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Konflikte mit den Eltern: Hilfe, wir verlieren uns!

Jahrelang versteht man sich recht gut mit den eigenen Eltern und plötzlich gibt es Knatsch. Wir zeigen Beispiele und Lösungsmöglichkeiten.

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Konflikte mit dem Eltern belasten - was kann man tun? mal ehrlich

Was passiert da mit uns? Das fragen sich viele, die eigentlich ein entspanntes oder sogar gutes Verhältnis zu ihren Eltern hatten und dann plötzlich mitten in einem grossen Knatsch stecken. Immer wieder sind mir in letzter Zeit solche Fälle zu Ohren gekommen. Die Konflikte mit den Eltern brachen häufig dann auf, wenn aus den Kindern Eltern wurden und aus den Eltern Grosseltern.

Ich habe mit einigen Familien gesprochen und mit den Psycholog:innen, Psychiater:innen und Mediator:innen, die diese Konflikte begleiteten. Dann habe ich vier Fälle ausgewählt, die gemäss den Fachpersonen sehr häufig vorkommen.

Die Namen und gewisse Daten wurden aus Gründen der Anonymität verändert. Und die zitierten Fachpersonen legen Wert darauf, dass ihre Worte sich auf die besagten Fälle beziehen und nicht einfach auf andere Konflikte anwendbar sind. Es ist schön, wenn ihr bei den folgenden Beispielen Anregungen findet. Oder merkt, dass ihr nicht allein seid mit solchen Problemen. Aber die Fachleute raten explizit dazu, sich individuellen Rat zu holen, wenn man in einem derart belastenden Konflikt steckt.

Konflikt Nr. 1: Aneinander vorbeireden

Ella sagt: Ich bin Mutter von zwei kleinen Mädchen und hatte immer ein gutes Verhältnis zu meiner Mutter Irena. Meine Eltern waren schon früh getrennt, mein Vater ist mittlerweile verstorben. Irena hütete meine Kinder zweimal pro Woche und kam dafür zu uns nach Hause. Das war praktisch, weil es bei uns im Ort keine Kita gibt. Und natürlich finde ich es schön, dürfen meine Kinder Zeit mit ihr verbringen.

Aber nach etwa einem Jahr wirkte meine Mutter immer öfter verstimmt. Sie machte spitze Bemerkungen über meinen Beruf, über meine Haushaltsführung, über die Lautstärke der Mädchen oder deren Fixierung auf Nahrungsmittel aus der beigen Farbpalette. Zuerst versuchte ich, es zu ignorieren, mich davon nicht stressen zu lassen. Irena war früher nie so zu mir, das mit den spitzen Kommentaren war völlig neu für mich und ich wusste nicht, wie ich reagieren soll. Aber irgendwann suchte ich das Gespräch.

Ich sagte ihr, dass ich mein Leben so führen möchte, wie es mir gefällt, und dass ich ihre angriffigen Bemerkungen unangebracht fände. Da motzte sie mich an und sagte, ich wolle sie offenbar nur als billige Kinderbetreuung und nicht als Teil meines Lebens. Der Vorwurf traf mich sehr, ich hatte ihr an jedem einzelnen Betreuungstag gedankt und versucht, das Haus so vorzubereiten, dass sie es angenehm hat in dieser Zeit. Es flogen ein paar gehässige Worte hin und her und wir brachen das Gespräch ab.

Seit diesem ersten Streit war es ein Eiertanz, monatelang.

Ich versuchte noch stärker, ihr meine Dankbarkeit zu zeigen, aber sie schien immer genervt. Ich wollte nicht nochmals das Gespräch suchen, weil ich dachte, dass es sonst nur noch schlimmer wird.

Irgendwann reichte es mir aber. Ich schaute mich nach Kitas um und informierte meine Mutter darüber, dass ich mir diese Option überlege, um unser Verhältnis zu entlasten. Da brach sie in Tränen aus und war in den kommenden Wochen ständig weinerlich, energielos, konnte nicht mehr schlafen – eine richtige depressive Phase.

Irena sagt: Ich weiss nicht, was plötzlich los war: Ich habe mir viel Zeit genommen für die Betreuung meiner Enkelinnen und es war manchmal wirklich sehr streng. Mit meinen 70 Jahren steckt man das nicht mehr so leicht weg, aber für Ella habe ich das sehr gern gemacht. Ich glaube, ihr war aber nicht bewusst, wie intensiv solche Kindertage für mich sind, obwohl ich das immer wieder geäussert habe.

