«Es ist nicht nötig, mit Alleinerziehenden Mitleid zu haben»
Das Leben als alleinerziehende Mutter ist nicht minderwertig und bringt viele Vorteile. Unsere Autorin zeigt, wie die Gesellschaft noch an einem Klischee festhängt und wo sie das Eineltern-Modell schätzt.
Alleinerziehende sind ein Klischee in der Gesellschaft.
Ich habe euren Beitrag über die Einsamkeit von Alleinerziehenden gelesen. Ich will die offensichtliche Not der Erzählenden nicht kleinreden. Allerdings finde ich es wichtig, zu differenzieren.
Was im Artikel beschrieben wird, ist nicht das Leben von Alleinerziehenden schlechthin. Es ist das Leben der Erzählenden, so wie sie es empfindet. Und leider entspricht es auch dem Klischee, das die Gesellschaft von Alleinerziehenden hat.
Mein Leben als Alleinerziehende fühlt sich ganz anders an.
Ich bin seit bald sechs Jahren alleinerziehend und alleinverdienend. Der Vater meines Sohnes und ich haben das Kunststück geschafft, uns noch während meiner Schwangerschaft zu trennen. Er wohnt im Ausland und trägt weder aktiv noch finanziell etwas zur Kinderbetreuung bei.
Meine Familie, das sind mein Sohn und ich, ich und mein Sohn. Was ich nicht erledige, erledigt niemand. Was ich nicht verdiene, verdient niemand.
Der Spagat zwischen Beruf und Familie ist als Alleinerziehende kleiner.
Für mich hat das aber auch einige Vorteile:
Anders als meine verpaarten Freundinnen musste ich mich nie dafür rechtfertigen, dass ich meinen Beruf mag und zu mehr als einem blossen Alibi-Prozentsatz arbeite. Viele Bekannte versuchen den unmöglichen Spagat zwischen perfekter Hausfrau/Mutter und Karrierefrau und sind dann frustriert, weil sie bei beidem scheitern.
Bei mir hingegen ist allen klar, dass ich outsourcen und manchmal auch Abstriche machen muss. Ich arbeite schliesslich nicht zur egoistischen Selbstverwirklichung, die Müttern offenbar nicht zusteht, sondern weil ich ein Kind zu ernähren habe.
Ich muss ausschliesslich ein Kind und nicht auch noch eine Beziehung am Leben erhalten. Dadurch kann ich mich in der Zeit, in der ich nicht arbeite, voll meinem Sohn widmen. Ich kann abends um acht Uhr erschöpft neben dem Kleinen einschlafen, ohne Rücksicht auf einen Partner und dessen Bedürfnisse.
Dank der frühen Schlafenszeit kann ich mir auch den Luxus leisten, morgens um 4 Uhr aufzustehen. Wenn ich dann kurz nach 7 Uhr meinen Sohn wecke, bin ich nicht nur geduscht, angezogen und bereit fürs Büro, ich habe auch bereits eine halbe Stunde Yoga und eine bis zwei Stunden Arbeit hinter mir.
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Dadurch habe ich die Möglichkeit, in ausgedehnten Mittagspausen Bekannte zu treffen, ganz ohne unsere Kinder. Ich kann innerhalb der Krippen-/Hort-Betreuungszeiten weiterhin Freundschaften pflegen, auch wenn ich am Abend nicht mehr so flexibel bin wie vor dem Kind.
Und seien wir ehrlich: Auch Eltern in Beziehungen gehen nicht jeden Abend aus!
Ich kenne das Gefühl nicht, im Stich gelassen zu werden, wenn der Partner mal wieder die Arbeit im Haushalt oder mit dem Kind erst sieht, wenn er explizit um Mithilfe gebeten wird.
Ich kenne die Einsamkeit nicht, wenn er sich ausgerechnet an dem Abend, an dem die Tochter ins Ballett gefahren werden muss, mit Freunden verabredet, als wäre der Fahrdienst per definitionem Aufgabe der Mutter.
Ich kenne die Hilflosigkeit nicht, in einer Beziehung und dennoch im Ernstfall alleine zu sein.
Ja, das sind alles Beispiele von heterosexuellen Paarbeziehungen. Dies schlicht deswegen, weil in meiner Situation vor allem solche Erfahrungen an mich herangetragen werden.
Ein Eineltern-Haushalt ist agiler und flexibler.
Natürlich hat das Leben mit Partner/Vater viele wunderschöne Seiten, die meinem Sohn und mir fehlen. Ich habe mein Familienmodell weder gewollt noch gesucht. Aber es ist nun einmal so gekommen.
Die Frage ist nun, was ich daraus mache: Konzentriere ich mich auf das, was fehlt und bin unglücklich mit meiner Situation? Oder lege ich den Fokus auf dieses wundervolle Kind, mit dem ich mein Leben teilen kann, und richte es mir, mit all den Vorzügen und Nachteilen, die ein Eineltern-Haushalt mit sich bringt, so angenehm wie möglich ein?
Mein Sohn verdient eine glückliche Mutter. Er verdient es, in einem Haushalt aufzuwachsen, in dem alle Bewohner:innen zufrieden sind. Und deshalb ist es meine Verantwortung, unseren Alltag regelmässig zu überdenken und Veränderungen vorzunehmen, wenn ich merke, dass die Situation für jemanden von uns nicht (mehr) stimmt.
