Kindergarten-Start: Eltern allein zu Haus
Mit dem Chindsgi beginnt ein neuer Lebensabschnitt – nicht nur für die Kinder, auch für ihre Eltern. Eine nicht ganz ernst gemeinte Gegenüberstellung von Kindergarten-Kompetenzen und Eltern-Benefits.
Der erste Kindergarten-Tag – der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Nicht nur für die frischgebackenen Kindergärtlerinnen und Kindergärtler, sondern auch für ihre Eltern. Denn wenn das mit dem Loslassen beiderseits erst einmal geklappt hat, bleiben Mütter und Väter alleine zu Hause – und gewinnen mit einem Schlag längst in Vergessenheit geratene Freiheiten zurück.
Eine nicht ganz ernst gemeinte Gegenüberstellung der Fähigkeiten, die Kinder für die Einschulung in den Kindergarten mitbringen sollten, und der Freiheiten, die Eltern in diesem neuen Lebensabschnitt zurückgewinnen.
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Fähigkeit: Das Kind ist in der Lage, im Kindergarten während vier Stunden von seinen engsten Bezugspersonen getrennt zu sein.
Freiheit: Ich als Mutter bin in der Lage, VIER Stunden AM STÜCK zu schlafen, zu arbeiten, zu duschen, Kafi zu trinken, fernzusehen – was immer ich will! Freiheit, ich komme…
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Fähigkeit: Das Kind hatte bereits vor dem Kindergarten sozialen Umgang mit anderen Kindern, zum Beispiel in der Kita oder in der Spielgruppe.
Freiheit: Ich habe wieder Zeit für sozialen Umgang mit anderen Erwachsenen – und zwar nicht mit der Kita-Betreuerin oder den Eltern der Spielgruppen-Gspändli.
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Fähigkeit: Sich mehrheitlich selber an- und ausziehen.
Freiheit: Ich muss nur mich selber an- und ausziehen – und bin damit innert Sekunden parat, wenn ich aus dem Haus will (statt wie sonst üblich mit 20-40 Minuten Vorlaufzeit).
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Wir werden diesen Beitrag noch aufbretzeln für unsere neue Webseite. Drum sieht momentan nicht alles rund aus. Aber mal ehrlich: gut genug. Danke für deine Geduld!
Fähigkeit: Sich selbstständig die Hände waschen und Mund, Nase und Zähne putzen.
Freiheit: Am Stück zwei Ladungen Wäsche waschen und die ganze Wohnung putzen – ohne dass jemand dauernd an den Knöpfen der Waschmaschine herumspielen oder das Staubsaugerkabel 37 Mal ausziehen und wieder einfahren will. Dann sogar noch Zeit haben zum Zähne putzen.
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Fähigkeit: Den mitgebrachten Znüni selbst auspacken, essen und trinken.
Freiheit: Die im obersten Regal ganz hinten versteckte Schoggi selbst auspacken und geniessen – ganz ohne die Gefahr, dabei erwischt zu werden und teilen zu müssen.
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Fähigkeit: Einfache Aussagen auf Deutsch verstehen.
Freiheit: Ich kann endlich Podcast-Gespräche und Songtexte verstehen, ohne auf die höchste Laustärke zu stellen.
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Fähigkeit: Seinen Namen nennen.
Freiheit: Meinen Namen (oder ist es ein Titel?) – «Mami? Maaaamiiiii?! MAAAAAMIIIIIIII!!!» – ein paar Stunden lang NICHT hören müssen.
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Fähigkeit: Das Kind kann warten, bis es an der Reihe ist.
Freiheit: Ich bin endlich selbst an der Reihe.
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Fähigkeit: Aufforderungen ausführen.
Freiheit: Aufforderungen? Welche Aufforderungen? Niemand da, der mich zu irgendwas auffordern könnte.
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Fähigkeit: Das Kind ist in der Lage, 10 Minuten stillzusitzen und der Kindergarten-Lehrperson zuzuhören.
Freiheit: Ich wäre theoretisch in der Lage, 200 Minuten stillzusitzen (ob ich das auch wirklich kann, ist eine andere Frage).
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Fähigkeit: Einige Zeit bei einer Tätigkeit bleiben und sich auf diese einlassen.
Freiheit: Eeeeendlich kann ich einen Gedanken zu Ende denken und mich voll und ganz auf etwas konzentrieren.
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Fähigkeit: Grenzen akzeptieren.