Doch dann warf sie mir vor, ich würde mich zu stark in ihr Leben einmischen und unangemessene Bemerkungen machen. Und schliesslich wollte sie mich ganz aus ihrem Leben raushaben und die Kinder in eine Kita schicken. Da hat es mir den Boden unter den Füssen weggezogen.

Zum Glück hat eine Freundin mich überredet, zu einer Therapeutin zu gehen. Und diese hat dann ziemlich rasch darum gebeten, dass Ella auch mal in eine Sitzung kommt.

Die Psychologin sagt: Dieser Fall ist exemplarisch, Ähnliches erlebe ich sehr häufig. Hier waren zwei Menschen der Ansicht, miteinander im Austausch zu sein, da sie sich ja häufig sehen.

Sie dachten, sie seien sich nah, weil sie sich schon lange kennen. Aber sie haben sehr oft aneinander vorbeigeredet.

Dadurch wuchs auf beiden Seiten ein Frust heran, der logischerweise irgendwann herausbrechen musste.

Hier war es wichtig, dass besonders Irena mal herausschälen konnte, was sie bedrückt. Das war ihr nämlich selbst nicht klar. Menschen ihrer Generation sind sehr geübt darin, eigene Bedürfnisse zu unterdrücken – so stark, dass sie sie wirklich nicht mehr erkennen. Irena betreute ihre Enkelinnen gern, aber es wurde ihr langsam zu anstrengend. Bei ihr sind die Glaubenssätze «Im Leben muss man halt durchbeissen» und «Jammern gehört sich nicht» sehr stark – es sind Sätze, die sie in ihrer Kindheit ständig gehört hat.

Also hat sie einerseits durchgebissen und die Enkelinnen weiterhin zwei Tage pro Woche betreut. Und andererseits wollte sie ihrer Tochter zwar mitteilen, dass es anstrengend ist, aber ohne zu jammern. Ihre unbewusst gewählte Lösung: motzen statt klagen. Ella erkannte verständlicherweise nicht, dass die spitzen Bemerkungen keine Angriffe sind, sondern Hilferufe.

Wenn ein Kleinkind rumwütet und schreit, überlegen wir: Was braucht es gerade? Ist es überreizt, müde oder hungrig oder braucht es gerade mehr Zuwendung? (Siehe dazu das Buch Elternkompass – was ist wirklich gut für mein Kind bei uns im Store.) Bei Erwachsenen aber denken wir automatisch, Angriffe seine böswillig gemeint.

Also war Ellas Gesprächsanfang gerade kontraproduktiv: Sie wies ihre Mutter in die Schranken und diese fühlte sich dadurch nicht gesehen und gehört in ihrer Not. Eine Not, die sie sich selber noch nicht richtig eingestand…

Das kommt so häufig vor. Im Erwachsenenleben fragt man sich nicht mehr regelmässig: Wo stehst du? Was hat sich verändert? Was brauchst du jetzt gerade im Leben? Wir nehmen an, das Gegenüber sei noch dasselbe wie vor fünf, zehn, fünfzig Jahren. Das ist einfach nicht so.

Irena suhlte sich also in ihrer Überzeugung, dass ihre Anstrengungen für Ella nicht relevant seien. Dadurch wurde sie noch wütender, was Ella natürlich merkte und wiederum fand, ihre Dankbarkeit komme überhaupt nicht mehr an bei der Mutter. Mit dem Suchen einer Kita eskalierte es dann komplett – Irena fühlte sich, als ob sie nun überhaupt keinen Wert mehr habe. Da hatte sie so lange durchgebissen und nicht gejammert und das war nun der Dank.

Im Gespräch mit den beiden fanden wir schnell zu einem neutralen Standpunkt zurück.

Die gegenseitige Zuneigung war ja vorhanden und sie wollten verstehen, was bei der anderen ablief.

Als Ella realisierte, weshalb ihre Mutter so gehässig gewesen war, dass das gar nichts mit ihr selbst zu tun hatte, konnte sie das Gesagte abhaken.

Irena lernte, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu äussern. Bisher hatte sie nie mit anderen Grosseltern über die Anstrengung geredet und dachte, sie sei die Einzige, die nach einem Tag Enkelbetreuung total kaputt war. Weil Jammern für sie verboten war, hatte sie jahrelang mit sich gehadert statt zu spüren, dass es vielen ebenso geht.

Letztlich konnte Irena sich selbst eingestehen und dann auch klar äussern, dass ihr zwei volle Tage Kinderbetreuung zu viel sind. Sie erlebte, wie verständnisvoll Ella reagierte und dass sie natürlich offen war für Alternativen. Dass Ella von ihr nie verlangen würde, durchzubeissen. Das tat Irenas innerem Kind gut. Denn ein tiefer Glaubenssatz von ihr war auch: «Du bist nicht wichtig.»