Meine Erfahrung besagt:
Sämtliche Veränderungen, die mich zufriedener machen, stimmen auch meinen Sohn glücklicher.
Sogar meine Weiterbildung letztes Jahr, die es notwendig machte, dass mein Sohn jedes zweite Wochenende bei den Grosseltern, beim Götti oder bei Freund:innen wohnte, fand er wider Erwarten super. Er erzählt heute noch mit Begeisterung von dieser aufregenden Zeit.
Andersrum macht es natürlich auch mich glücklich, wenn ich etwas ändern kann, damit mein Sohn zufriedener ist.
Fehlt einer Alleinerziehenden manchmal die Partnerschaft?
Es ist einfach ein anderes Familienmodell, mit anderen Vorzügen und Nachteilen. Sobald man aufhört, dem Standard entsprechen zu wollen und alleine ein Zweieltern-Familienmodell zu stemmen, lässt der Druck nach.
Dann eröffnet sich die Möglichkeit, das Leben so zu gestalten, dass es für die Kinder, aber auch für den alleinerziehenden Elternteil passt.
Was aber, wenn ich mich nun neu verliebe?
Keine Ahnung. Um ehrlich zu sein: Ich habe es bisher nicht ernsthaft versucht.
Ich hatte nie das Bedürfnis, mir schnellstmöglich einen Mann zu suchen, um ein sogenannt normales Familienleben führen zu können.
Mit dem Anderssein konnte ich mich schon immer recht gut arrangieren. Aber natürlich fände ich es schön, wieder einmal verliebt und wieder in einer Beziehung zu sein.
Bisher überwiegt aber noch die Angst. Was, wenn es nicht klappt, wenn die Beziehung wieder auseinander geht? Was macht das mit mir? Was macht es mit meinem Sohn, wenn er sein Herz für diesen neuen Mann geöffnet hat und der plötzlich wieder weg ist?
Diese Überlegungen führen dazu, dass aktuell wohl noch immer ein grosses NOT AVAILABLE auf meiner Stirn steht. Ich komme gar nicht erst in die Situation, in der ich Antworten auf diese Fragen finden muss. Aber mein Sohn wird älter, unabhängiger, gefestigter. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen und mein Herz und mein Verstand werden wieder ein Abenteuer wagen wollen.
Wie eine Beziehung dann sein wird, darüber mache ich mir weniger Sorgen.
Für Patchwork-Familien gibt es relativ wenige gesellschaftliche Normen, die einem das Leben schwer machen. Ich kenne in meinem Umfeld die unterschiedlichsten Modelle. Sie können alle funktionieren, wenn es für die Beteiligten stimmt.
Welches Modell für mich das richtige wäre, darüber mache ich mir heute noch keine Gedanken. Das hängt ja auch vom Partner, seinem Hintergrund, seinen Wünschen und Vorstellungen ab. Wichtig ist nur, dass sich alle Beteiligten in diesem neuen Kontext wohl fühlen.
Und wenn mich die letzten sechs Jahre etwas gelehrt haben, dann, dass man mit etwas Fantasie alles zum Klappen bringen kann.
Bis dahin aber fehlt es mir an nichts.
Eineltern-Familien sind keine Mangelerscheinung!
Nur über meine verpaarten Freundinnen ärgere ich mich regelmässig. Immer wieder kommt es vor (und soll natürlich auch vorkommen), dass meine Freundinnen bei mir ihren Frust äussern.
Sie erzählen mir von ihrer Erschöpfung als berufstätige Mutter (kenne ich), von ihren beschränkten beruflichen Optionen als Mutter und Teilzeitangestellte (kenne ich teilweise), von Differenzen mit ihren Männern in Erziehungs- und anderen Fragen (kenne ich nicht), vielleicht sogar über ihre Ängste, betrogen oder verlassen zu werden.
Und dann enden sie mit der Bemerkung: «Aber immerhin bin ich nicht alleine. So, wie du lebst, das könnte ich nicht.»
Na danke aber auch! Da erzählst du mir eine Stunde lang deine Sorgen. Und dann erdreistest du dich, dich zu trösten, indem du eben mal mein Leben als pauschal minderwertig darstellst? Du tust damit weder mir noch dir selbst einen Gefallen.
Allgemein herrscht die Überzeugung, dass Alleinerziehende bemitleidenswerte Mangelgeschöpfe sind.
Ich empfinde das als so anstrengend wie kontraproduktiv. Es ist nicht nötig, mit Alleinerziehenden Mitleid zu haben.
Es ist auch nicht sinnvoll, aus Angst vor so einer Situation an einer nicht mehr funktionierenden Beziehung festzuhalten. Eineltern-Familien sind anders, aber nicht minder lebenswert. Einsam macht nicht der Status der Alleinerziehenden, sondern die Überzeugung, dass es so nicht sein sollte.
Und Überzeugungen, die unglücklich machen, sollte man schnellstmöglich über Bord werfen!
Informationen zum Beitrag
Dieser Beitrag erschien erstmals am 20. April 2023 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.
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