Freiheit: Mal nicht im Minutentakt an eigene Grenzen stossen.
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Fähigkeit: Regeln verstehen.
Freiheit: Selbst aufgestellte Regeln brechen. Wie wär’s zum Beispiel mit einem Frühstück vor dem Fernseher?
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Fähigkeit: Nach dem Spielen aufräumen.
Freiheit: Es gibt NICHTS aufzuräumen, weil niemand was durcheinander gebracht hat.
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Fähigkeit: Alleine aufs WC gehen.
Freiheit: ALLEINE aufs WC gehen!!!
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Fähigkeit: Feinmotorik – Das Kind kann malen, kleben und mit der Schere schneiden.
Freiheit: Ich könnte theoretisch Mandalas für Erwachsene ausmalen, Tortendeko ankleben und Schnittmuster ausschneiden. Aber im Gegensatz zu meinem Kind kann ich auch auf sämtliche Bastelprojekte pfeifen und einfach Nichtstun. Ätsch!
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Fähigkeit: Grobmotorik – Das Kind kann balancieren, rennen, klettern und Treppen steigen.
Freiheit: Ich kann meinen Kafi quer durch die Wohnung zum Balkon balancieren (und ihn warm trinken). Ich kann joggen gehen, in die Badewanne klettern oder in Ruhe unter die Dusche steigen.
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Fähigkeit: Sorgfältig umgehen mit Lebewesen und Materialien im Kindergarten.
Freiheit: Sorgfältig umgehen mit mir selbst.
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Fähigkeit: Das Kind interessiert sich für Neues und Unbekanntes.
Freiheit: Ich habe wieder freie Hirnkapazität für Neues und Unbekanntes.
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Bei mir hat ein solch neuer Lebensabschnitt vor einem Jahr begonnen: Unser jüngster Sohn wurde letzten Sommer eingeschult. Nach insgesamt neuneinhalb Jahren mit einem, zwei, drei Kindern zu Hause, waren erstmals von Montag bis Freitag JEDEN Vormittag ALLE Kinder aus dem Haus – zwei im Kindergarten, eines in der Schule.
Ich hatte mir diese neue Freiheit seit Jahren in den schönsten Farben ausgemalt. Mir euphorisch vorgestellt, was ich in der freien Zeit alles machen könnte. Hatte innerlich gejubelt, als Tag X endlich gekommen war. Und dann?
– Spoilerwarnung –
Dann habe ich ziemlich schnell gemerkt, dass die vier Stunden gar nicht so lang und erholsam sind, wie sie tönen. Und dass die endlose To-do-Liste im Kopf noch viel lauter rattert, wenn sie nicht von streitenden Kindern übertönt wird.
Bis ich das Kind mal in den Chindsgi gebracht hatte und selbst wieder daheim war, zeigte die Uhr bereits halb 9. Wenn ich dann noch schnell eine Ladung Wäsche aufhängen, noch husch-husch den Geschirrspüler ausräumen und endlich mal in Ruhe frühstücken wollte, blieb schon nicht mehr viel Zeit zum Arbeiten, geschweige denn, um eine Pause einzulegen und die neue Freiheit wirklich zu geniessen.
Und wenn doch, dann rief in diesem Augenblick garantiert die Schwiegermutter, die IV oder die penetrante Telefonbetrugs-Dame an (der ich bestimmt schon zweihundertmal geantwortet habe, dass ich weder Rotwein noch Weisswein mag). Immerhin erinnerte mich ihre Frage zuverlässig daran, dass ich vielleicht noch einen Z’mittag vorbereiten müsste. Und schon war es wieder halb 12 – Zeit zum Abholen.
Drum lasst uns klein anfangen: Ein Täfeli Schoggi aus dem Versteck holen und alleine auf dem WC geniessen.
Und wenn euch dank all der freigewordenen Hirnkapazität weitere Beispiele von Kindergarten-Kompetenzen und Eltern-Benefits einfallen, verratet sie uns in den Kommentaren!
Anmerkung:
Es ist in der Schweiz nicht verbindlich festgelegt, welche Fähigkeiten Kinder mitbringen müssen, um bereit zu sein für den Kindergarten. In vielen Schulgemeinden gibt es jedoch Empfehlungen hierzu. Die in diesem Beitrag erwähnten Fähigkeiten basieren auf Informationen des Zürcher Volksschulamtes, des Schulärztlichen Dienstes der Stadt Zürich und von Swissmom.
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 19. August 2022 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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