Nun sprechen die beiden offener miteinander und checken öfter ab, wo sie gerade stehen. Bei Irena sitzt der Glauben, unwichtig zu sein, sehr tief und es wird lange gehen, davon etwas Abstand zu nehmen. Da ist Geduld gefragt und von beiden Seiten der Wille, immer wieder aufeinander zuzugehen. Wir haben geübt, dass beide bei Irritationen anders reagieren. Zum Beispiel sagen: «Du, diese Aussage von dir vorgestern… Bei mir ist sie so und so angekommen. Kannst du mir erklären, wie du das gemeint hast?»

Das hilft hoffentlich, dass es keine langwierigen Eiertänze mehr gibt.


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Artikel wie dieser benötigen viel Zeit. Da wir unsere Inhalte kostenlos anbieten, sind wir auf Kooperationspartner angewiesen. Ravensburger unterstützt uns seit Jahren und hilft mit, dass wir Texte veröffentlichen können, die euch hoffentlich weiterhelfen. Dazu gehören: Muss ich mit meinem Kind spielen? oder Verlieren lernen: Wie Kinder ihre Gefühle regulieren können oder Kinder unter Stress: Es braucht mehr Zeit zum Spielen.

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Konflikt Nr. 2: Wohin mit der Wut?

Daphne sagt: Ich bin in einem sehr patriarchalen Haushalt aufgewachsen. Mein Vater ist dominant, autoritär, einschüchternd. Er war aber nie gewalttätig. Seit ich erwachsen bin, geriet ich leider immer wieder an gewalttätige Männer, manche psychisch, manche körperlich, und habe mit einem davon eine Familie gegründet.

Als mein Sohn auf der Welt war, wurden für mich die Treffen mit meinen Eltern schwieriger. Vorher hatte ich ihrem Umgang miteinander wenig Beachtung geschenkt, ich kannte es ja nicht anders. Plötzlich aber triggerte es mich, sie so zu sehen. Ich wollte nicht, dass mein Sohn das als normal ansieht.

Leider war bei uns daheim ja auch keine gesunde Beziehung sichtbar… also habe ich mich von meinem Mann getrennt. Und begann eine Therapie, um nicht wieder an so einen Typen zu geraten.

In der Therapie wurde schnell klar, dass ich nicht an das Konzept einer Beziehung auf Augenhöhe glaube, weil ich sowas schlicht nicht kenne. Ich glaubte: Eine Person sagt, wie es läuft, und die andere spurt. Also war mir in meinen eigenen Beziehungen gar nie in den Sinn gekommen, dass ich eine andere Behandlung einfordern darf, dass es nicht so laufen muss.

Bald kam eine grosse Wut auf gegenüber meinen Eltern, weil sie mir so eine unausgeglichene Beziehung vorgelebt hatten. Zu Weihnachten gab es einen grossen Streit wegen einer Lappalie: Mein Vater hatte irgendwas zu meiner Mutter gesagt, wie immer im Befehlston. Und da bin ich ausgeflippt. Ich habe meinen Eltern sehr laut und unter Tränen gesagt, wie sehr mich dieser Umgangston belaste. Dass ich gerade in einer Therapie sei, um zu lernen, wie man eine andere Art der Paarbeziehung führen könnte, und dass ich endlich keine gewalttägigen Männer mehr in mein Leben lassen möchte.

Meine Eltern sassen da wie vom Donner gerührt und mein Vater blaffte mich an, ich solle mich um meinen eigenen Scheiss kümmern.

Dürfe nicht anderen die Schuld in die Schuhe schieben für meine Fehler bei der Männersuche. Es war furchtbar, zum Glück schlief mein Sohn da gerade im Nebenzimmer.

Wir beendeten den Abend frühzeitig und ich wollte eigentlich den Kontakt eine Weile abbrechen. Mein Psychologe hat mich aber ermutigt, das Gespräch mit seiner Unterstützung nochmals zu suchen.

Die Eltern sagen: Wir hatten uns schon länger Sorgen gemacht über die Männerwahl unserer Tochter. Aber wir waren der Meinung, dass wir uns raushalten und einfach bereit wären, falls Daphne um Hilfe bittet. Sie sollte nicht das Gefühl haben, wir schreiben ihr vor, wie sie zu leben hat.

