heute zum Mittagessen Brokkoli machen wollte. Ich bin sogar vor der Arbeit noch auf den Markt gerannt, damit er Bio-Qualität vom Bauernhof bekommt. Es war superstressig, aber ich dachte, wenn er schon mal Gemüse isst, sollte es das Beste sein.»

Sara: «Und dann?»

Julia: «Als er den Brokkoli probierte, verzog er das Gesicht: Bääääääääh, der ist grusig! Igittt! Der schmeckt ja scheusslich, gar nicht wie im Hort. Wääääähhhhh!

Er spuckte den angebissenen Brokkoli auf den Teller. Ich reagierte genervt und wies ihn zurecht, sagte ihm, dass er nicht so mit mir sprechen könne. Dass ich nicht möchte, dass er über Essen, das ich liebevoll für ihn koche, so spricht.

Doch Leon war wohl hungrig und ebenfalls genervt. Er schrie weiter: Wääääääh, Brokkoli! Grusig! Du hast grusig gekocht!!! Er warf mir den angebissenen Brokkoli ins Gesicht und lief vom Tisch weg.

Das war der Moment, in dem in mir eine Sicherung durchbrannte. Ich schrie ihn an und fragte ihn, ob er komplett übergeschnappt sei.

Dass er es nie mehr wagen solle, mir gekochtes Essen ins Gesicht zu werfen. Dass ich sonst nie mehr für ihn kochen würde. Ich schrie und war völlig ausser mir. Nahm die Pfanne mit dem Brokkoli und warf ihm ein Brokkoliröschen nach dem anderen hinterher.»

Sara: «Du hast ihn mit Brokkoli beworfen? (Ich musste unabsichtlich lachen.) Entschuldige bitte! Versteh mich nicht falsch, aber ich habe mir das gerade bildlich vorgestellt. Das ist wirklich lustig. Du bist ganz sicher keine schlechte Mutter. Du hattest einfach einen Brokkoli-Moment.»

Ja, Brokkoli-Moment.

So taufte ich spontan alle Momente, in denen uns Eltern die Sicherung durchbrennt und wir uns gegenüber unseren Kindern komplett danebenbenehmen.

Ich glaube, jedes Elternteil kennt ihn, den Moment, wo man nur noch schreit und Dinge tut oder sagt, die man im Nachhinein bereut und für die man sich schämt.

Ich kenne das auch.

Mein schlimmster Brokkoli-Moment war, als sich mein damals vierjähriger Sohn ein Fasnachtskostüm wünschte. Aber nicht irgendein Kostüm, sondern er wollte Frodo aus «Herr der Ringe» sein und er wollte, dass ich sein Kostüm selbst nähe, so wie es die Mutter seines besten Freundes tat. Jeder, der mich kennt, weiss, dass ich nicht nähen kann. Und Fasnacht mag ich auch nicht.

Aber ich wollte meinem Sohn diesen Wunsch nicht abschlagen, also lieh ich mir die Nähmaschine meiner Mutter aus, durchstöberte das Netz nach Schnittmustern, suchte passenden Stoff und Accessoires im Brocki. Und ich nähte, mühte mich an der Nähmaschine ab, holte Rat bei meiner Nachbarin ein und war dann tatsächlich recht zufrieden, als ich fertig war. Das Kostüm sah den Vorlagen im Netz sehr ähnlich. Stolz präsentierte ich es meinem Sohn.

«So sieht doch Frodo nicht aus, Mama!», schrie er entsetzt. «Das sieht komisch aus, so gehe ich nicht an die Fasnacht! Ich will als Frodo gehen!» Leicht genervt, aber immer noch geduldig, zeigte ich ihm die Vorlagen aus dem Netz und erklärte ihm, dass Frodo tatsächlich so aussieht. «Du hast es komisch gemacht. Dein Frodo-Kostüm ist grusig!», schrie er entsetzt und brüllte dann immer wieder laut: «Ich will als Frodo gehen, du bist doof, du kannst nicht nähen! Du bist eine blöde Mama

Da brannte in mir eine Sicherung durch. Ich nahm das Kostüm und begann es zu zerreissen und schrie wie von Sinnen: «Nie mehr in meinem Leben nähe ich etwas für dich, du bist so undankbar! Was fällt dir eigentlich ein, dich so zu benehmen?» Ich schrie und riss das Kostüm in Stücke, warf es auf den Boden und trat dann wie Rumpelstilzchen darauf herum.

