Andrea Jansen ist mal ehrlich: Ich wäre gerne zu Hause
Andrea erhielt im Ausland die Chance, sich neu zu erfinden. Und war erstaunt, wer sie eigentlich sein wollte.
Als wir vor gut fünf Jahren beschlossen, für ein Jahr nach Hawai’i auszuwandern, wollte ich vor allem eins: weg von allem. Weg von Verpflichtungen, Terminen, Lärm, vollen Trams, Leistungsgesellschaft, Norm und Fremdbildern, die ich nicht beeinflussen kann, die mich aber nicht kaltlassen.
Ich wollte auch weg von mir
Ein bisschen wollte ich auch weg von mir. Ich bin schnell zu begeistern, ich biete meine Hilfe gerne an und tue nichts lieber, als mit ebenso motivierten Menschen gemeinsame Sache zu machen.
Nur mache ich dann zu viel, sage ja mit dem Herzen, wenn der Kopf “geht’s noch“ schreit, und überstimme ihn dann: «Das passt schon irgendwie.» Muss aber auch immer wieder merken, dass es das eben nicht tut.
Die vielen Möglichkeiten, die vielen Angebote und verlockenden Ideen: Sie geben mir Adrenalin, lassen mich schneller rennen, in einer Art Rausch. Ungesund.
Ich ging also an einen Ort, wo die Zeit anders vergeht, langsamer. Wo ich keine Freund:innen und keine erweiterte Familie hatte, kein Netzwerk, wo auch niemand mich kannte oder tuschelte, sobald ich (vermeintlich) ausser Reichweite bin.
Ich liess mich darauf ein, herauszufinden, wer ich bin, wenn ich niemand sein muss.
Zuerst war das wunderbar. Es ist sehr befreiend, ausserhalb einer Schublade zu leben.
Die ersten Menschen, die wir kennenlernten, waren die Eltern der Schulkinder, mit denen unsere zwei Grösseren in den Kindergarten und die erste Klasse gehen würden.
Sie empfingen mich mit warmen Worten, die oft als amerikanische Oberflächlichkeit ausgelegt werden, aber echter nicht sein könnten. “You’re Swiss?!” riefen sie ungläubig und freudig – das war unser neues Label.
Und sonst war ich einfach “Nils’ Mom.” Nicht mehr, und nicht weniger.
Was wir beruflich tun, oder im Speziellen, ich – DANACH fragte keiner.
Arbeit hatte einen anderen Stellenwert
Meine Freundinnen hier in der Schweiz arbeiten, fast alle in Teilzeit. Wenn wir uns sehen, sprechen wir auch nicht selten über unsere Jobs, über Challenges, können einander spiegeln oder auch mal ins “Hemmli gränne”, wenn es nötig ist.
Meine drei engsten Freundinnen auf der Insel hingegen sind Hausfrauen. Selbstbestimmt, selbst gewählt. Empfinden es als Privileg, sich Vollzeit auf die Familie konzentrieren zu dürfen. Haben Männer, die eine klassische Ernährer-rolle leben und haben so auch eine ziemlich traditionelle Rollenverteilung.
Ich fiel aus der Norm.
Ich merkte schnell, dass ich mit diesen Frauen trotz unserer unterschiedlichen Lebensentwürfe viel gemeinsam hatte: die Faszination für das Abenteuer Elternsein, die Liebe zum Reisen, den Wunsch, viel Zeit in der Natur zu verbringen.
Und trotzdem: Irgendwann meldete sich mein Ego zurück. Ich merkte, dass mir dieser Teil meiner beruflichen Identität fehlte – was ich tue, und warum. Weil das auch ein Teil von mir ist.
Ich begann, über meinen Beruf und meine Berufung zu sprechen. Mit Folgen.