Ihre Vorwürfe haben uns wahnsinnig getroffen. Wir erwarten nicht, dass sie unsere Beziehungsart führen möchte. Aber dass sie respektiert, wie wir leben.

Der Psychologe sagt: Zurzeit setzen sich viele Menschen mit ihrer Psyche und ihren Prägungen auseinander, es gibt eine Flut an Ratgebern, Podcasts, Workshops zu diesem Thema. Das ist toll, aber was viele nicht wissen: Wut ist ein häufiger Schritt in einem inneren Prozess. Nicht nur beim Trauern oder bei Trennungen, sondern auch bei persönlichen Veränderungen. Wenn man sich mit seiner Prägung auseinandersetzt und gewisse heutige Verhaltensmuster verstehen und ändern will, dann wird man immer etwas finden, was in der Kindheit ungünstig gelaufen ist.

Ich sage absichtlich «ungünstig», weil wir nicht von «falsch» oder «schiefgelaufen» reden möchten. Denn die meisten Eltern umsorgen ihre Kinder mit den besten Absichten. (Natürlich gibt es auch andere Eltern, die zwar behaupten, sie hätten die besten Absichten, aber psychische oder physische Gewalt anwenden. Aber um diese geht es hier nicht.)

Wenn man Dinge findet, die in der eigenen Kindheit ungünstig waren, kann anfangs eine grosse Wut aufkommen.

Nicht selten ist sie übermässig gross. So sehr, dass man sie fast nicht aushält und deshalb gerne an jemanden abschieben möchte. Ich rate deshalb vielen Menschen, die mitten in einem Therapieprozess sind, die Mitmenschen nicht mit der Wut zu überschütten. Weil sie oft auch wieder abnimmt, sich wandelt.

Weil Daphne voll im Therapieprozess steckte, schwammen viele Gefühle unter der Oberfläche, und dann ist es jeweils schwierig, diese zu kontrollieren und strukturiert abzulassen… Manchmal bricht einfach alles hervor, und genau das ist zu Weihnachten passiert.

Für Daphne war es ein Abladen ihrer Wut, aber auch eine Botschaft: «Ich zeige euch, wie es mir gerade geht, womit ich hadere und was ich versuche. Ich zeige euch den Menschen, der ich jetzt gerade bin.» Bei den Eltern kam aber an: «Ihr seid schuld, dass ich keine guten Beziehungen führe.» Also reagierten sie defensiv – und Daphne interpretierte wiederum: «Uns ist egal, wie es dir geht».

Beide Parteien waren in diesem Moment verletzt, verunsichert und nicht fähig, ruhig zu reagieren.

Alle waren in ihrem eigenen Film gefangen, mit ihrer Interpretation der Ereignisse. Niemand hatte da die Energie, aufeinander zuzugehen und verstehen zu wollen.

Das ist sehr häufig: Für diejenigen, die sich einer Psychotherapie unterziehen, ist es ein grosses Bedürfnis, sich den Liebsten mitzuteilen. Sie suchen eigentlich Nähe, wollen in Beziehung treten und sich zeigen. Wenn das aber abrupt geschieht, in einem unvorbereiteten Moment oder eben mit einer gewaltigen Ladung Wut, kann die Gegenseite das oft nicht ruhig annehmen, sondern verfällt in eigene Bewältigungsmuster: Manche werden wütend, andere verstummen oder ziehen sich zurück.

Und dann entsteht ein gefährlicher Strudel aus Missinterpretationen.

Hilfreich wäre gewesen, wenn Daphne mal in einem ruhigen Moment mit den Eltern geredet hätte. Erklärt hätte, dass sie gerade an sich arbeitet und vielleicht in nächster Zeit etwas überemotional sein werde. Dass dies aber zum Prozess gehöre. Dann wäre es nicht so aus ihr herausgebrochen oder die Eltern wären nicht derart überrumpelt gewesen.

Auch geholfen hätte, wenn die Eltern im Moment des Ausbruches ihre wahren Gefühle geäussert hätten, statt mit Gegenanschuldigungen zur reagieren. Wenn sie gesagt hätten: «Wir sehen deine Not. Aber wir sind grad etwas überrumpelt und verletzt. Können wir später in aller Ruhe darüber reden, wenn wir es haben sacken lassen?»

Aber man muss ganz klar sagen: Das sind Wunschszenarien von Reaktionen, so etwas klappt nur durch Übung – vor allem dann, wenn man sich jahrzehntelang gewohnt war, Emotionen zu unterdrücken. Und das ist bei sehr vielen Generationen der Fall, dass sie unangenehme oder gesellschaftlich unangebrachte Gefühle irgendwie wegdrängen.