Als meine Wut verraucht war, schämte ich mich wahnsinnig für meinen Ausbruch und entschuldigte mich bei meinem Sohn.

Ich erklärte ihm aber auch, warum ich in Zukunft wirklich keine Kostüme mehr nähen würde und dass wir ein Kostüm kaufen gehen. Mein Sohn war enttäuscht und etwas traurig, aber an der Fasnacht strahlte er als ein sehr glücklicher Räuber Hotzenplotz.

Damals heulte auch ich einer Freundin am Telefon ins Ohr, dass ich eine schlechte Mutter sei. Ich schämte mich genauso wie Julia heute.

Meine Kinder sind heute 20 und 17 Jahre alt.

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Wenn ich mir Fotos von damals anschaue, frage ich mich, wie ich das überhaupt geschafft habe.

Zu dem Zeitpunkt, als ich meinen Frodo-Brokkoli-Moment hatte, war ich mit meinem älteren Sohn, der eine Mehrfachbehinderung hat, viel im Kinderspital und machte mir grosse Sorgen um ihn. Ich war hochbelastet, verausgabte mich, ignorierte meine eigenen Grenzen der Belastbarkeit.

Und trotzdem lachen meine Kinder auf jedem Foto. Die Bilder zeigen mich mit ihnen im Wald, am See, zusammen mit meinen Freundinnen und ihren Kindern. Ich sehe, wie wir ihre Geburtstage feiern, mit viel Liebe und Freude.

Heute kann ich sagen, ich habe das gut gemacht.

Nicht immer alles richtig, nicht immer fair und gut gelaunt, aber ich habe mein Bestes gegeben und das war gut genug. Brokkoli-Momente inklusive.

All das erzähle ich Julia am Telefon. «Julia, du leistest in deinem Alltag unermesslich viel, auf das du stolz sein kannst. Bitte verzeih dir selbst, wenn du dich mal daneben verhältst. Wir sind keine Supermoms

Doch das Bild der Supermutter wird in unserer Gesellschaft hochgehalten.

Uns wird vorgegaukelt, dass eine Selbstoptimierung bis hin zur Supermutter möglich wird, wenn wir uns noch mehr bemühen. In meiner Coaching-Praxis beobachte ich täglich, wie Mütter sich unter Druck gesetzt fühlen, alles zu schaffen und das möglichst perfekt.

Ich arbeite mit Eltern, die sich wünschen, im Alltag mehr Gelassenheit leben zu können und ruhig und besonnen reagieren möchten. Sie schämen sich wie meine Freundin Julia, wenn sie den Kindern gegenüber laut oder unfair reagieren, und möchten Wege lernen, es anders zu machen.

In solchen Fällen ist es mir jeweils wichtig, zuerst ein Verständnis zu schaffen, wie es überhaupt zu Situationen kommen kann, in denen wir die Nerven verlieren: Kinder fordern uns heraus, ihre Bedürfnisse zu erspüren und für sie zu sorgen. Dies kann so einnehmend sein, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse dabei völlig vergessen oder sie immer wieder zurückstellen.

Mit kleinen Kindern ist ein gewisser Aufschub eigener Bedürfnisse normal. Doch die eigenen psychologischen Grundbedürfnisse langfristig zu missachten, führt zu Stress.

Wird Stress nicht reguliert, leidet unser Nervensystem und wir reagieren gereizt und dünnhäutig.

Wird der Stress noch mehr verstärkt, kann dies zu Kurzschlusshandlungen in unserem Hirn und Körper führen. Wenn der Stresspegel im Körper zu hoch wird, ist unser Gehirn nicht mehr in der Lage, angemessen zu reagieren. In solchen Situationen wird der präfrontale Kortex, der für rationale Entscheidungen zuständig ist, von anderen Hirnregionen überstimmt, was zu impulsiven Handlungen führen kann.