Obwohl sich alle eigentlich gleichberechtigt fühlten, spielte Geld implizit eine Rolle. Wer Geld nach Hause bringt, arbeitet, wer keine Entlöhnung kriegt, nicht. Ich merkte:
Jede dieser Frauen in meinem neuen Bekanntenkreis war und ist stolz auf ihre Leistung als Hausfrau und Mutter, aber ein gefühltes Bewusstsein für den Wert ihrer Arbeit fehlte. Sowohl bei ihnen, als auch bei ihren Partnern (die übrigens allesamt wunderbare Väter sind, die aber nicht die Postiliste schreiben).
Ich begann ihnen vorzurechnen, was ihre Arbeit kostete, würden sie sie delegieren. Teilte Studien und Instaposts, die in Stunden den Gegenwert der Leistungen von Hausfrauen sichtbar machen.
Jedes Mal, wenn meine Freundin sagte: “I don’t work” (ich arbeite nicht) ergänzte ich automatisch mit: “…outside of the home” (ausser Haus) und ging ihr damit sicher massiv auf die Nerven (aber da sie drei Buben hat, sind ihre womöglich sowieso aus Stahl).
Jetzt könnte der Eindruck entstehen, dass ich quasi als Heilbringerin die Hausfrauen aus ihrem unterdrückten Dasein befreite.
Es war genau umgekehrt.
Ich wünschte mir, ich könnte auch zu Hause bleiben
Ich kriegte ziemlich heftige FOMO – mir wurde klar, dass ich, trotz allem Schönreden, auch einiges verpasse. Bewusst, ja, und ebenso freiwillig gewählt.
Aber trotzdem: während meine Besties ihren Kindern am Fussballfeld zuriefen, sich mit Workshops und Podcasts auf die sich ankündigende Pubertät vorbereiteten und in ihrer Freizeit töpferten (!), hackte ich auf meine Tastatur ein und hörte, wie meine Kinder mich wieder auf meine „alte“ Identität reduzierten: „Mami arbeitet ja die ganze Zeit”.
Durch ein anderes soziales Umfeld verschoben sich meine Bedürfnisse, ich hatte natürlich das Bedürfnis, mich anzupassen. Ich wäre an diesem Ort gerne Hausfrau gewesen – ausschliesslich – eine SAHM, eine Stay-at-home-Mom, um einmal (und zum ersten Mal) komplett einzutauchen in diesen Aspekt meines Lebens und meiner Identität.
Ich wünschte mir ein Leben ohne Schalter-Umstellen, in dem ich nicht sekundenschnell switchen müsste zwischen Streit schlichten und Budgetplanung. Ein Alltag, der mich nicht dazu zwingt, ständig zwei Welten zu balancieren, und der mich oft mit schlechtem Gewissen zurücklässt.
Volle Präsenz. Mit beiden Hirnhälften. Das wär’s, dachte ich mehr als einmal.
Und doch: Ich kann das nicht. Das bin nicht ich.
Nun hält sich mein verklärtes Bild, was es heisst, Fulltime-Hausfrau zu sein, natürlich nach wie vor in Grenzen – und ich bin mir bewusst, dass nach dem verlorenen Fussballmatch Kinder getröstet werden müssen und es beim Töpfern nicht zu und hergeht wie bei „Ghost”.
Die Nähe zu meinen Freundinnen inspirierte mich. Ich wünschte mir, meine Kinder mit ebensoviel und ungeteilter Präsenz zu begleiten.
Trotzdem bekam ich auch die Realität eines Alltages mit, der keine Abwechslung von Hausarbeit, Carpools und Kinderhobbies bietet: Dieses Leben ist verdammt anstrengend.
Ich habe gemerkt: Ich bin das nicht und ich kann das nicht.
Und während ich im Freundeskreis einige Aha-Momente miterleben durfte, wenn ich mit Begriffen wie Equal Care oder Mental Load um mich schmiss, wuchs zu gleicher Zeit etwas noch viel Grösseres in mir:
Der aufrichtige Respekt für alle, die sich freiwillig dafür entscheiden, voll für Kinder und Familie da zu sein.
(Und an dieser Stelle: liebe Grüsse an mein Mami.)
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Veröffentlicht am 20. September
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