Erst jetzt ändert sich das langsam, dass es als hilfreich angesehen wird, Zugang zur eigenen Gefühlswelt zu haben. (Siehe dazu das Kinderbuch Das Land der Gefühle oder den Erwachsenenratgeber Wer wir sind bei uns im Store.)

Daphne hat sich mit ihren Eltern ausgesprochen und fand es schön zu hören, dass die Eltern jederzeit da wären zur Unterstützung bei Beziehungsproblemen, ihr aber nicht reinreden möchten. Weil sie stolz sind auf ihre Tochter und darauf vertrauen, dass sie ihren Weg gehen wird. Daphne versteht nun besser, dass die Eltern sich ihr Beziehungsmodell selbst gewählt haben und nicht ändern möchten.

Im Verlauf der Therapie hat sie auch erkannt, dass sie nicht weiterkommt, wenn sie in ihrer Wut verharrt. Sondern nun herausfinden darf, was sie möchte.

Konflikt Nr. 3: Angst vor der Unwichtigkeit

Konflikte mit dem Eltern belasten - was kann man tun? www.anyworkingmom.com

Markus sagt: Ich verbringe gerne Zeit mit meinen Eltern, deshalb machten wir regelmässig gemeinsame Plausch-Abende mit der ganzen Familie, wo wir Spiele spielten, musizierten oder Puzzles machten. Dabei erzählten wir uns von unserem Leben.

Es ging immer munter zu und her, und gerade beim Puzzlen stellten meine Kinder viele Fragen über die Kindheit ihrer Grosseltern. Es interessierte sie total, wie es früher war. Meine Eltern genossen das sichtlich.

Als die Kinder Teenager wurden, wollten sie ihr eigenes Abendprogramm gestalten und nicht mehr zu den Familientreffen kommen. Wir Eltern hatten Verständnis, meine Eltern aber gar nicht. Sie beklagten sich ständig darüber, dass wir nicht etwas strenger seien und ihr Kontakt zu den Kindern versande. Ich verstand ihre Enttäuschung, aber meine Kinder haben ihre Grosseltern ab und zu besucht, der Kontakt war also nicht ganz abgebrochen.

Eines Tages sagte mein Vater, sie möchten diese Abende nicht mehr durchführen, weil sie in ihrem Alter früher zu Bett wollen. Wir respektierten das natürlich. Aber:

Ich spürte, dass irgendwas schwelte.

Meine Eltern sind leider beide so gestrickt, dass sie nicht so leicht mit der Sprache herausrücken, wenn es um Probleme geht. In den folgenden Monaten waren gemeinsame Treffen nicht gerade vergnüglich, sie schienen bedrückt, und ich wusste nicht, ob sie mir gesundheitliche Sorgen verschwiegen. Aber meine Nachfragen wurden beantwortet mit: «Nein, alles okay.»

Ich hatte in dieser Zeit eine sehr strenge berufliche Phase und irgendwie keine Lust, vehement bei ihnen nachzubohren, was los sei. Schliesslich sind sie erwachsen. Aber nach drei Jahren hatte sich mein Stress etwas gelegt und ich machte mir wieder mehr Gedanken um sie. Sie schienen noch abgestumpfter: Wenn ich von einem Erfolg der Kinder erzählte oder tollen Neuigkeiten aus dem Beruf, wirkten sie deutlich weniger begeistert als früher. Als ob es sie nicht mehr interessiert.

Es gab also keinen Konflikt mit den Eltern in dem Sinne, dass wir ständig aneinandergerieten. Aber ich hatte das Gefühl, ich verliere sie irgendwie. Also organisierte ich eine Mediation.

Die Eltern sagen: Diese Plausch-Abende waren sehr schön, aber nichts hält für ewig, gell. Die jungen Leute haben halt immer viel vor und Markus ist beruflich sehr eingespannt. Also fanden wir es sinnvoll, die Abende zu streichen. In unserem Alter mag man sowieso nicht mehr so lange aufbleiben. Das ist doch die beste Lösung für alle.

Der Mediator sagt: Ich habe oft mit älteren Generationen zu tun und wusste drum instinktiv, wo ich ansetzen muss. Sonst hätte ich mir vielleicht die Zähne ausgebissen an diesem Grosselternpaar. Sie waren beide total überzeugt, dass doch alles in Ordnung sei, haben sich das selber immer wieder gegenseitig versichert.