In der Praxis veranschauliche ich diesen Vorgang mit einer Zeichnung – ein Fass, welches ein gewisses Volumen an Flüssigkeit auffangen kann. Wird die Flüssigkeit immer mehr und es ist kein Abfluss vorhanden, überläuft das Fass – wir reagieren impulsiv und irrational.

Das bedeutet, dass es wichtig ist, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu kennen und nicht nur die der Kinder zu berücksichtigen.

Ganz konkret hätten sich beide beschriebenen Brokkoli-Momente wohl vermeiden lassen, wenn Julia und ich unsere Grenzen mehr beachtet hätten. Julia hätte dann vielleicht in Ruhe einen Kaffee getrunken, anstatt auf den Markt zu rennen, und ich hätte meinem Sohn viel früher erklärt, dass ich eine Mutter bin, die nicht nähen möchte.

Aber das ist einfacher gesagt als getan.

Der Druck, eine Mutter zu sein, die alles schafft, ist kein individueller, sondern hat auch strukturelle Gründe. Es lohnt sich, «Die Erschöpfung der Frau» von Franziska Schutzbach zu lesen, um diese besser zu verstehen. (Anmerkung der Redaktion: Auch auf Vätern lastet ein hoher Druck. Einen Erfahrungsbericht dazu findest du zum Beispiel im Beitrag «Vereinbarkeit für Väter? Ein steiniger Weg».)

Nicht wir Eltern sind schuld, wenn wir erschöpft sind.

Unsere Erschöpfung ist kein individuelles Problem, doch wir sind im Alltag gefordert, individuell einen Umgang mit diesem Druck zu finden.

Gut ist gut genug. Und manchmal ist das Leben mit Kindern wahnsinnig stressig und darf so benannt werden.

Lasst uns Brokkoli-Momente teilen und darüber lachen.

Denn das Verständnis und Mitgefühl für sich selbst ist ein erster Schritt zu mehr Gelassenheit im Alltag.

In meinem Praxisalltag habe ich kein Patentrezept, wie es möglich ist, immer ruhig und gelassen zu reagieren (Reminder: Supermom existiert nicht!). Denn Selbstfürsorge beginnt da, wo ich auch dann liebevoll mit mir selbst bleibe, wenn ich mir keine Pausen gönnen kann und eine mit Brokkoli um sich werfende Mutter oder ein Fasnachtskostüm zerreissender Vater bin. Weil mir das Leben gerade keine Zeit lässt, Luft zu holen.

Gerade in solchen Momenten kann die Aufforderung zur Selbstfürsorge und zur Abgrenzung noch mehr Druck erzeugen. Und das kann nun wirklich nicht die Idee sein.

Ein erster Schritt zu mehr Gelassenheit im Alltag mit Kindern können simple Erste-Hilfe-Entstressungs-Hacks sein, die unser vegetatives Nervensystem beruhigen. Meine liebsten sechs verrate ich euch unten in der Box. Sie lassen sich gut im Alltag anwenden, auch zusammen mit Kindern.

Ich verbinde sie mit dem wichtigsten Rat, wenn es um das Thema geht: Bleibt verständnisvoll mit euch selbst und denkt an Julia und mich, falls doch Brokkoli durch die Luft fliegt, weil auch für die Entstressungs-Hacks keine Kraft und Zeit bleibt.

Vielleicht wirst du eines Tages mit deinem Kind darüber lachen, so wie ich kürzlich mit meinem Sohn, als ich ihn an meinen Rumpelstilzchentanz auf seinem Kostüm erinnerte.

Tipps

Sechs hilfreiche Tools, um Stress entgegenzuwirken

1) Atmung

Die Atmung ist ein wichtiger Teil unseres Körpers und spielt eine entscheidende Rolle, wenn es um die Regulation des Nervensystems geht. Erleben wir Stress, wird unsere Atmung flacher, wir werden kurzatmig. Es gibt viele verschiedene Atemübungen, die uns helfen können zu entspannen. Ich stelle hier eine der einfacheren Übungen vor, die 4:6:6 Atmung.