Für das Paar waren die Plausch-Abende absolute Highlights gewesen, sie hatten richtig Energie daraus gezogen, mit den Enkelkindern zu reden, dank ihren vielen Fragen nochmals in die eigene Kindheit zurückzukehren. Es war schön, dass ihre Erfahrungen als wichtig und interessant angesehen wurden.

Denn was viele Jüngere nicht wissen:

Im Alter wird man oft nicht mehr so ernst genommen. Das tut weh.

Vieles, was man einst geleistet oder erlebt hat, zählt nicht mehr oder wird sogar belächelt.

Als die Teenager dann andere Interessen hatten, schmerzte das die Grosseltern. Und als sie merkten, dass ihr eigener Sohn nicht mit der Tradition fortfahren und Fragen über ihre Vergangenheit stellen würde, war das eine Enttäuschung. Sie dachten, er habe diesen Teil der Plausch-Abende wohl langweilig gefunden.

Das war überhaupt nicht so. Markus war einfach nicht bewusst, dass sich die Eltern mehr Nachfragen zu ihrer eigenen Kindheit gewünscht hätten. Seine Kommunikation mit ihnen war ja so eingespielt, dass er häufig nachbohren musste und auf das hatte er an einem Plausch-Abend verständlicherweise keine Lust. Dass just in diesem Fall seine Eltern sofort bereitwillig losgeplaudert hätten, konnte er ja nicht ahnen.

Also fühlten sich die Eltern noch unwichtiger und beschlossen, die Abende einfach gar nicht mehr durchzuführen, um dem Schmerz des Unwichtigseins aus dem Weg zu gehen. Mit einer früheren Schlafenszeit konnten sie sich selbst sogar einreden, das sei eine vernünftige Idee. Sie haben es sich so zurechtgebogen.

Das sehe ich häufig: Wenn einen etwas sehr traurig macht, so dass man das Gefühl fast nicht aushält, dann kann man sich davon distanzieren, indem man wie verrückt einen positiven Dreh sucht. Und irgendwann ist das ursprüngliche Gefühl dann fast nicht mehr spürbar. Leider hat das Runterdrücken von negativen Gefühlen den Haken, dass man alle Gefühle dimmen muss – also auch die angenehmen Gefühle nicht mehr so intensiv spürt. Und so gerieten Markus’ Eltern in einen gedämpften Gemütszustand, aus dem sie nicht mehr rauskamen.

Und es ist auch nicht selten, dass ältere Menschen sich zunehmend als unwichtig oder sogar als Last empfinden und deswegen noch mehr in die Isolation gehen.

Sie haben zu viel Angst, sich verletzlich zu zeigen und allenfalls zurückgewiesen zu werden. Dann lieber selbstgewählt vereinsamen.

Man muss sich keine Illusionen machen: Die beiden werden wohl nie das Herz auf der Zunge tragen und ihre Wünsche deutlich äussern. Da werden immer andere nachfragen müssen, teilweise mehrmals. Aber durch die Mediation wissen sie nun, dass sie Markus und seiner Familie sehr wichtig sind.


Zusammen Puzzles machen – das führt manchmal zu schönen Gesprächen.

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Grosi, gab es bei euch schon Luft? Opa, wie fandest du es, in der Ritterzeit zu leben? Omama, wie sah dein Kinderzimmer aus? Grosätti, in welchem Alter bist du das erste Mal Velo gefahren?

Diese Fragen stellen Enkel:innen ihren Grosseltern gern in ruhigen Momenten. Drum finden wir zum Beispiel gemeinsames Puzzlen so schön: Es ist etwas Ruhiges, man kann nebenher Plaudern und hat ein schönes Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir lieben es!
Und natürlich auch die Puzzles von Ravensburger: Die Qualität verhebt auch bei ungeduldigen (und manchmal klebrigen) Kinderfingern, es gibt schöne Motive und altersgerechte Herausforderungen.


Konflikt Nr. 4: Vorwürfe im eigenen Kopf

Helen und Silan sagen: Wir sind Geschwister, drei Jahre auseinander. Mit 22 und 25 erhielten wir beide die Diagnose ADS. Wir waren völlig überwältigt, dass wir endlich für viele unserer Struggles als Kinder eine Erklärung hatten. Kaum hatten wir beide Gewissheit, erzählt wir den Eltern aufgeregt davon.

Unsere Eltern reagierten seltsam verhalten. Wir waren so froh über die Diagnose, sie nickten an dem Abend nur und sagten nicht viel. Dann wichen sie dem Thema jahrelang aus. Jahrelang!

Wir dachten, sie würden die Diagnose nicht ernstnehmen. Das hat uns verletzt, wir zogen uns zurück.

Als Silan eine Familie gründete, liess er seine Kinder im Schulalter auch abklären. Und bei Helen einige Jahre später dasselbe. Das Verhältnis zu den Eltern wurde noch kühler. Wir konnten bei Treffen nicht wirklich gelöst plaudern über das, was uns so beschäftigte. Weil wir immer wussten: Wenn das Thema ADS aufkommt, reagieren sie seltsam.

Und auch, wenn wir Anekdoten aus der Kindheit erzählten. Es schien, als wollten sie nichts mehr mit der Vergangenheit zu tun haben. Als ob sie all das nicht mehr so interessiert.

Unsere jüngste Schwester fand es total mühsam, wie hölzern unsere Familientreffen abliefen. Sie organisierte eine Sitzung mit einer Psychiaterin.

Die Eltern sagen: Als Helen und Silan von ihrer Diagnose erzählten, waren sie total aufgedreht. Es sprudelte nur so aus ihnen heraus… Situationen aus der Kindheit, Probleme in der Schule und in der Lehre, es war viel aufs Mal. Als ob sie einen langen Leidensweg beendet hätten. Schon das allein schmerzte sehr, weil wir einen anderen Blick auf diese Zeiten hatten.

Dann fiel aber auch ein- oder zweimal der Satz: «Hätten wir das nur früher gewusst!» Und das traf uns tief. Wir wussten doch damals noch nicht, dass es so etwas gibt! Wir haben ihnen viel Liebe gegeben und sie so genommen, wie sie sind. Und nun ist klar:

Wir haben etwas verpasst. Haben übersehen, wie sehr sie zu kämpfen hatten.

Natürlich gehen einem im Nachhinein die Augen auf. Wir machen uns Vorwürfe, dass wir oft geschimpft haben, wenn sich Silan nicht konzentrierte bei den Hausaufgaben. Oder wenn Helen schon wieder ihre Ballettschuhe verloren hatte. Aber wir wussten es doch nicht besser.

Als dann unsere Enkelkinder zur Welt kamen und alle abgeklärt wurden, haben Helen und Silan uns das ausführlich erzählt. Das zeigte uns nochmals deutlich: So müsste man es also machen. Sie haben es zwar nicht ausgesprochen, aber sicher so gemeint.

Die Psychiaterin sagt: Ein klassischer Fall, der ganz oft passiert im Zusammenhang mit Diagnosen – ob ein Kind nun klein ist oder schon erwachsen. Plötzlich schwebt da der Vorwurf im Raum, dass die Eltern etwas übersehen hätten. Auch wenn dies gar nicht so geäussert wird.

Bei den Eltern von Helen und Silas kam der Satz «Hätten wir das nur früher gewusst!» anders an, als ihn die Kinder gemeint hatten. Die Eltern hörten einen stummen Ergänzungssatz hinterher: «Hättet ihr nur schon früher eine Abklärung gemacht!» Sie selbst geben sich die Schuld an der späten Entdeckung, weil es im Nachhinein betrachtet natürlich Anzeichen gab, weil sie oft selber am Anschlag waren mit den Kindern. Aber eine Abklärung kam ihnen nicht in den Sinn.

Es kam heraus, dass die Mutter sogar einmal an einem Informationsabend zum Thema ADHS gewesen war. Aber an der Veranstaltung wurde nur über ADHS geredet, nicht über ADS, der Fokus lag damals stark auf den sogenannten Zappelphilippen. Und die Eltern fanden, Helen und Silan seien absolut nicht so, wie es beschrieben wurde.

Die Eltern mieden das Gesprächsthema, weil sie Angst hatten vor klaren Schuldzuweisungen.

Und die Kinder sprachen es immer seltener an, weil sie die Zurückhaltung der Eltern als Desinteresse interpretierten. Ein typischer Fall eines Missverständnisses, das sich über Jahre hinziehen kann.

Ich habe schon Fälle betreut, wo man nach Jahrzehnten merkte, dass man einfach aneinander vorbeigeredet und nie die Perspektive der anderen gesehen hatte.

Auch wenn das Missverständnis rasch aufgeklärt war, dauerte es viele Monate, bis sich das Verhältnis entspannte. Silan und Helen mussten immer wieder überdeutlich sagen, dass sie den Eltern keine Schuld zuschieben wollen. Es brauchte Zeit, bis die Eltern dies auch wirklich glaubten und die Vorwürfe in ihrem Kopf beiseiteschieben konnten.

Weitere Beispiele über Konflikte mit den Eltern?

Ihr habt auch etwas erlebt? Eure Beispiele sind herzlich willkommen!