  • Atme ein und zähle dabei bis vier.
  • Halte den Atem für einen Moment an und zähle bis sechs.
  • Atme dann langsam aus und zähle wieder bis sechs. Falls es dir möglich ist, kannst du mit der Zeit beim Ausatmen auch bis sieben oder acht zählen.
  • Wiederhole diese Atmung ein paar Minuten lang. Das geht auch, wenn ein Kind gerade schreit oder sonst ein herausforderndes Verhalten zeigt.

2) Visualisierung des Wohlfühlortes

Falls möglich Augen schliessen, die Übung funktioniert aber auch mit offenen Augen.

  • Stelle dir einen ruhigen und entspannenden Ort vor, zum Beispiel einen Strand oder einen ruhigen Wald. Einen Ort, wo du dich sicher und entspannt fühlst.
  • Konzentriere dich auf die Details des Ortes: Wie sieht die Umgebung genau aus? Welche Farben gehören dazu? Welche Geräusche oder Gerüche?
  • Tauche in diese Vorstellung ein und spüre, wie sich der Körper dabei fühlt und verweile einen Moment.

Ich kenne Eltern, welche ein Bild von ihrem Wohlfühlort aufgehängt haben, als Anker für mehr Entspannung im Alltag.

3) Singen

Singen kann eine positive Wirkung auf das Angstzentrum im Gehirn haben und beruhigt so auch unser Nervensystem. Beim Singen werden verschiedene Bereiche des Gehirns aktiviert, darunter auch das limbische System, das für Emotionen und das Angstzentrum verantwortlich ist. Durch das Singen werden Endorphine freigesetzt, die als natürliche Stressabbauhormone wirken und ein Gefühl von Wohlbefinden und Glück vermitteln.

4) Lieblingsmusik an und Tanzen

Wie beim Singen werden auch beim Tanzen Endorphine freigesetzt, die für ein Glücksgefühl sorgen und Stress abbauen können. Zudem fördert Tanzen die körperliche Aktivität, was wiederum die Produktion von Serotonin und Dopamin stimuliert, die als «Glückshormone» bekannt sind.

Es gibt keine Regeln oder Vorgaben beim intuitiven Tanzen. Es geht nicht um Perfektion oder darum, bestimmte Schritte zu beherrschen, sondern vielmehr darum, sich von der Musik und dem eigenen Körper leiten zu lassen. Besonders kleine Kinder sind sehr gut darin, sich intuitiv zu Musik zu bewegen.

5) Natur, Wald und Spaziergänge

Zeit in der Natur zu verbringen und Spaziergänge im Freien zu machen, wirkt beruhigend auf das Nervensystem.

6) Stress abschütteln

Schütteln oder Zittern setzt ursprünglich bei allen Säugetieren automatisch ein, um überschüssigen Stress abzubauen. Ein Phänomen, das wir unter anderem auch aus der Traumabewältigung kennen. Der Körper eines Menschen beginnt zum Beispiel nach einem erlebten Unfall ebenso instinktiv zu zittern, um Stress abzubauen und das Erlebte zu verarbeiten.

Bei weniger grossem Stress ist Schütteln oder Zittern auch hilfreich, um wieder zu entspannen. Doch wir haben diesen natürlichen Impuls wohl verlernt, weil es ungewöhnlich aussieht. Kleine Kinder kennen diese Hemmungen nicht, und wir können beobachten, wie sie erzittern oder sich schütteln. Schütteln hilft, Spannungen im Körper zu lösen und aufwühlende Emotionen zu beruhigen

Sara Satir, Autorin

Autorin

Sara Satir führt seit dreizehn Jahren eine Praxis für Coaching und Supervision. Sie ist Expertin für Selbstfürsorge, Selbstregulation, Resilienz und Stressprävention. Menschen zu unterstützen, damit sie in ihrem Alltag weniger Stress und Druck erleben, ist ihr Antrieb in allem was sie tut. Sara Satir ist ausserdem Podcasterin für die Frauenzentrale Zürich und Mutter von zwei fast erwachsenen Söhnen. Ihr älterer Sohn lebt mit einer Mehrfachbehinderung. Sie berät Eltern und Fachpersonen in Fragen zum Thema Behinderung und engagiert sich für Inklusion und Gleichstellung. satircoaching.ch

Informationen zum Beitrag

Veröffentlicht am 26. Dezember 2024


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