Bitte nutzt dafür die Kommentarfunktion unten (geht auch anonym!). Es ist immer hilfreich, wenn sich Betroffene durch mehrere Beispiele lesen können. Wichtig: Keine Persönlichkeitsrechte verletzen, also niemanden ungefragt mit Namen nennen. Wir wollen hier Erfahrungen teilen, nicht Konflikte schüren.

Merci!


Full Disclosure: Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit unserem langjährigen Partner Ravensburger.

Porträtfoto von Anja Knabenhans - Chefredaktorin mal ehrlich AG

Autorin

Anja Knabenhans ist die Content-Chefin von mal ehrlich. Sie war viele Jahre Journalistin bei der NZZ und NZZ am Sonntag – als Schreibende oder Tätschmeisterin, manchmal auch vor der Kamera oder hinter dem Podcast-Mikrofon. 2017 stieg sie bei Any Working Mom ein. Neben ihrer Tätigkeit bei mal ehrlich macht sie ihr eigenes Ding mit ding ding ding. Während sie beruflich ihre Freude am Tüpflischiss auslebt, zelebriert sie daheim das familiäre Chaos. Sie ist Mutter von zwei Kindern im Schulalter.

Informationen zum Beitrag

Dieser Beitrag erschien erstmals am 23. Februar 2023 bei Any Working Mom, auf www.anyworkingmom.com. Any Working Mom existierte von 2016 bis 2024. Seit März 2024 heissen wir mal ehrlich und sind auf www.mal-ehrlich.ch zu finden.


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3 Antworten

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  1. Avatar von Emilia
    Emilia

    Liebes Team von Anyworkingmom, TANKÄ TUSIGMAL für diesen Text!! Er hat mir eine neue Perspecktive gezeigt und mich dazu gebracht gestern mit meinen Eltern zusammen zu sitzen und offen zu reden. Nur über meine jetztigen Gefühle und nicht über die Vergangenheit. Es ist natürlich noch nicht alles gut zwischen uns aber es ist ein Anfang. Wir versuchen jetzt uns zuzuhören und Verstehen zu wollen. <3

  2. Avatar von MT
    MT

    Hallo liebes Team von anyworkingmom, liebe Mitlesenden
    Wir sind 7 Geschwister. Meine Eltern haben für uns sehr viel gegeben und ich kann mir selber nicht vorstellen wie sie das geschafft haben. (Das erkennt man erst wenn Frau/Mann selber Kinder hat). Mein jüngster Bruder war schon immer etwas besonders und feinfühlig. Wir verstanden uns gut als Kinder. Auch als allmählich alle ihren Weg gegangen sind, blieben wir in Kontakt. Unsere Familientreffen waren sehr lebhaft und auch etwas laut. Mit den Jahren wollte mein Bruder immer weniger dabei sein und hat sich, mit für uns unverständlichen Entschuldigungen, abgemeldet. Ich war jeweils sehr traurig, das er nicht dabei war, jedoch auch mit meinem eigenen Leben beschäftigt und ich habe ihn darum nicht nach den wirklichen Gründen gefragt. Während der Coronazeit gab es ein Ereignis, das unsere Familie sehr beunruhigt hat. Wir suchten nach unserem Bruder und befürchteten schon das schlimmste. Zum Glück meldete er sich und wir wussten das es ihm gut geht. Leider hat er danach den Kontakt mit der ganzen Familie abgebrochen. Wir kennen die wahren Gründe nicht und können nur Vermutungen anstellen. Liegt es am Verhalten der Eltern? An uns Geschwistern? Das ist jetzt 2 Jahre her. Würdet ihr das einfach hinnehmen als seine Entscheidung?

    1. Avatar von Pauline
      Pauline

      Ich habe leider keinen Ratschlag, unsere Familie hat etwas Ähnliches erlebt mit meiner Schwester. Ich habe ihr zweimal noch einen Brief geschrieben und sie gebeten, uns nicht zu ghosten. Aber es kam nie eine Antwort von ihr. Ich habe mal bei einer Freundin von ihr angerufen einfach um zu fragen ob alles ok ist. Sie sagte ja, aber wir müssen den Entscheid akzeptieren, dass meine Schwester momentan einfach keinen Kontakt möchte.
      Tut mir sehr leid was euch passiert ist!
      Wir haben als Familie ein paar Termine bei einem Pfarrer wahrgenommen. Er kennt viele solche Situationen und konnte uns helfen, dass wir verbliebenen Familienmitglieder trotzdem zusammen bleiben und miteinander reden und unsere Zeit miteinander geniessen.